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→Wahlkämpfe
verlangen nach besonderen Programmen, die man als
Wahlprogramme
bezeichnet. Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als würden
sie für Wählerinnen und Wähler verfasst, die sich nach dem
Vergleich verschiedener Wahlprogramme bei ihrer Stimmabgabe für eine
Partei entscheiden, wissen die Parteien
und ihre Wahlkampfstrategen natürlich genau, dass sich die Wählerinnen
und Wähler auf andere Weise ihr Bild von den Parteien machen. So gesehen
dienen Wahlprogramme eben nur in eingeschränktem Maße der Außenwerbung.
Und wenn sie das tun, dann sind sie meist Teil einer medialen
Inszenierung auf so genannten Wahlparteitagen, mit denen Parteien
vor anstehenden Wahlen auf Kurs gebracht und, bei innerparteilichen
Kontroversen, auf einen "Burgfrieden" verpflichtet werden.
Wählerinnen und Wähler kümmert also, abgesehen von der auf sie ebenso
wie die Parteimitglieder zielende Gesamtinszenierung also
vergleichsweise wenig, was in den einzelnen Wahlprogrammen genau steht.
Sie stehen den Materialschlachten, welche die Parteien mit großer
Regelmäßigkeit in den Wahlkämpfen veranstalten eher skeptisch gegenüber.
Viele von ihnen haben offenbar die Erfahrung gemacht, dass das, was vor
den Wahlen zu Papier gebracht worden ist, nach den Wahlen kaum mehr das
Papier wert ist, auf dem es gedruckt worden ist. Die Wahrnehmung der
Wählerinnen und Wähler deckt sich dabei nicht unbedingt mit dem, was die
politikwissenschaftliche Forschung festgestellt hat. Danach entspricht
die Regierungspolitik in den meisten Demokratien im Großen und Ganzen
dem, was in den Wahlprogrammen der Regierungsparteien angegeben worden
ist. (Rölle
2001, zit. n.
Rudzio 2011, S.130)
Unabhängig davon aber, ob die Parteien mit Wahlprogrammen wirklich
"Waschmittelwerbung" betreiben und trotz anderslautender Erklärungen den
Wähler für dumm verkaufen und ihm "das »Blaue vom Himmel« herunterlügen." (Alemann
1994, S.305), feststeht jedenfalls, dass das, was in Wahlprogrammen
geschrieben steht, offenbar die unmittelbaren Lebensinteressen der
Wählerinnen und Wähler kaum berührt (vgl.
Rudzio 2011,
S.203)
So dienen, wie schon gesagt, Wahlprogramme also in erster Linie dazu,
dass sich die Parteimitglieder auf bestimmte Inhalte verständigen
(innerparteiliche Selbstverständigung) und ihre zum Teil doch recht
unterschiedlichen Interessen unter einen Hut bringen. (innerparteilicher
Interessenausgleich) (vgl.
Sarcinelli
1995, S.629)Im Rahmen einer etwas antiquiert erscheinenden
Typologie von Parteiprogrammen heben sich Wahlprogramme insbesondere
von den
→Grundsatzprogrammen
einer Partei ab, mit denen die Parteien immer wieder einmal,
allerdings meist in größeren Zeitabständen, eine prinzipielle
Standortbestimmung vornehmen. Sie präsentieren mit werbender Absicht und
einer entsprechenden Sprache im Allgemeinen mittel- und kurzfristige
Ziele einer Partei, die sich auf eine (bevorstehende) Legislaturperiode
beziehen und gründen dabei auf den traditionellen Wertorientierungen der
Partei. Dabei müssen sie natürlich so gestaltet sein, dass sie die
Partei bei unvorhergesehenen politischen Ereignissen nicht so festlegt,
dass sie sich diesen kaum mehr anpassen kann. Mit einer gewissen
inhaltlichen Beliebigkeit dennoch die Bigpoints in möglichst vielen
politischen Auseinandersetzungen und Scheingefechten eines Wahlkampfes
zu machen und dem politischen Gegner keine Flanke zu öffnen, ist die
hohe Kunst bei der Fixierung politischer Aussagen in einem Wahlprogramm.
In ihrem ZEIT-ONLINE -Blogbeitrag zur programmatischen Ausrichtung
der Parteien vor der Bundestagswahl 2013 kommen
Marc Debus und Jochen Müller (2013) auf der Basis einer
computerisierten Inhaltsanalyse (WordScore-Methode)
zu dem Ergebnis, dass "es weniger die Sozialdemokraten und auch
nicht die Grünen oder die Linke (sind), die in signifikanter Form ihre
programmatische Ausrichtung verschoben hat, sondern vielmehr die FDP."
Sie habe sich im Vergleich mit 2009 sich in Fragen der Wirtschafts- und
Sozialpolitik sehr stark der CDU angenähert." Dabei vermuten die
Autoren, dass sich dahinter die Strategie verbirgt, mit der Verringerung
der inhaltlichen Distanz an dieser wirtschaftlich-sozialen Konfliktlinie
(z.B. Mindestlohn-Debatte) bei der bevorstehenden Bundestagswahl besser
auf "Zweitstimmenfang" im Lager der "rechteren Parteiengruppe" (Rudzio
2011, S.127, CDU/CSU und FDP) gehen zu können, um den durchaus
drohenden Fall unter die 5%-Klausel abwenden zu können. Zugleich biete
die damit auch vorgenommene Verringerung der inhaltlichen Distanz zur
SPD und den Grünen an dieser Konfliktlinie der FDP beim Wiedereinzug in
den Bundestag grundsätzlich neue Koalitionsoptionen.
Wer sich, vor allem im Bereich der politischen Bildung, mit
Wahlprogrammen und Grundsatzprogrammen der Parteien detailliert
auseinandersetzen will, findet im Vorfeld von Wahlen, insbesondere von
Bundestagswahlen, ein vielfältiges, qualitativ aber sehr
unterschiedliches Angebot im Internet.
Im Zusammenhang mit der Arbeit an →Wahlprogrammen
zur Bundestagswahl 2013 können die folgenden Angebote empfohlen
werden:
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.07.2016
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