Das Gattungskonzept ist maßgebend
Bei der ohnehin nicht ganz unproblematischen Einteilung literarischer
Werke in ▪
Gattungen kann man nach
Wilhelm Voßkamp (1992) zwei grundlegend verschiedene ▪
Gattungskonzepte unterscheiden:
Die normativen
triadischen Konzepte (Epik,
Lyrik,
Drama)
bauen im Allgemeinen auf geschichtsphilosophischen oder
anthropologischen Annahmen auf.
Die nicht-normativen
Konzepte verstehen sich dagegen kommunikationsorientiert und sind
struktur-, sozial- und funktionsgeschichtlich ausgerichtet. Sie
betonen "den historischen Charakter literarischer Gattungen im Sinne
soziokultureller Konventionen." (Wilhelm
Voßkamp (1992), S.253).
▪
Gattungen unter sozial- und funktionsgeschichtlicher
Perspektive
Normative Klassifikationskonzepte können dennoch Sinn machen
Dass man mit herkömmlichen, auch gattungstriadisch fundierten
Klassifikationskonzepten sinnvoll arbeiten kann, zeigt
Klaus
Müller-Dyes (1996) auf, der eine etwas andere Einteilung der
Gattungskonzepte vornimmt und dabei auch den klassifikatorischen,
systematischen Ansatz verteidigt. Er unterscheidet zwischen ▪
historischen Gattungen und ▪
systematischen Gattungsbegriffen.
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Sein systematischer
Ansatz zielt dabei vor allem auf die "Überprüfung und kritische
Rekonstruktion vorhandener Gattungskonzepte", die sowohl historische
wie systematische Aspekte einbezieht.
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"Gattungsbegriffe
sind", so führt er aus, "Klassenbegriffe, die über eine begrenzte
Menge von mehr oder weniger isolierten, obligatorischen wie
fakultativen Merkmalen gebildet sind. Je nach Anzahl dieser
Merkmale, d.h. je nach Grad der Abstraktion vom konkreten Text,
entsteht eine Rangfolge, wobei der übergeordnete Begriff den jeweils
untergeordneten einschließt."
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Dabei lässt das
Konzept eine fast beliebige Erweiterung von Haupt- und
Untergattungen und bestimmten Typen zu, da es "unzählige Klassen von
Texten gibt, und zwar über die Anzahl der historisch bereits
vorhandenen hinaus."
Zu den wichtigsten
Merkmalen, die Gattungen konstituieren, gehören nach Ansicht von
Klaus
Müller-Dyes (1996, S. 326f.)
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Sprechhaltung (z. B.
Befehl oder Bitte)
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äußere Form (Länge
oder Kürze, Vers oder Prosa)
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Darbietungsform
(Bühne, Film, Gesang)
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subkategorielle
Bestimmungsgrößen aus dem Gebiet der Metrik oder Stilistik
Gegen den Einwand "Gattungsbegriffe seien darum nicht brauchbar, weil
sie »wenig über die Eigenschaft des dergestalt klassifizierten Objekts«
aussagten (Hempfer 1973, S.137)", verteidigt
Müller-Dyes
(1996, S. 326f.) das klassifikatorische Verfahren mit dem Argument,
dass es diesem gar nicht um die »Eigenschaft« der individuellen
Texte gehe, "die es absolut ja übrigens gar nicht gibt, sondern um ein
Ordnungsprinzip, ohne das wissenschaftliche Aussagen sinnlos wären."
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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