Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie
aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl
gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still und
als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer.
Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte.
Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der
Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weißes am
Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd
gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche.
Auf
dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot
abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der
Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer
das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch.
Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an
ihr hoch kroch. Und sie sah von dem Teller weg.
"Ich
dachte, hier wäre was", sagte er und sah in der Küche umher.
"Ich
habe auch was gehört", antwortete sie, und dabei fand sie, dass er
nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war.
Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch
schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber
das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts
immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
"Du
hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf den kalten Fließen. Du
erkältest dich noch."
Sie
sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er
log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.
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Eine literarische Geschichte weitererzählen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.05.2025