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Das Lernen lernen

Überblick


  Über das Lernen und die Art, es richtig zu tun, hat der Volksmund viele Redensarten parat. "Übung macht den Meister" heißt es, wenn jemand zum Durchhalten ermahnt wird, der gerade dabei ist, aufzugeben. "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" weiß man anzubringen, wenn zum Beispiel getadelt werden soll, dass jemand etwas Bestimmtes zur rechten Zeit nicht gelernt hat.
Natürlich spricht manches dafür, wenn sich derartige Vorstellungen über die Art und Weise und den Sinn des Lernens in unser Alltagsverständnis vom Lernen tief eingeprägt haben, schließlich werden und wurden sie über Generationen hinweg gelernt, weitgehend unhinterfragt übernommen und wenn nötig, mit allen möglichen Mitteln der Erziehung, ja allem was die so genannte schwarze Pädagogik bereithielt, mit Rohrstock oder Liebesentzug durchgesetzt.
Noch 1888 heißt es in einem Schülergelöbnis:
"Ich gehöre zu den Kindern. Kindern wissen noch nicht viel, und darum müssen sie unterrichtet werden und lernen. Dadurch werden sie verständig.
Ich werde in der Schule von Lehrern unterrichtet. Ich bin meinem Lehrer Dankbarkeit und Gehorsam schuldig. So lange ich unterrichtet werde, bin ich ein Schüler. Ein guter Schüler ist aufmerksam; er hört nur das, was der Lehrer sagt, und denkt nur an das, was er tun oder begreifen und behalten soll.
Ein guter Schüler kommt gern in die Schule, ist fleißig, ordentlich, reinlich, sittsam und friedfertig. Er kommt nie zu spät in die Schule, ist nicht wild beim Herausgehen aus der Schule, und treibt sich nicht auf der Straße herum, sondern geht auf dem geraden Wege nach Hause. Ich will ein guter Schüler sein." (F. P. Willemsen, Der deutsche Kinderfreund. Ein Lesebuch für Volksschulen, verb. Aufl. Berlin 1888, S. 1, zit. n. Rutschky (Hg.) 8. Aufl. 2001, S. 107f.)
Die Vorstellungen von Erziehung und Unterricht, Lehren und Lernen, wie sie das Schülergelöbnis ausdrückt, sind heute sicher passé und die Hoffnung auf Schülergenerationen, deren Verhalten von einer solchen Anhäufung von Tugenden und Sekundärtugenden bestimmt werden, schwinden angesichts von PISA-Schock und Schulrealität in Deutschland schnell dahin. Aber auch Träumen von der "guten alten Zeit" führt nicht weiter, denn solche Träume führen mitten hinein in den "Nürnberger Trichter". Dann soll jemandem eben, ohne dessen eigenes Zutun, etwas "eingetrichtert werden". Das, so glaubte man lange, gehe dann mechanisch vor und verlange eigentlich nicht viel Anstrengung bei demjenigen, der etwas "eingetrichtert bekomme". "Man setzt ihn am Kopf an, so etwa in der Mitte, und gießt dann oben das hinein, was gelernt werden soll. Wie eine Flüssigkeit in eine schmalhalsige Flasche gehen die zu lernenden Inhalte dann nahtlos in den Kopf hinein." (Spitzer 2002, S. 2) Doch einen Nürnberger Trichter gibt es eben nicht, so wenig wie einen einfachen Wissenstransfer von einem Kopf in einen anderen. Und auch der Lerndrill früherer Tage, zu dessen Begründung angeführt wurde, man könne auf diese Weise auch die Fähigkeit zum Lernen fördern, ist mittlerweile überall dort, wo man sich ernsthaft um das Lernen bemüht, bedeutungslos geworden.
"Lernen", behauptet Manfred Spitzer (2002, S. 9), " hat ein negatives Image", da es meist mit negativ besetzten Erfahrungen in der Schule, mit "Büffeln" und "Pauken", Prüfungsängsten und anderem mehr in Verbindung gebracht wird. Ja, manch einer entwickelt in seiner Scheu vor Neuem sogar eine regelrechte Angst vor dem Lernen. Und doch ist das Lernen eine der Grundprozesse unserer Existenz als Menschen. Wir Menschen sind zum Lernen geboren und unsere neugeborenen Babys beweisen dies täglich aufs Neue. Unser Gehirn lernt immer und arbeitet wie ein "Informationsstaubsauger", der alles Wichtige um uns herum aufnimmt, filtert und auf eine sehr effektive Art und Weise verarbeitet. (vgl. ebd. S.10f.)
Was wir wahrnehmen und was wir lernen, hinterlässt Spuren in unserem Gehirn, die neurobiologisch untersucht und abgebildet werden können. Diese Spuren bezeichnet man als Repräsentationen. Sie stehen also z. B. für etwas, was wir wahrgenommen haben, was wir getan haben, tun oder zu tun beabsichtigen und verschaffen uns eine räumliche Vorstellung von uns selbst. Auch das, was wir gelernt haben oder lernen, schlägt sich in Repräsentationen nieder, die unter Umständen einer ständigen Veränderung unterzogen sind.
Neurobiologisch betrachtet sind es Nervenzellen (Neuronen)  die in einem äußerst komplexen Gefüge und Zusammenwirken miteinander dafür sorgen, dass Repräsentationen entstehen und oder zu komplexeren mentalen Modellen und Schemata zusammengefügt werden. Nach heutigen Erkenntnissen (vgl. z. B. Bindungsproblem bei der Wahrnehmung bzw. Theorie der Einzellenkodierung) ist es zwar eine sehr vereinfachte Vorstellung, aber dient doch der Veranschaulichung dessen, wie Neurobiologie und Wissens- bzw. Lerntheorie miteinander zusammenhängen: "Gehirne und deren Bauteile, die Nervenzellen (Neuronen), sind darauf spezialisiert, Repräsentationen in Abhängigkeit von der Umgebung auszubilden und zu verändern. Nervenzellen stehen für bestimmte Aspekte der Umgebung, für Ecken und Kanten, Gerüche und Klänge, für die Mutter und den Vater, für Gesichter und vertraute Plätze, für Wörter und Bedeutungen, Wünsche und Werte." (ebd. S.12)
Was der Neurobiologie Gerald Hüther (2001, S. 25) in diesem Zusammenhang festhält, gilt in besonderem Maße auch für das Lernen: "Nichts im Gehirn bleibt so, wie es ist, wenn es nicht immer wieder so genutzt wird wie bisher. Und nichts im Hirn kann sich weiterentwickeln und zunehmend komplexer werden, wenn es keine neuen Aufgaben zu lösen, keine neuen Anforderungen zu bewältigen gibt. [...] Wäre ein menschliches Gehirn nichts weiter als ein kompliziertes Denk- und Erinnerungsorgan, dann sollte es durch intellektuelle Ratespiele und das Auswendiglernen von Telefonbüchern am besten zu unterhalten und zu warten sein. Wäre es nichts als ein zentrales Koordinationsorgan zur Steuerung vitaler Körperfunktionen und komplexer Bewegungsabläufe, müsste es durch Abhärtungsprogramme und Leibesübungen trainiert und stimuliert werden. Diente das Gehirn in erster Linie dem Zweck, Wahrnehmungen aus unserer äußeren Lebenswelt und unserer inneren Körperwelt zu verarbeiten und entweder in unspezifische Bilder, Gefühle und Träume oder aber in spezifische Reaktionen umzusetzen, dann käme es vor allem darauf an, diese Fähigkeit zur Wahrnehmung und Verarbeitung des Wahrgenommenen zu schulen und fortzuentwickeln. Und wenn wir unser großes, lernfähiges Gehirn vor allem deshalb hätten, um uns gegenüber anderen zu behaupten, so wäre es ratsam, nach immer besseren Strategien zu suchen, um andere Menschen zu übertreffen, übers Ohr zu hauen, zu hintergehen, zu unterwerfen oder sonstwie für unsere Zwecke auszunutzen.
Auch wenn es in der Vergangenheit immer wieder so aussah und vielfach auch so dargestellt worden ist, als käme es bei der Benutzung des Gehirns auf die eine oder andere dieser vielen Fähigkeiten besonders an, so lässt sich vom heutigen Stand der Erkenntnisse zweifelsfrei festhalten, dass es auf alles gleichermaßen ankommt. Das Kunststück bei der Bedienung unseres Gehirns besteht also darin, dass wir versuchen müssen, immer wieder Bedingungen zu schaffen, die es nicht nur möglich, sondern sogar erforderlich machen, all diese verschiedenartigen Fähigkeiten unseres Gehirns möglichst gleichzeitig zu benutzen und gleichermaßen auszubauen."
Lernen ist, soviel steht sicher fest,  ein sehr komplexer Begriff und umfasst eine Vielzahl von Aspekten. Dazu gehören das Auswendiglernen, der Erwerb bestimmter Fertigkeiten, die Erweiterung schon vorhandener Kenntnisse, die Anwendung von Gelerntem genauso wie das Gewinnen neuer Erkenntnisse, das Ziehen von Schlüssen aus Beobachtungen und Erfahrungen und auch das Verstehen von Zusammenhängern. (vgl. Schräder-Naef 1971/1994, S. 15)
Das Konzept Lernen lernen, das schon seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in unterschiedlichen Varianten rezipiert und progagiert wird, versucht solchen Überlegungen auf vielfältige Weise Rechnung zu tragen. Verband man früher damit nicht selten einfach die Fähigkeit, immer wieder neu oder lebenslang zu lernen, wird es heute oft auf die Förderung von Methodenkompetenz reduziert. In deren Mittelpunkt steht dann eben nicht deklaratives und statisches Faktenwissen, sondern prozedural-dynamisches Anwendungswissen und der Erwerb von Fertigkeiten (Handlungswissen). Aber selbst in diesem Wissen geht das Konzept Lernen lernen nicht vollständig auf. Denn auch wenn es generell darum geht, die Methodenkompetenz des einzelnen durch eine möglichst effektive Auswahl und Anwendung von Techniken, Methoden und Strategien zur Organisation des Lernprozesses, die Wissensaufnahme, - verarbeitung und -speicherung sowie dessen Anwendung zu verbessern, geht das Konzept über die  Förderung solcher Primärstrategien hinaus. Wesentliche Bestandteile des Konzepts sind Stützstrategien, die sich Fragen der Motivation, der Konzentration, der Entspannung und der (Selbst-)Kontrolle widmen (vgl. Chott 2001) Und schließlich spielen Gefühle bei jedem Vorgang in unserem Gehirn eine außerordentlich große Rolle, so dass der Umgang mit ihnen eine der wesentlichen Grundpfeiler eines zeitgemäßen Konzeptes vom Lernen lernen darstellen muss.

 

 
     
     
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