Die
Triebbasis
des autoritären Charakters ist nach Fromm von den beiden
Strebungen
Masochismus und Sadismus bestimmt. Aus diesem Grunde spricht Fromm,
wenn es ihm nicht darum geht, "den psychologischen Aspekt seiner
Charakterstruktur in eine politische Haltung" (Fromm
1977/1992, S.330) zu übersetzen, auch vom
sadomasochistischen Charakter. Die Begriffe autoritärer und
sadomasochistischer Charakter entsprechen sich daher in ihrem jeweiligen
Bedeutungsumfeld. "Diese Auffassung", so begründet Fromm, "ist insofern
gerechtfertigt, als Personen, deren politische Haltung man im allgemeinen
als autoritär (im aktiven oder passiven Sinn) bezeichnen kann, in der Regel
(in unserer Gesellschaft) die Merkmale des sadomasochistischen Charakters
aufweisen: die Beherrschung der Untergebenen und Unterwürfigkeit gegenüber
den Vorgesetzten." (ebd.) Ob sich im Verhalten des autoritären
Charakters die eine oder andere Strebung zeigt, hängt davon ab, ob sie
sich auf einen Stärkeren oder einen Schwächeren als Objekt bezieht.
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Der
Masochismus des
autoritären Charakters zielt, so Erich Fromm, darauf ab, "unter
Preisgabe der Individualität der eigenen Persönlichkeit und unter
Verzicht auf eigenes Glück das Individuum an die Macht hinzugeben,
sich in ihr gleichsam aufzulösen und in dieser Hingabe, die in den
pathologischen Fällen bis zum
Erleiden körperlicher Schmerzen geht, Lust und Befriedigung zu
finden." (Fromm
1936/1980, S. 141-187)
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Der
Sadismus des autoritären
Charakters verfolgt dagegen umgekehrt das "Ziel, einen anderen zum
willen- und wehrlosen Instrument des eigenen Willens zu machen, ihn
absolut und uneingeschränkt zu beherrschen und in den extremen
Fällen ihn zum Leiden und den damit verbundenen Gefühlsäußerungen zu
zwingen." (ebd.)
Die Tatsache, dass seine grundlegende Beziehung zur Macht von
Furcht geprägt ist, dringt indessen kaum ins Bewusstsein des
autoritären Charakters, zumal seine Gefühle im Zuge der
Reaktionsbildung,
"bei der das Individuum anders denkt und handelt, als es seinen
unbewussten Impulsen entspricht" (Bourne/Ekstrand
2005, S.369) von "Ehrfurcht, Bewunderung und Liebe" (Fromm
1936/1980, S. 141-187) zeugen.
Man kann sogar sagen: "Wo
dieser Charakter Macht spürt, muss er sie beinahe automatisch verehren
und lieben. Dabei ist es gleich, ob es sich um die Macht eines
Menschen, einer Institution oder eines durch die Gesellschaft
anerkannten Gedankens handelt. Man könnte für ihn mit Recht das
bekannte Sprichwort umdrehen und sagen: »Wer ihn züchtigt, den liebt
er.« Er ist glücklich, wenn er Befehlen folgen kann, falls nur diese
Befehle von einer Instanz kommen, die er infolge ihrer Macht und der
Sicherheit ihres Auftretens fürchten, ehrfürchten und lieben kann.
Dieser Wunsch, Befehle zu erhalten und nach ihnen handeln zu können,
sich einem Höheren in Gehorsam unterzuordnen, ja ganz in ihm
aufzugehen, kann so weit gehen, dass er auch die Züchtigung und
Misshandlung durch einen Stärkeren genießt." (ebd.) Im
Verhältnis
gegenüber dem Mächtigen zeichnet sich der autoritäre Charakter
also durch die Unfähigkeit zu selbständigem Handeln aus.
Sadistische Charakterzüge
müssen, so Fromm, stets als Teil einer "Gesamtcharakterstruktur", als
"Teil eines Syndroms", das nur als Ganzes zu verstehen ist, aufgefasst
werden (Fromm
1977/1992, S.328f.). Was u. a. zu diesem Syndrom gehört,
zeigt Erich Fromms nachfolgende Darstellung von Charakterzügen des
autoritären bzw. sadomasochistischen Charakters:
"Für den sadistischen Charakter muss alles Lebendige kontrollierbar sein.
Lebendige Wesen werden zu Dingen. Oder genauer gesagt, lebendige Wesen
werden in lebende, zitternde, pulsierende Objekte der Herrschaft verwandelt.
Ihre Reaktionen werden ihnen von dem, der sie beherrscht, aufgezwungen. Der
Sadist möchte zum Herrn des Lebens werden und will daher, dass sein Opfer am
Leben bleibt.[...]
Ein
anderer Charakterzug des Sadisten besteht darin, dass er immer nur von den
Hilflosen und nicht von den Starken stimuliert wird. [...] Für den
sadistischen Charakter gibt es nur eine bewundernswerte Eigenschaft, und das
ist die Macht. Er bewundert und liebt den Mächtigen und duckt sich vor ihm
und er verachtet den Machtlosen, der sich nicht wehren kann, und verlangt
danach, ihn zu beherrschen.
Der sadistische Charakter hat vor allem Angst, was nicht sicher und
voraussehbar ist, was Überraschungen bietet, die ihn zu spontanen und
individuellen Reaktionen zwingen könnten. Aus diesem Grund hat er Angst vor
dem Leben. Das Leben erschreckt ihn deshalb, weil es seinem Wesen nach nicht
voraussagbar und ungewiss ist. Es ist wohl strukturiert, aber nicht
»ordentlich«; [...] Auch Liebe ist unsicher. Geliebt werden setzt die
Fähigkeit voraus, dass man selbst lieben, dass man selbst Liebe erwecken
kann, und Liebe schließt stets das Risiko ein, abgelehnt zu werden und zu
scheitern. Deshalb kann ein sadistischer Charakter nur »lieben«, wenn er den
anderen beherrscht, das heißt, wenn er Macht über den Gegenstand
seiner Liebe hat.
Der sadistische Charakter ist gewöhnlich xenophobisch und
neophobisch eingestellt - was fremd ist, stellt etwas Neues dar. Und:
Was neu
ist, erregt Angst, Argwohn und Ablehnung, weil es eine spontane, lebendige,
nicht routinemäßige Reaktion erfordern würde.
Ein anderes Element in dem Syndrom ist die Unterwürfigkeit und Feigheit des
Sadisten. Es klingt wie ein Widerspruch, wenn man sagt, der Sadist sei ein
unterwürfiger Mensch, und doch ist es kein Widerspruch - es ist, dynamisch
gesehen, sogar eine Notwendigkeit. Er ist sadistisch, weil er sich impotent,
unlebendig und machtlos fühlt. Er versucht diesen Mangel dadurch zu
kompensieren, dass er Macht über andere hat, dass er den Wurm, als den er
sich fühlt, in einen Gott verwandelt. Aber selbst der Sadist, der Macht
besitzt, leidet unter seiner menschlichen Impotenz. Er kann töten, aber er
bleibt ein ungeliebter, isolierter, angstvoller Mensch, der eine höhere
Macht braucht, der er sich unterwerfen kann."
Gegenüber
Schwächeren und Hilflosen ▪
kompensiert der
autoritäre Charakter seine Schwäche gegenüber dem Mächtigen (vgl.
▪
Abwehrmechanismus:
▪
Reaktionsbildung,
▪
Kompensation
und ▪
Verschiebung).
Denn "ebenso automatisch wie Macht in ihm Furcht und, wenn auch
ambivalente, Liebe erweckt, erweckt Hilflosigkeit in ihm Verachtung
und Hass. Dieser Hass unterscheidet sich aber von dem, den der
nicht‑autoritäre Charakter gegen den Starken hat, nicht nur durch das
Objekt, sondern auch durch die Qualität. Während jener Hass den
Stärkeren beseitigen oder vernichten will, will dieser den Schwächeren
quälen und leiden lassen. Alles, was an Feindseligkeit und Aggression
vorhanden ist und was dem Stärkeren gegenüber nicht zum Ausdruck
kommt, findet sein Objekt im Schwächeren. Muss man den Hass gegen den
Stärkeren verdrängen, so kann man doch die Grausamkeit gegen den
Schwächeren genießen. Muss man darauf verzichten, den eigenen Willen
gegen den Stärkeren durchzusetzen, so bleibt doch der Genuss, das
Gefühl der Macht durch die schrankenlose Herrschaft über den
Schwächeren; und das bedeutet mehr Herrschaft, als ihn zum Leiden zu
bringen!" (Fromm
1936/1980, S. 141-187)