Der
Begriff ▪"Literarisches
Rollenspiel" wird in der
▪
Literaturdidaktik heute als ein "Sammelbegriff für alle Verfahren des
Literaturunterrichts" verwendet, "in deren Rahmen nicht über ein
literarisches Werk gesprochen wird, sondern aus einer von ihm angebotenen
Perspektive geredet und agiert wird." (Abraham/Kepser
22006, S.195)
Als Aufgabenstellung im Rahmen des
kreativen
Schreibens hat es unter diesem Begriff Eingang in die schriftlichen
Prüfungen an verschiedenen Schularten in Deutschland gefunden. Dabei wird
der Begriff weitgehend synonym mit dem der
▪ produktiven Textarbeit
verwendet, hebt sich indessen von der eigentlichen
▪ szenischen Interpretation
ab.
Das literarische Rollenspiel wird oft
mit den
▪
Leerstellen begründet, wie sie die
▪
Rezeptionsästhetik der Literaturwissenschaft entwickelt hat. Deren
Annahmen sind indessen in der Literaturwissenschaft selbst nicht
unumstritten. Zudem hält diese Begründung auch der Praxis des literarischen
Rollenspiels im Literaturunterricht nicht völlig stand. Denn
Aufgabenstellungen zum literarischen Rollenspiel erschöpfen sich nicht
ausschließlich im Ausfüllen aufgefundener oder vermuteter Leerstellen im
Text, sondern werden auch häufig mit dem Ziel gestellt, einen Text in einer
bestimmten Weise zu verändern. (vgl.
ebd.)
Statt bei der Texterschließung auf inhaltsichernde Verfahren,
textnahes
Lesen oder auch diskursive Verfahren zurückzugreifen, soll beim
literarischen Rollenspiel, das man zu den szenischen Verfahren bei der
Texterschließung zählen kann (vgl.
ebd.), von den Lernenden etwas
in spielerischer Weise "ausagiert"
werden, was so überhaupt nicht oder jedenfalls nicht so detailliert im
Text steht, "z.B. die Gedanken zweier Dialogpartner beim Sprechen; einen
inneren Monolog, der einen Gewissenskonflikt an einer Schlüsselstelle
verbalisiert, eine Nebenhandlung oder die Perspektive, aus der eine im Text
nur erwähnte Randfigur die Geschehnisse sieht; ein ethisches, pädagogisches,
soziales Problem, das der Text offensichtlich anspricht und das im
Unterrichtsgespräch herausgearbeitet worden ist oder noch werden soll."
(ebd.)
Ulf Abraham und Matthis Kepser (22006,
S.195) halten die nachfolgenden fünf methodischen Varianten des
literarischen Rollenspiels für besonders wichtig:
-
eine Abänderung einer
Ergänzung eines in der Textvorlage nicht oder nicht so enthaltenen
Dialogs von zwei Figuren
-
eine Wiederholung oder
Fortführung eines Dialogs auf der Grundlage eines Rollentauschs
-
ein innerer Monolog einer
Figur, die unausgesprochene Gedanken und Gefühle einer Figur ausdrückt,
u. U. auch realisierbar in der so genannten "Alter-ego-Technik". Dabei
steht ein quasi "zweites Ich" hinter demjenigen, der den Monolog spricht
und gibt ihm Stichwörter, redet irgendwie drein oder widerspricht
-
eine Art geleiteter Monolog,
bei dem der Spielleiter den Monolog einer Spielfigur mit gezielten
Fragen unterbrechen kann
-
eine Stop-Verfahren, das
allen Zuschauern ermöglicht, einen solchen Monolog oder Dialog zu
unterbrechen, verbunden mit der Aufforderung das Spiel der Figur in eine
bestimmte Richtung zu lenken. Dies muss von der Spielfigur in ihr Spiel
eingebaut werden.
Auch wenn das literarische Rollenspiel zu den szenischen Verfahren bei
der Texterschließung gezählt werden kann (s. o.) und damit eine begriffliche
Abgrenzung von ▪ literarischem Rollenspiel und
▪ szenischer
Interpretation nicht so ohne weiteres möglich scheint, geht letztere,
zumindest in der Konzeption Ingo
Schellers
(1999,
22008 etc.), deutlich über das literarische Rollenspiel
hinaus. Die szenische Interpretation verfolgt umfassendere, ganzheitliche
Ziele im Rahmen ihrer personalen und intrapersonalen Wirkungsabsichten, die
über den literaturdidaktischen und ggf. literaturpädagogischen Rahmen der
Texterschließung in der Schule als ▪
schulische Schreibform
hinausreichen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023