Die Identität, welche der Mensch im Laufe seiner Entwicklung
ausbildet, ist in ganz erheblichem Maße geprägt von seiner
Sexualität und die Aufgabe junger Menschen, mit der eigenen
Sexualität umgehen zu lernen, gehört zu den wichtigsten
Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz.
Dabei ist Sexualität "in
zentrale Entwicklungsprozesse der Personalität und Sozialität des
Menschen verwoben", wie Helmut
Fend (2003,
S.258) betont: "Es geht nicht allein um die Bewältigung eines
dranghaften Zustandes, eines Triebes im Sinne einer Beherrschung und
Unterdrückung unerlaubter Formen der Sexualität, sondern um den
Erwerb eines Einverständnisses mit der eigenen Sexualität und um die
Fähigkeit, deren Befriedigung in soziale Bindungen einzubetten. Zu
lernen, Liebesbeziehungen einzugehen und zu lösen, könnte deshalb
mit Fug und Recht als die übergeordnete Aufgabe angesehen werden.
Die Bewältigung der Sexualität wird damit ein Kernaspekt der
sozialen Entwicklungsaufgaben im Jugendalter.
Sexualität hat aber auch viel damit zu tun, zu lernen, was einem
gemäß und nicht gemäß ist, was man für sich zu einem bestimmten
Zeitpunkt in einer bestimmten Situation mit einem Partner möchte.
Sexualität hat also auch mit Authentizität zu tun, ist Teil der
eigenen geschlechtlichen Identitätsbildung. (...) " (ebd.)
(▪ Entwicklungsaufgabe: Umgang mit
Sexualität lernen)
Postmoderne Identitätsbildung vollzieht sich heute in einem
komplexen und widersprüchlichen Prozess im Rahmen einer
Gesellschaft, die von der Individualisierung geprägt ist. In dieser
ist "die Biographie der Menschen aus vorgegebenen Fixierungen
herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das
Handeln jedes einzelnen gelegt (Beck
1986, S.216), gehört Identitätsarbeit zum Alltag.
Die Menschen
sollen und müssen sich aus allen Angeboten des Lebens diejenigen
suchen, die sie leben können und wollen. Sie werden zu den
Gestaltern ihrer eigenen "Bastelbiografie" (Gross
1985) und schaffen sich im Laufe ihres Lebens eine "Patchwork-Identität"
(Keupp 1989,
S.63ff., Keupp 1997,
S. 13), zu deren wesentlichem Bestandteil Sexualität gehört.
Und
auch die Identitätsfacetten, die mit Sexualität verbunden sind,
ändern sich im Laufe des Lebens, rein biologisch, aber vor allem
auch unter dem Einfluss der Gesellschaft, d. h. unter dem Einfluss des
generalisierten Anderen (Mead 1931).
In der individualisierten
Gesellschaft, in der jeder einzelne "bei Strafe seiner permanenten
Benachteiligung lernen (muss), sich selbst als Handlungszentrum, als
Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine
Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen"
(Beck 1986,
S.217), werden die Individuen umso mehr "darin bestärkt,
sich selbst
über ihre Sexualität zu definieren, die als Kern des Selbst
interpretiert wird. Was aber in einem Kontext sexuell ist, ist es in
einem anderen nicht: eine Erfahrung wird erst durch die Verknüpfung
mit sozial gelernten Bedeutungen sexuell. Man kann also sagen, dass
unsere Köpfe unsere erogenste Zone sind.“ (Caplan
2000, S.45, Hervorh. d. Verf.).
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.10.2021