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Zu allen möglichen Consequenzen hätte ein solcher Vorfall [Noras
Unterschriftenfälschung, d. Verf. ] führen können, z. B. dazu, daß
er eine lose Ehe fester knüpft und inniger schließt, daß er dem
Manne, der sich nicht die Mühe gegeben hat, sein Weib gründlich
kennen zu lernen, die Augen öffnet - zu allem Möglichen, nur nicht
zu dem, was Ibsen daraus gefolgert hat: zu einer dauernden
Entfremdung der beiden Ehegatten, zur Loslösung Noras von ihrem Mann
und ihren Kindern.
Wir folgen dem geistvollen und höchst interessanten Schauspiel bis
zu dem Augenblicke, in dem die verhängnißvolle Urkunde mit der
Fälschung Noras in den Händen eines zu jeder Schandtat bereiten
Menschen sich befindet, mit der wärmsten Theilnahme; sobald aber
dieses Document unschädlich gemacht wird und Ibsen nun dem Zuschauer
zumuthet, den merkwürdigen Sprung mitzumachen, den beseitigten Stein
des Anstoßes als einen Felsblock zu betrachten, der das Glück einer
bisher ungestörten Ehe zertrümmert, steht der Zuschauer vor einer
Unbegreiflichkeit, die ihm den Kopf schütteln macht, und die die
beiden Helden um alle Sympathien, die sich sich bisher gewonnen
hatten, bringt. [...]
Nora beklagt sich, daß sie von ihrem Manne immer nur wie
leichtsinniges, fröhliches, lustiges Ding behandelt worden ist, das
nur dazu da ist, Sonnenschein in die Familie zu bringen, zu lachen
und zu scherzen, - ein Kind, das mit den Kindern wie mit lebendigen
Puppen spielt. Wir fragen uns aber: woraus leitet Nora den Anspruch
her, anders behandelt zu werden? Benimmt sie sich nicht genau wie
eine kleine Frau, die man nicht ernsthaft nehmen kann, die ein
liebenswürdiger, heitrer Cumpan für's Leben ist, die das Dasein des
geplagten Mannes mit Rosen bestreut? Und ist das eine der Frau so
vollkommen unwürdige Aufgabe? Muß die Frau wirklich an allen
schweren Sorgen, die den Mann bedrücken, den vollen Antheil haben,
und kann man sich nicht denken, daß die Aufgabe der Gattin schon
recht würdig gelöst ist, wenn sie durch ihr heiteres, angeregtes
Wesen dem Manne in den Mußestunden so viel Frische und Kraft gibt,
daß der den harten Kampf des Daseins erfolgreich führen könne, wenn
sie eine zärtliche, erheiternde Gattin und liebende Mutter ist?
[...] Aber diese Nora hat es sich nun einmal in den Kopf, - nein von
dem Kopfe kann man da nicht reden , - gesetzt, daß ihr Mann, sobald
er erfährt, wie sie eine Unterschrift gefälscht, wie sie hinter
seinem Rücken Schulden gemacht - Schulden, deren Nothwendigkeit ihm
ebenso wenig klar sein kann, wie ihm die Verwendung der erhobenen
Gelder unverständlich ist -, wie sie mit einem Worte lauter Dinge
begangen hat, die der Natur ihres Mannes widerwärtig sein müssen, -
daß ihr Mann da sofort die tiefverborgenen Quellen ihres Handelns
entdecken und thun müsse, was sie das »Wunderbare« nennt.
Helmer müsse, wenn er Nora wirklich liebt, wie sie es will, auf der
Stelle den ganzen mysteriösen Zusammenhang errathen; er müsse auch
errathen, daß Nora bereit sei, in den Tod zu gehen, um es ihm
unmöglich zu machen, sich für sie als Schuldigen zu bekennen. Das
ist wirklich etwas viel verlangt, das ist gar zu »wunderbar«, und
weil dieses »Wunderbare« nicht geschieht, deswegen ist Helmer des
Zusammenlebens mit ihr unwürdig, deswegen werden die acht Jahre
einer glücklichen Ehe aus ihrer Existenz mit einem Striche getilgt,
deswegen wird mit einem Worte die Familie von ihr zu Grunde
gerichtet! Ihre Kinderei, die in den acht Jahren der Ehe
humoristisch und liebenswürdig gewesen ist, wird jetzt in diesem
entscheidenden Momente pathetisch, tragisch und im äußersten Sinne
antipathisch. In dieser Nora ist kein Funke von Liebe mehr. Sie
meint vielleicht, daß es großartig ist, was sie thut; es ist einfach
unverzeihlich und widerwärtig erschreckend.
An dieser Stelle, in der Mitte des letzten Actes, beginnt ein neues
Schauspiel mit ganz neuen Figuren. Und das ist, abgesehen von allem
Andern, auch ein starker Verstoß gegen die Composition des
Kunstwerkes. So elastisch ist ein großes Publikum nicht, daß es,
nachdem es sich durch den ganzen Abend eine feste Vorstellung von
den Helden des vor ihm dargestellten Schauspiels gebildet hat, nun
die völlige Wandlung, die der Dichter an diesen Figuren vornimmt,
mitmacht. Man steht befremdet und ernüchtert vor diesem neuen
Schauspiele, das vielleicht ein meisterhafter Roman hätte werden
können. So reizend Nora als unbedachte kleine Frau ist, so abstoßend
ist sie als verkanntes Weib, und es ist sehr bedenklich, daß der
Dichter diesem verkannten Weibe Worte in den Mund legt, die an sich
tief wirkende und poetisch richtige sind.
Man ist gewöhnt, nur solche Stücke als unsittliche zu bezeichnen, in
welchen geschlechtliche Verhältnisse in einer Weise behandelt
werden, die dem öffentlichen Schamgefühl zuwider ist. In diesem
Sinne lässt sich gegen das Ibsen'sche Drama natürlich gar nichts
sagen. Gleichwohl muß ich dasselbe als ein sittlicher Beziehung sehr
bedenkliches bezeichnen, ja, es erscheint mir viel bedenklicher als
die krassesten Ehebruchsdramen der französischen Schule. Hier werden
mit großem dichterischen Talente und großer Beredsamkeit Gefühle und
Gesinnungen ausgesprochen, die durchaus ungesund, und die, wie ich
fürchte, wie dazu gemacht sind, in das Fleisch und Blut ungesunder
weiblicher Organismen überzugehen und das Arsenal der »Verkannten«
um Prachtstücke ersten Ranges zu bereichern. Das Begriffsvermögen
der beschränktesten Person reicht gerade so weit, um die reizvolle
Rolle der Unverstandenen und Verkannten zu verstehen. Zu einer Nora
bringt jede phrasenhafte und oberflächliche Frau das nöthige Zeug
mit. Daß Helmer, der ja sonst so klug ist, auf die lächerliche
Verirrung Noras nichts zu erwidern hat, daß sie mit ihren
kindischen, thörichten, ungesunden Ideen den Sieg davonträgt und das
Schlachtfeld verläßt, nachdem sie den stärkeren Gegner zu Boden
geworfen hat, daß der Unsinn siegt und die Vernunft untergeht, - das
ist es, was ich nicht anders denn als unsittlich bezeichnen kann.
(aus: Paul Lindau: Nora, in: Die Gegenwart. Wochenschrift für
Literatur, Kunst und öffentliches Leben, Berlin: Stilke, Bd. 18, Nr.
48 (27.11.1880), S.348f.)
Dieses Werk (Ein in sittlicher Hinsicht sehr bedenkliches Stück (1881), von
Paul Lindau), das durch Gert Egle gekennzeichnet wurde, unterliegt keinen bekannten urheberrechtlichen Beschränkungen.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.03.2024
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