25. Oktober.
[...] Die Eltern
spielten Karten; ich saß allein dabei, gänzlich fremd; der Vater
sagte, ich solle mitspielen oder wenigstens zuschauen; ich redete
mich irgendwie aus. Was bedeutete diese seit der Kinderzeit vielmals
wiederholte Ablehnung? Das gemeinschaftliche, gewissermaßen das
öffentliche Leben wurde mir durch die Einladung zugänglich gemacht,
die Leistung, die man als Beteiligung von mir verlangte, hätte ich
nicht gut, aber leidlich zustande gebracht, das Spielen hätte mich
wahrscheinlich nicht einmal allzusehr gelangweilt – trotzdem lehnte
ich ab. Ich habe, wenn man es danach beurteilt, unrecht, wenn ich
mich beklage, daß mich der Lebensstrom niemals ergriffen hat,
daß ich von Prag nie loskam,
niemals auf Sport oder auf ein Handwerk gestoßen wurde und
dergleichen –
ich
hätte das Angebot wahrscheinlich immer abgelehnt, ebenso wie die
Einladung zum Spiel.
Nur das Sinnlose bekam Zutritt, das Jusstudium, das Bureau, später
dann sinnlose Nachträge, wie ein wenig Gartenarbeit, Tischlerei und
dergleichen, diese Nachträge sind so aufzufassen wie die
Handlungsweise eines Mannes, der den bedürftigen Bettler aus der Tür
wirft und dann allein den Wohltäter spielt, indem er Almosen aus
seiner rechten in seine linke Hand gibt.
Ich lehnte aber immer
ab, wohl aus allgemeiner und besonders aus Willensschwäche, ich habe
das verhältnismäßig sehr spät erst begriffen. Ich hielt diese
Ablehnung früher meist für ein gutes Zeichen (verfuhrt durch die
allgemeinen großen Hoffnungen, die ich auf mich setzte), heute ist
nur noch ein Rest dieser freundlichen Auffassung geblieben.
29. Oktober.
Einen der nächsten
Abende beteiligte ich mich dann wirklich, indem ich für die Mutter
die Ergebnisse notierte.
Es ergab sich aber kein Nähersein, und wenn auch eine Spur
dessen da war, so wurde sie
überhäuft von Müdigkeit, Langeweile, Trauer über die verlorene Zeit.
So wäre es immer gewesen. Dieses
Grenzland zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft habe ich nur äußerst
selten überschritten, ich habe mich darin sogar mehr angesiedelt als
in der Einsamkeit selbst. Was für ein lebendiges schönes Land
war im Vergleich hierzu Robinsons Insel.
Kafka, Franz. Tagebücher 1910 - 1923
(S.447-448). BookRix. Kindle-Version.
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Franz Kafka