Mit dem Parabeltyp ist oft auch die Kennzeichnung des »Einfachen«, von der
Forschung als Vorwurf gemeint, der »Vereinfachung« verbunden: das komplexe
Geschehen werde parabolisch (und didaktisch) zubereitet, vor allem die
Figurenzeichnungen ganz der Funktion, die die Figuren innerhalb der »Idee«
zu erfüllen hätten, untergeordnet. Der Begriff der »Einfachheit« jedoch
ist wie der der »Naivität«, den
Brecht
später für sein Theater gebraucht hat […], ein dialektisch konkreter, das
heißt: zusammengesetzter Begriff. Er stellt das Ergebnis eines Prozesses
dar und meint nicht, dass etwas »schlicht« so sei (bzw. dass mit
ursprünglicher Naivität = gesundem Menschenverstand zu rechnen sei).
Einfachheit bezieht sich auf das ästhetische Verfahren, Naivität auf die
mögliche Zuschauerhaltung, die die »Einfachheit« zu genießen weiß. […]
»Einfachheit« in der Ästhetik bedeutet […] nicht Vereinfachung, sondern
die Herstellung von Bildern, deren Genuss naiv, das heißt: unmittelbar
möglich ist, die aber dennoch das Ergebnis höchst komplexer und
vermittelter erkenntnismäßiger und ästhetischer Prozesse ist, das dann
unmittelbar »einleuchtet« […].
Die Figuren gehen – bei diesem theoretischen Konzept (die Praxis ist eine
andere Frage) – nicht in ihrer Funktion auf bzw. sind bloße
»Verkörperungen« von Ideen, auch sie sind Ausdruck personaler Komplexität,
und zwar auch dann, wenn es sich um »einfache Menschen« handelt, (vgl.
z.B. die Courage). Brechtsche Einfachheit resultiert aus
Realitätserfahrung und Realitätskenntnis: diese gerade sieht er beim
Bürgertum oder den »gehobenen Schichten« gar nicht so ausgeprägt, wie sie
es selbst glauben mögen, gelten doch ihre Anstrengungen dazu, möglichst
wenig Realität zum Vorschein zu bringen, dafür aber sich an scheinbar
komplizierten Gedanken irrealer Art zu delektieren. Brecht bestimmt den
Gegenbegriff zu Einfachheit als den der Primitivität.
(aus:
Knopf 1996, S.409f.)