Neben literarischen Werken mehr oder weniger bekannter Autoren
werden beim ▪
Weitererzählen auch eigens zu Übungszwecken verfasste
(fiktionale)
Geschichten herangezogen, die von vornherein nicht als vollendete
Erzählung gedacht sind. Sie stellen in der Regel nur Erzählanfänge
dar, die als Impuls- und Richtungsgeber bestimmte Voraussetzungen
und Inhalte für die Weitererzählungen bieten.
Hier finden Sie eine Auswahl von sechs solcher Übungstexte, die
Sie weitererzählen können. Zum Teil können die Texte auch als ▪
Erzählkerne herangezogen werden, die zu einer Erzählung
ausgebaut werden können.
Der Schreibauftrag dazu lautet:
Erzählen Sie die Geschichte weiter.
Text 1:
Seit sie ein Baby gewesen war, hatte Katja den Duft frisch gebackener
Brötchen stets in der Nase behalten, der, noch ehe das Tageslicht zu dämmern
begann, von der Backstube im Erdgeschoss in ihr Zimmer oben unterm Dach
hinaufzog. Seit 2 Jahren war sie schon von Zuhause fort und studierte
Betriebswirtschaft an der Fachhochschule der 80 Kilometer entfernten
Großstadt. Jetzt war sie übers Wochenende wieder einmal nach Hause gekommen,
weil ein großes Familienfest anstand. Ihr Vater wollte seinen 65. Geburtstag
ganz groß feiern. Schon ihr Ururgroßvater, sein Bild hing immer noch unten
im Verkaufsraum, hatte die Bäckerei gegründet, der auch die unweit davon neu
eröffnete Schnellbäckerei einer bekannten Backwarenkette, wenig anhaben
konnte. Noch jedenfalls blieben die Kunden der altbekannten Bäckerei treu.
Seit der Gründung der Bäckerei hatte stets einer der Söhne, meistens der
älteste davon, den Traditionsbetrieb, zu dem inzwischen ein kleines Stehcafé
hinzugekommen war, übernommen und fortgeführt. Jetzt aber war alles anders.
Ihr einziger Bruder, der seine Meisterprüfung sogar als Innungsbester schon
vor zwei Jahren abgeschlossen hatte, war vor einem halben Jahr mit seinem
Motorrad schwer verunglückt und saß seitdem mit einer Querschnittlähmung im
Rollstuhl. Katja spürte genau, was das für ihren Bruder und ihren Vater
bedeutete. ... (→Modellbeispiel mit mehrteiliger
Arbeitsanweisung)
Text 2:
Sie hatte lange gezögert, bis sie dem Drängen ihres Lebensgefährten, mit dem
sie jetzt schon zwei Jahre zusammen war, nachgegeben und dem Zusammenziehen
zugestimmt hatte. Sie wusste, dass ihr Sohn, der inzwischen erwachsen war,
seine Ausbildung abgeschlossen und eine gute Stelle gefunden hatte, davon
wenig begeistert war. Noch immer wohnte er nämlich bei seiner Mutter und
machte keine Anstalten auszuziehen.
Text 3:
Nach Griechenland, auf einen Campingplatz in der Nähe von Igoumenitsa,
sollte es im kommenden Sommer gehen und alles war schon seit Weihnachten
gebucht. Das Wohnmobil für 5 Personen, die Fähre vom italienischen Ancona
nach Patras und der Stellplatz für 2 Wochen in der Nähe von Volos, direkt am
Meer. Vor fünf Jahren waren sie schon einmal dort gewesen und alle, sie
selbst, ihre Eltern, aber auch die beiden jüngeren Geschwister hatten immer
wieder davon geschwärmt und sich gewünscht, noch einmal hinzufahren. Doch
das war eben vor fünf Jahren, da war Claudia gerade mal 12 Jahre alt
gewesen. Als der Familienrat vor Weihnachten über den Sommerurlaub
debattiert hatte, war sie schon viel zurückhaltender als früher gewesen, sie
spürte irgendwie, das das nicht mehr so ihres war wie früher, und dass ihr
das We-are-family-Gedudel, das Papa, immer wenn sie gemeinsam im Auto
irgendwie unterwegs waren, anstimmte, inzwischen auf die Nerven ging. Um
Oster herum hörte sie schließlich davon, was sich zwei ihrer besten
Freundinnen für den Sommer vorgenommen hatten.
Text 4:
Kurz bevor Paul das Auto seines Vaters wieder in die Garage fuhr, hatte er
sich das Malheur noch genau angeschaut. Ein Kratzer, nicht besonders tief
zwar, aber doch deutlich sichtbar, zog sich über die beiden Türen an der
Fahrerseite. In einer halben Stunde würden seine Eltern zurück sein, die von
ihren Freunden abgeholt worden waren, um eine Ausstellung zu besuchen. Und
natürlich, würde sein Vater, spätestens am nächsten Morgen, wenn er wieder
zur Arbeit fuhr, sofort bemerken, was mit seinem heißgeliebten Auto, das er
nur ganz alleine fahren durfte, los war.
Text 5:
Zunächst war es nur wegen des Lärms, den sie angeblich machten, wegen dem
sich die Nachbarn, oben und unten im Haus, beschwerten. Dann war es wegen
den Parkplätzen vor dem Haus, den Fahrrädern im Hinterhof, dem Grillen auf
dem Balkon und den überfüllten Mülltonnen. Seit sie vor einem halben Jahr
aus der Flüchtlingsunterkunft ausziehen und mit ihrer fünfköpfigen Familie
in die Dreizimmer-Wohnung einziehen durften, war die Stimmung im Haus mehr
und mehr vergiftet. Ein älteres Ehepaar war vor einem Monat ausgezogen und
nun stand ein Kastenwagen vor der Haustüre und die neuen Mieter, eine
Familie mit zwei Kindern, zog ein.
Text 6:
Als sie morgens auf den Schulhof kam, bemerkte sie gleich, dass sich
irgendwie alle Augen auf sie richteten. Und am Eingang wurde sie von Cem und
seinen Freunden dazu blöd angegrinst. Als sie den Flur zu ihrem
Klassenzimmer entlangging, ließen sie ein paar Jungs geradezu Spalier laufen
und machten anzügliche Bemerkungen. In ihrem Klassenzimmer angekommen: das
Gleiche, blöde Sprüche und dummes Grinsen von der ganzen Bankreihe an der
Wand. Sie setzte sich neben ihre Freundin und fragte sie, was denn los sei.
Diese griff in ihre Schultasche und zückte ihr Smartphone, gerade als die
Klassenlehrerin den Raum betrat.
docx-Download -
pdf-Download
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.06.2024