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(Zusammen mit seiner schwer erkrankten Frau und seinem drei Monate
alten Kind Fortinbras lebt der Schauspieler Niels Thienwiebel in ärmlichen
Verhältnissen. Da er schon seit längerer Zeit ohne Engagement ist - früher
war er einmal Darsteller des "Hamlet" in William Shakespeares (1564-1616)
Drama gewesen -, ist "Papa Hamlet" dem Alkohol verfallen, während seine
Familie in ihrem Elend zu ertrinken droht. Wieder einmal kommt er in der
nachfolgenden Szene betrunken nach Hause.)
Er hatte sich seinen
alten Zylinder, auf dem noch der dicke Schnee lag, vom Kopf gerissen und
feuerte ihn nun wütend in die dunkle schreiende Ecke, wo der Korb stand.
Die Tür hinter ihm war dröhnend ins Schloss gekracht.
"Niels!"
Das Deckbett, das jetzt quer auf den Dielen lag, hatte zur Hälfte den
Stuhl mitgerissen. Sie kniete aufrecht mitten im Bett. Ihre Nachtjacke
vorn hatte sich ihr bis oben unter die Arme verschoben, ihr Haar hing in
Strähnen um ihr Gesicht.
"Halt's Maul! Fang nicht auch noch an!"
Er hatte sich jetzt auch seinen alten abgeschabten Rock runtergezerrt. Das
kleine Spiegelchen über der Kommode, gegen das er ihn geschleudert hatte,
war runtergeschnurrt und lag nun zersplittert auf dem blinkenden
Wachstuch.
"Na, wird's bald?!"
Der kleine Fortinbras jappte nur noch.
Na?!... Dein Glück, Kanaille!..."
Seine Stiefel waren dumpf gegen die kleine Kiste neben dem Ofen gebullert.
Der aufgeschlammte Schnee dran war nass gegen die Kacheln geplatscht. Er
suchte jetzt nach den Pantoffeln.
"Ach was! Halt dein Maul, sag' ich!... Die Ohren vollplärren... Könnte
mir noch grade passen! ... Sind die Sachen gepackt?!"
Das Schnarchen nebenan hatte aufgehört. Es schubberte jetzt deutlich gegen
die Tür.
"Ob du gepackt hast?!"
Sie stotterte.
"Natürlich! Man hat ja mal wieder zur Abwechslung die Schwindsucht!..."
Sein Schatten, der bis dahin kreuz und quer über die weiße Decke
geschossen war, war jetzt verschwunden. Er hatte sich unter den Tisch
gebückt.
Vom Bett her hatte es eben laut zu husten angefangen.
"Ach, du mein lieber Gott!... Ach Gott! Ach Gott! Die arme Frau!"
Sie jetzt ihr Gesicht in das Kissen gepresst und weinte.
"Nuja! Nuja! Nu heul doch noch'n bisschen! Das ist ja deine Force!
Weiter kannste ja woll nischt!"
Er war eben in die Pantoffel gefahren und suchte nun auf dem Tisch herum.
Ein Messer klappterte gegen die Kochmaschine, eine Tasse war umgekippt.
"Natürlich! Keen Fippschen mehr! Für deine Schwindsucht hast du ja
noch'n janz guten Appetit! ... Herrlich! Das tut immer, als ob es Poten
saugt und frisst ein'm die Haare vom Kopp runter!"
Er hatte sich seine Fäuste in die Hosentaschen gestopft und schnaubte nun
im Zimmer auf und ab.
"So 'ne Zucht! So eine - Zucht!!"
Er hatte mit dem Fuß in die kleine hohle Kiste mit dem Nähzeug gestoßen.
Die Flasche war auf den Boden geschlagen, das Licht bis unters Bett
gekullert.
(aus: Arno Holz u. Johannes Schlaf, Papa Hamlet. Ein Tod.
Stuttgart: Philipp Reclam Verlag, Nr.8853) *Arno Holz (1863-1929); Apothekersohn, freier
Schriftsteller in ungesicherten Verhältnissen; seit 1888/89 Freundschaft
mit Johannes Schlaf, mit dem er sich später völlig verfeindet;
Begründer und erster bedeutender dt. Theoretiker der
Literaturepoche des
Naturalismus (1880-1910); in frühen dramatischen Werken
ein Meister des sog.
Sekundenstils mit überaus ausführlichen
Regieanweisungen. |
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