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Geschichte des Lesens

Lesen im 18. Jahrhundert

Die Grenzen der Forderung nach Literalität des Volkes in der Aufklärung

 
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Lesekompetenz
Konzepte der Schreibkompetenz

Lange Zeit war das ▪ Lesen wie im ▪ Mittelalter eine Angelegenheit gelehrter Kleriker und weniger weltlicher Gelehrter in mehr oder weniger festen Expertenkulturen. In einer überwiegend von Oralität geprägten Gesellschaft gab es darüber hinaus wenig Anlass, etwas daran zu ändern. Das geschriebene Wort war, sozial gesehen, in festen Händen, diente vor allem zur Bibelauslegung (Bibelexegese) der dafür geschulten Experten und der Verkündigung der christlichen Heilslehre.

Wirklich neue Akzente, die das Lesen als eine Kulturtechnik auffasste, über die auch ein größeres Publikum verfügen sollte, setzte eigentlich erst das ▪ Zeitalter der Aufklärung, die mit dem Ende des 17. Jahrhundert einsetzte und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts datiert wird.

Die Veränderungen der Lesekultur in der Aufklärung bezogen sich vor allem auf vier Bereiche (vgl. Schneider 2015, S.750)

  1. Neue Lesestoffe kommen hinzu.

  2. Neue Leserschichten wie z. B. nichtgelehrte Laien, Frauen und Kinde werden infolge von bildungspädagogischen Maßnahmen und wirtschaftlichen Interessen des Buchhandels erschlossen.

  3. Neue Lesepraktiken erweitern die Funktionen des Lesen.

  4. Eine öffentliche Auseinandersetzung über zeitgenössische Erscheinungen entsteht.

Neue Lesestoffe

Im 18. Jahrhundert "explodierte" der Buchmarkt: Immer mehr Titel, vor allem aus dem Bereich der Unterhaltungsliteratur erschienen. Schon seit dem Ende des 17. Jahrhunderts hatten schon deutschsprachige Bücher begonnen, den Buchmarkt zu dominieren und die lateinischen Buchproduktionen auf den zweiten Platz zu verweisen. So gewannen auch mehr und mehr Lesemodi zur Unterhaltung an Bedeutung, auch wenn daneben die altherkömmlichen "Lesestoffe wie Kalenderliteratur, Katechismus, religiöse Erbauungsliteratur und die Bibel (...) weiterhin intensiv und wiederholt gelesen (wurden)."(vgl. Schneider 2015, S.751)

  • Man las literarische, literaturkritische, unterhaltende und allgemeinwissenschaftliche Zeitschriften und Periodika, z. B. die "Moralischen Wochenschriften" und gewöhnte sich damit an die regelmäßige Lektüre und einen kontinuierlichen Leserhythmus. Aber auch Lifestyle-Zeitschriften wie z. B. das "Journal des Luxus und der Moden" fanden ihre Leser und Leserinnen.

  • Aber auch Romane drängten auf den Buchmarkt. Die Zahlen zeigen, wie steil es damit bergauf ging: Zwischen 1750 und 1760 kamen 73 Romane heraus, von 1790 bis 1800 waren es schon 1623 und im Jahrzehnt danach kletterte ihre Zahl auf 1700.

  • Damen und Schauspiele brachten es ab 1771 pro Jahrzehnt auf ungefähr 1000 Titel pro Jahr. (vgl. Schneider 2015, S.751, Zahlen dort zit. n. Schulte-Sasse 1971, S.46)

  • Dazu kamen noch die sehr beliebten Reisebeschreibungen.

Um an die neuen Lesestoffe heranzukommen, musste man sie gewöhnlich kaufen, denn ein öffentliches Bibliothekswesen gab es noch nicht, und wer auf die wenigen privat betriebenen Leihbibliotheken zurückgriff, musste dafür Gebühren bezahlen.

Neue Leserschichten und neue Lesestoffe

Voraussetzung dafür, dass immer mehr Menschen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu lesen beginnen, hat vor allem mit der Zunahme des Bildungsangebots in den städtischen Schulen zu tun, während auf dem weiten Land noch lange die alten Verhältnisse weiter vorherrschten.

In den Städten entstanden nämlich, auch wenn dies nicht überall gleich war, außer Elementar- und Lateinschulen Realschulen und Gymnasien. In manchen Residenz- und Universitätsstädten konnten Ende des 18. Jahrhunderts sogar schon nahezu alle Einwohner lesen. (vgl. Schneider 2015, S.750)

Schon bald hatte der Buchhandel verstanden, dass sich ihm durch die wachsende Zahl von potentiellen Lesern neue Märkte eröffneten, wenn die neuen Lesergruppen, der "gemeine Mann", Frauen und Kinder zielgruppengerecht mit Lesestoffen versorgt werden konnte, die deren spezifische Leseinteressen bedienen konnten.

Dass die weniger gebildeten, aber mittlerweile lesekundigen Volksschichten in den Städten (kleinere Handwerker, Dienstboten usw.) und auf dem Land (Bauern, Tagelöhner usw.) mit bestimmten religiösen und weltlichen Lesestoffen in Berührung gebracht wurden, passte dabei auch in das volkspädagogische Konzept namhafter Aufklärer. Sie machen das Lesen zum Gegenstand eines aufklärerischen Diskurses, in dem die Bedeutung des Lesens für die Erziehung des Einzelnen zur Mündigkeit und für die politische und gesellschaftliche Entwicklung erörtert wurde. (vgl. Bickenbach 2015, S.401)

Lesestoffe für den "gemeinen" Mann

Der grundlegende Neuansatz im Denken der Aufklärer war bestimmt von Rationalismus ( = kritisches, von der Vernunft bestimmtes Denken) und Empirismus ( = Ausgehen von dem durch Erfahrung Feststellbaren) und setzte damit auf die vernunftbestimmte Erkenntnisfähigkeit des Menschen.

Aus diesen Überzeugungen speiste sich auch ihr unbedingter Fortschrittsglaube, der sowohl auf die Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung zielte, als auch darauf, die "aufgeklärten" Menschen zu einer sittlich-autonomen, von vernunftgemäßem Denken und Handeln geprägten Lebensführung zu ertüchtigen. Auf dieser Grundlage versteht sich, dass sich bedeutende Aufklärer die Literalisierung der Unterschichten auf die Fahnen schrieben.

Im Zuge solcher Überlegungen entwickelte man Vorstellungen zu einem der sog. Volksaufklärung verpflichteten Lektüreangebot "für soziale Gruppen und Milieus, die am literarischen Leben im engeren Sinn aufgrund mangelnder Bildung und fehlender finanzieller Mittel nicht partizipieren konnten." (Schneider 2015, S.751) Seine Adressaten waren vor allem die Landbevölkerung, Dienstboten, Tagelöhner und die kleinen Handwerker.

Allerdings hatte die volkspädagogisch-didaktische Orientierung der Aufklärung dabei nur eines im Sinn: Über geschriebene Texte, Flugschriften und Bücher sollten sich möglichst viele Menschen lebenspraktisches Wissen aneignen, das zu einer, allerdings eingeschränkten Teilhabe am öffentlichen Leben nötig war, z. B. beim Lesen von Bekanntmachungen und Anschlägen, mit denen z. B. Verordnungen, Gesetze, Einberufungsbefehle öffentlich plakatiert wurden.

Die Lesestoffe, die dem ▪ "gemeinen Mann" zugedacht waren, behandelten sowohl religiöse als auch weltliche Themen. Man las also Andachtsbücher, den Katechismus, Gesang- und Gebetbücher, die Bibel und Heiligenlegenden und die weltlichen Kalender, die Lebenshilfe zu allen Fragen des täglichen Lebens anboten. Dazu kam noch das eine oder andere, was man bei Hausierern oder auf Jahrmärkten an wundersamen Geschichten, z. B. Einblattdrucke und Illustrationen, Moritaten, Wunder- und Räubergeschichten und die so genannten Volksbücher erstehen konnte. (vgl. Kiesel/Münch 1977, S.163)

Über schriftliche Texte sollten vor allem die Bauern auch "wissenschaftlich" begründete Anregungen zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik erhalten. So war z. B. das »"Noth- und Hilfsbüchlein für Bauersleute" (Gotha, Leipzig 1788) gedacht. Dieses und ähnliche Publikationen sollten dabei Lesemodi fördern, die darauf ausgerichtet waren, sich Informationen vernunftgeleitet anzueignen, dem vor allem auf dem Land weit verbreiteten Aberglauben entgegenzuwirken und bei der Alltagsbewältigung in unterschiedlichen Bereichen zu helfen. (vgl. Schneider 2015, S.752)

Auch namhafte Aufklärer, wie z. B. der Freiherr »Adolph von Knigge (1752-1796), hielten es mit den so genannten "aufgeklärten absolutistischen Fürsten und Königen, wie z. B. »Friedrich II., dem Großen (1712-1786), für richtig, dass Lesen wie Bildung im Allgemeinen für die unteren Schichten nur in engen Grenzen vertretbar war.

"Man schwatzt so viel von Verbesserung der Dorfschulen und Aufklärung des Landvolks: allein überlegt man auch wohl immer genau genug, welch Grad von Aufklärung für den Landmann, besonders für den von niedrigen Stande, taugt? Dass man den Bauer nach und nach mehr durch Beispiele als durch Abhandlungen zu bewegen sucht, von manchen ererbten Vorurteilen, in der Art des Feldbaues, und überhaupt in der Führung des Haushalts, zurückzukommen, – dass man durch zweckmäßigen Schulunterricht die törichten Grillen, den dummen Aberglauben, den Glauben an Gespenster, Hexen und dergleichen zu zerstören trachte, – dass man den Bauer gut schreiben, lesen und rechnen lehre: das ist löblich und nützlich. Ihnen aber allerlei Bücher, Geschichten und Fabeln in die Hände zu spielen; sie zu gewöhnen, sich in eine Ideenwelt zu versetzen; ihnen die Augen über den armseligen Zustand zu öffnen, so lange man nicht die ernsthafte Absicht hat, diesen zu verbessern; sie durch zu viel Aufklärung unzufrieden mit ihrer Lage, und aufgelegt zu lassen, über die ungleiche Austeilung der Glücksgüter zu deklamieren; ihren Sitten Geschmeidigkeit und den Anstrich der feinen Höflichkeit zu geben – das taugt wahrlich nicht, obgleich es auch grausam und ungerecht ist, die natürlichen Fortschritte einer solchen Aufklärung vorsätzlich hindern zu wollen. Ohne alle diese künstlichen Hilfsmittel trifft man unter allen Landleuten Menschen von so unverfälschtem Sinne, von so hellem, heitern Kopfe, und von so festem Charakter an, die manchen hochstudierten Herrn beschämen könnten. Es scheint also ratsam, hier mit größer Mäßigung und Sparsamkeit zu Werke zu gehen. [...]" (aus: Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen, Nach der zehnten Original-Ausgabe durchgesehen und vermehrt, Dritter Theil, Wien 1817, S.74f.)

Zuviel Aufklärung, davon war Knigge also überzeugt, mache nur mit der eigenen Lage unzufrieden, und wenn es am Ende noch so weit komme, dass die Bauern oder andere gemeine Leute als selbsternannte Philosophen "über die ungleiche Aufteilung der Luxusgüter plappern" (Knigge, zit. n. ebd.), dann sei eh' alles verloren. Auch andere Aufklärer im weiten Rund wie z. B. der Kantianer Johann Adam Bergk hielt 1799 "geschmack- und gedankenloser Lektüre" vor, sie sei "unsinnige Verschwendung, unüberwindliche Scheu vor jeder Anstrengung, grenzenloser Hang zum Luxus, Unterdrückung der Stimme des Gewissens, Lebensüberdruss, und ein früher Tod" ( zit. n. Bollmann 2007, S.25)

Angesichts  solcher Vorstellungen wundert es auch nicht, dass man sich damit zufrieden gab, wenn die unteren Schichten, wenn sie überhaupt lesen konnten, bei den Lesestoffen blieben, die ihnen die Aufklärer zugedacht hatten.

Weibliches Lesepublikum

Neben den Lesergruppen, die man gemeinhin unter dem Sammelbegriff "gemeiner Mann" subsumiert, standen aber auch Frauen im Fokus von Aufklärern, die im 18. Jahrhundert den größten Teil des sich zusehends entwickelnden Lesepublikums belletristischer Romanliteratur darstellten.

Dabei sollten Frauen, die in der patriarchalischen Gesellschaft der Zeit, zumindest in bürgerlichen Kreisen, auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter festgelegt waren, durch Lesen nicht "gelehrt, allenfalls gebildet"  (Schneider 2015, S.752) werden. Danach richtete sich auch das Lektüreangebot und die Lektüreempfehlungen, die allenthalben erteilt wurden, um eine, wo es möglich war, ins Rollenbild passende "Frauenzimmerbibliothek" zusammenzustellen. Solche auch als "Damenbibliotheken" bezeichneten häuslichen Sammlungen sollten vor allem Schriften gehören, die eine tugendhafte Lebensführung thematisierten oder anderweitig Untadeliges in populärwissenschaftliche oder populärphilosophischen Texten zur Papier brachten.

Hinter den moralisierenden Bewertungen weiblichen Lesens durch die Männer, steht dabei die Angst, Frauen, die lesen, könnten auch die patriarchalischen Geschlechtsbeziehungen hinterfragen und aus den ihnen zugewiesenen Rolle ausbrechen. Aus diesem Grunde hat man wohl noch im 18. Jahrhundert in die Einbände mancher Romane Faden und Nadeln eingelassen, um die Frauen daran zu erinnern, was ihre eigentliche Bestimmung sei: "nicht lesen, sondern den Haushalt in Ordnung halten. Lesen ist verschwendete Zeit, verschwendetes Geld, und wer weiß, wohin das führt - eigene Ideen, Aufruhr, erotische Phantasien, ja, sonst noch was." (Heidenreich (2007, S.15) Trotzdem: Aus welcher Ecke die moralisierenden Einwände gegen das Lesen, insbesondere das weibliche Lesen auch kamen, sie konnten "den Siegeszug des Lesens, auch und gerade des ▪ weiblichen Lesens, nicht aufhalten." (Bollmann 2007, S.25) Allerdings war es ein langer und beschwerlicher Weg, den vor allem jene Frauen im 18. und 19. Jahrhundert zu gehen hatten, die wie die abschätzig »"Universitätsmamsellen" genannten Göttinger Professorentöchter wie z. B. »Caroline Schelling (1763-1809), »Therese Huber (1764-1829) oder »Dorothea Schlözer (1770-1825) sich zu einer Zeit literarisch-akademisch und zum Teil auch politisch betätigten, gesellschaftlich nicht gerade hochangesehen waren, auch wenn sie, wie z. B. im Umfeld der Jenaer Romantiker als "umfassend gebildete, mit soliden Kenntnissen der französischen und deutschen Literatur ausgestattete Intellektuelle" (Alt, Bd. II, 2004, S.321) als »Musen verschiedene Dichter und Denker der »Romantik inspiriert haben.

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 25.12.2023

       
 

 
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