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Die Schule wird in der Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus eine Schlüsselrolle
in der Primärprävention zugeschrieben. (vgl.
Jaschke
2012, S.34, 39) In der Arbeit mit Jugendlichen muss die Schule ihre (schul-)pädagogischen
Möglichkeiten in der Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus erkennen und die Akteure
in ihrem engeren System Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und
ihre Eltern, im beruflichen Schulwesen auch die Ausbildungsbetriebe,
müssen hier, soweit das möglich ist, an einem Strang ziehen und ihrer Erziehungspartnerschaft
gegen den Rechtsextremismus Leben mit vielfältigen Möglichkeiten
Leben einhauchen.
Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und
rechtextremistischen Orientierungen muss also Aufgabe der ganzen
Schule sein und kann nicht auf den Unterricht beschränkt bleiben.
Wer an der Schule erfolgreich gegen den Rechtsextremismus
"immunisieren" will, muss ihr gesamtes Potential sehen und alles
aufbieten, was Jugendlichen hilft, das nötige Wissen, aber vor allem
auch die erforderlichen
Lebenskompetenzen
zu erwerben, die der Übernahme rechtsextremer Orientierungen
entgegenstehen.
"Schule gegen Rassismus - Schule mit Courage" -
Bundesweites Schulnetzwerk gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Diskriminierung
In Deutschland haben sich schon über 1.000 Schulen
einem Netzwerk angeschlossen, das die Bekämpfung des
Rechtsextremismus zu einer gemeinsamen Aufgabe aller Akteure an der
Schule und im Netzwerk zum Ziel hat. 1995 als Antwort auf die Welle
fremdenfeindlicher Anschläge nach der deutschen Wiedervereinigung
gegründet, stellt das Netzwerk "»Schule
ohne Rassismus - Schule mit Courage" (SQR-SMC) ein
ausgezeichnetes Beispiel dafür dar, wie sich eine gesamte
Schulgemeinschaft gegen den Rechtsextremismus erklären, aufstellen
und sich engagieren kann. Rund 750.000 Schülerinnen und Schüler,
Lehrkräfte und PädagogInnen besuchen damit eine Schule, die sich
dazu verpflichtet hat, aktiv gegen Rassismus, jede Form von
Diskriminierung und Mobbing vorzugehen. (Stand Januar 2012)
Grundidee des Ganzen ist eine Selbstverpflichtung von Schülerinnen
und Schülern, Lehrkräften und technischem Personal der jeweiligen
Schule, "sich künftig gegen jede Form von Diskriminierung an ihrer
Schule aktiv einzusetzen, bei Konflikten einzugreifen und regelmäßig
Projekttage zum Thema durchzuführen." (»Die
SOR-SMC FAQ: 10 Fragen – 10 Antworten zum Projekt, 5.10.2012)
Schulen, welche die SQR-SMC-Auszeichnung erhalten haben,
dokumentieren ihre vielfältigen Aktivitäten auf der Webseite des
Netzwerkes, das die Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler an den
Netzwerkschulen mit einem großen Angebot an Materialien unterstützt.
Die Verleihung des Titels "Schule ohne Rassismus - Schule mit
Courage" stellt kein Gütesiegel dar, sondern soll als ein
öffentliches Bekenntnis verstanden werden, als ein
"selbstregulatives Element, das dem Zusammenleben an der Schule eine
neue normative Orientierung", neben Schulgesetz und Schulordnungen
gibt. (vgl.
Guthmann 2011, S.59) Dabei geht, und das ist vielleicht das
Entscheidende, das, was die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des
Netzwerkprojekts lernen, auch weit über die unmittelbare
Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus hinaus. In ihren
Aktivitäten eröffnen sich nämlich auch "neue Erfahrungshorizonte
demokratischer Beteiligung" und "Eigeninitiative" (vgl.
Jaschke
2012, S.38). So trägt das Projekt, und auf vielfältige andere Art und Weise, zu den
Lebenskompetenzen
bei, die für eine "gelingende Lebensbewältigung" Jugendlicher nötig
sind (Keupp
2009, S.70, Hervorh. d. Verf.). Dies ist, was sie auch auf Dauer
stark macht gegen den Rechtsextremismus.
Den Rechtsextremismus im Unterricht zum Thema
machen
Zu den Möglichkeiten der Schule, die
hohen Erwartungshaltungen an ihren Beitrag zur Bekämpfung des
Rechtsextremismus zu erfüllen, gehört natürlich auch die Behandlung
des Themas im Unterricht. Was Schule dabei leisten kann, darf dabei
weder unter- noch überschätzt werden, denn Schule kann natürlich
Vorurteile, Feindbilder und rechtsextreme Orientierungen ursächlich
kaum verhindern, aber sie kann, wenn sie ihr Potential nutzt und
einen langen Atem beweist, einen wichtigen Beitrag zu ihrer
Bekämpfung leisten. (vgl.
Jaschke 2012,
S.39)
Jaschke (2012,
S.34ff.) sieht dabei vier verschiedene Zugänge: die
direkte- und die
indirekte Thematisierung, die Historisierung und die
demokratische
Gegenpraxis.
Direkte Thematisierung: Auch die rechtsextreme "Anmache" in
sozialen Netzwerken ist ein Anlass
Wenn es aktuelle politische Ereignisse oder Vorfälle inner- oder
außerhalb der Schule gibt, die zur Auseinandersetzung mit dem
Rechtextremismus zwingen, sollte die Schule, am besten unter
Beteiligung aller Akteure (Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen
und Schüler, Eltern und ggf. Ausbildungsbetriebe, das Thema
Rechtsextremismus direkt thematisieren und sich geeignete
Maßnahmen überlegen. (vgl.
Jaschke 2012,
S.35)
Dabei sollte freilich beachtet werden, dass die Propagandastrategie
der Rechtsextremisten, mit der sie Jugendliche an den Schulen
erreichen wollen, sich mehr und mehr geändert hat. Waren es eine
Zeit lang vor allem Aktionen wie Verteilung von CDs mit
rechtsextremem und rassistischen Inhalten auf Schulhöfen und
Aktionen rechtsextremer Schülergruppen, so tat sich mit den sozialen
Netzwerken eine ganz neue Möglichkeit für die Rechtsextremisten auf,
Kontakt mit Jugendlichen aufzunehmen. Selbst wenn heute nur
vergleichsweise wenige Jugendliche bestätigen können, schon einmal
von Rechtsextremisten in sozialen Netzwerken kontaktiert worden zu
sein: Rechtsextreme wissen längst, dass es der eigenen Sache nicht
unbedingt dienlich ist, gleich mit diskriminierender oder
rassistischer Agitation ins Haus zu fallen, sondern sich zunächst
einmal als "Facebook"-Freund in die sozialen Beziehungen von
Jugendlichen einzuklinken, was ihnen auf andere Weise nicht so
leicht gelingen würde. Für die pädagogischen Fachkräfte an der
Schule bedeutet dies aber auch, dass sie mit ihren Schülerinnen und
Schülern über ihre Erfahrungen in sozialen Netzwerken sprechen und
ihnen dabei das Gefühl vermitteln, dass sie bei Problemen an ihrer
Seite stehen. Eines aber geht angesichts der Strategie und Taktik
der Rechtsextremisten im Internet für die Schule und ihre Akteure
gar nicht: Auf herkömmliche rechtsradikale Inszenierungen und
Aktionen an der Schule zu warten und bei ihrem Ausbleiben zu meinen,
das Problem besäße an der Schule keine Dringlichkeit. Wer die
Medienwelten der Jugendlichen ernst nimmt, sollte dies wissen. (→Rechtsextremismus im Internet)
Dass die inhaltliche Auseinandersetzung mit rechten Orientierungen
und Positionen in der pädagogischen Praxis möglichst ohne
moralisierende Ansätze geschehen muss, und den Jugendlichen eine
sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema eröffnen muss (vgl.
Jaschke 2012,
S.35), sollte unter dem Blickwinkel einer professionalisierten
Lehrerrolle kaum mehr der Erwähnung bedürfen.
Indirekte Thematisierung: Rechtsextreme Werte und Orientierungen
zum Thema machen
Nicht immer muss man den Rechtextremismus explizit zum Thema machen,
wenn man im Unterricht etwas gegen rechtsextremistische
Orientierungen tun will. Dies kann auch
indirekt geschehen, wenn man sich zum Beispiel mit typischen
Werten, Inhalten und Denkschablonen des Rechtsextremismus
auseinandersetzt wie z.B.
Konspirationstheorien,
Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele,
Strukturen und Folgen einer dualistischen Weltsicht,
die
Notwendigkeit zur Hinterfragung von Vorurteilen, Feindbildern und
diese begründenden Axiome,
die bedingungslose Selbstaufgabe in Gruppen, Organisationen oder
Bewegungen,
Verheißungen endzeitlicher Idealvorstellungen, Militarismus,
Antisemitismus, Rassismus oder einfach Diskriminierung. So kann die
indirekte Thematisierung "permanente Zweifel in die
Selbstgewissheiten rechtsextremer Überzeugungen" säen. (vgl.
Jaschke 2012,
S.35)
Historisierung: Nötig, aber nicht mehr der Schlüssel zu
demokratischen Orientierungen
Lange Zeit wurde dem Geschichtsunterricht die Schlüsselrolle
zugewiesen, wenn es darum ging Schülerinnen und Schüler gegen den
Rechtsextremismus "immun" zu machen. Ohne den Beitrag des
Geschichtsunterrichts zur historisch-politischen Bildung über Gebühr
kleinzureden, hat sich heute doch "die Erkenntnis durchgesetzt, dass
persönlichkeitsprägende Faktoren mit der Lebenswirklichkeit von
Schülern verbunden sind. Hier ist die Zeit des 'Dritten Reichs' zu
weit weg." (ebd.)
Dennoch kann die geschichtliche Auseinandersetzung in einem
Unterricht, der viele didaktische Zugänge zum Thema
Nationalsozialismus eröffnet und Schülerinnen und Schülern eine
aktiv-handelnde Auseinadersetzung damit möglich macht, den
Jugendlichen wichtige Angebote für den komplexen Prozess ihrer
Selbstverortung in ihrer sozialen Welt liefern, die sie in ihrer
Identitätsarbeit unterstützen. (vgl.
Keupp 1999/2008, S.26)
Demokratische Gegenpraxis: Förderliche Schulkultur und
zivilgesellschaftliches Engagement
Grundidee demokratischer Gegenpraxis als Teil der Primärprävention
gegen den Rechtsextremismus in der Schule ist die Vorstellung, dass
Schülerinnen und Schüler, überall dort, wo sie auf unterschiedlichen
Feldern und Ebenen Demokratie erfahren und handelnd leben können,
sich auf ihre eigene Art und Weise stark gegen den Rechtsextremismus
machen können. Hier liegt der Schlüssel bei einer Schulkultur, die
den Schülerinnen und Schülern Mitspracherrechte einräumt, ein auf
gegenseitigen Respekt beruhendes Miteinander fördert und Schülern
und Lehrkräften über den üblichen Fachunterricht hinaus Gelegenheit
gibt, zivilgesesellschaftliche Aktionen auch außerhalb der Schule zu
planen und durchzuführen, sie zu solchen Projekten ermuntert und die
dafür nötigen Erkundungen im lokalen Umfeld der Schule zulässt.
(vgl.
Jaschke 2012,
S.36)
Gert Egle,
www.teachsam.de, 01.10.2010, zuletzt bearbeitet am:
21.12.2013 |
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