In ihrem Buch "»Jugendkultur
Guide" sehen Beate Großegger und Bernhard Heinzlmaier die
freiwillige Mitgliedschaft in einer bestimmten jugendkulturellen Gruppe
vor allem als Abnabelung von der eigenen Kindheit: "Durch seine
demonstrative Zuordnung zu einer Jugendszene signalisiert der junge
Mensch seiner Umwelt: 'Aufgepasst, ich bin kein Kind mehr, ich bin jetzt
ein Jugendlicher!' Und er macht dies deutlich, indem er sein Zimmer mit
Postern von Hardcore Skatern tapeziert, in großer Laustärke Hip Hop hört
und Hosen im 'Oversized-Look' trägt."
Dabei gibt es das, was wir heute als Jugend bezeichnen, noch gar
nicht so lange. Ebenso wie die Kindheit als besonderer Lebensabschnitt
ist auch die Jugend ein soziales Konstrukt, das nicht viel älter als 150
Jahre ist. Und auch erst seit dieser Zeit haben sich Jugendliche eigene
Jugendkulturen innerhalb der Kultur der Erwachsenen geschaffen, in der
sie aufwachsen.
So gibt es seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland die ersten
von der Kultur der Erwachsenen getrennten jugendlichen »Subkulturen,
die sich eine gemeinsame »Kulturszene
geschaffen haben und zu verschiedenen organisierten Zusammenschlüssen
von Jugendlichen führten, die bestimmten Lebensgefühlen Ausdruck
verleihen wollten.
Aus
dem »Wandervogel,
einer 1896 in
Steglitz (heute Berlin) entstandenen Bewegung hauptsächlich von
Schülern und Studenten bürgerlicher Herkunft, entwickelte sich die
sogenannte »Jugendbewegung,
die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die einflussreiche Strömung
wurde. Der vor allem von bürgerlichen Jugendlichen getragene
Wandervogel, der dem von der industriellen Urbanisierung geprägten
städtischen Leben das Naturerleben in freier Natur entgegenstellen
wollte, hob sich auch immer wieder in seinem gesellschaftlichen Habitus
vom Rest der Gesellschaft ab. In ihrer Wanderkluft und der Art und
Weise, wie sie Volkslieder singend auf "Fahrt" bzw. Wanderungen gingen,
orientierten sie sich an den fahrenden »Handwerksburschen
früherer Tage und übernahmen etliche der alten Gebräuche, die den
einzelnen "Wandervogel von echtem romantischem Blute", bepackt mit
Rucksack, einem rußigen Kochtopf daran und und eine Gitarre über der
Schulter wie "eine Mischung aus einem deutschen Schüler, einem Kunden
und einem fahrenden Scholasten aus dem Mittelalter" oder ein
"Versöhnungsdenkmal" mit der Natur aussehen ließ. (vgl.
Blüher 1913,
S.120f.)
Die aus dem Wandervogel hervorgegangene »Jugendbewegung
organisierte sich in zahlreichen Kleingruppen, die ihre Wanderungen,
Wochenend- oder Ferienfahrten unter der Leitung von in der Regel jungen
Erwachsenen eigenständig planten und durchführten. Dabei beeinflusste
sie auch die »Reformpädagogik,
»Freikörperkultur
und »Lebensreformbewegung
von denen sie aber auch selbst wichtige Impulse erhielt. Der jugendliche
Trend zum Wandern schlug sich in der Gründung von »Jugendherbergen
nieder.
Eigentlich verstand sich die Jugendbewegung als unpolitisch, dennoch
wurde sie aber immer mehr ideologisch vereinnahmt. Dies nahm seinen
Anfang im Zusammenhang mit dem
Ersten Weltkrieg, in dem viele tausend ihrer Mitglieder den Tod
fanden. Wer davongekommen war, den hatten die Kriegserfahrungen geprägt.
Die meisten von ihnen kompensierten ihre Fronterlebnisse mit einer
ausgesprochen militaristischen Grundhaltung, nur wenige wurden überzeugt
Pazifisten. Zudem führten die politischen Verwerfungen im Deutschen
Reich nach dem Kriegsende dazu, dass sich auch die Jugend politisch mehr
und mehr an unterschiedlichen politischen Lagern orientierte.
So kam es in den nachrevolutionären frühen Jahre der Weimarer
Republik zu einer neuen Vielfalt von Teilbewegungen und Neugründungen.
Auf diese politisch stärker polarisierte Phase der»
bündischen Jugendbewegung folgte nach der nationalsozialistischen
Machtergreifung 1933 die Zwangseingliederung aller anderen
Jugendverbände in die »Hitlerjugend,
sofern sie sich nicht selbst auflösten oder aufgelöst wurden. Nach dem »Zweiten
Weltkrieg konnten die wieder gegründeten Nachfolgeorganisationen
aber nicht mehr ihre frühere Bedeutung wieder erlangen.
Immerhin: Wandervögel und Jugendbewegung waren aber die ersten
Heranwachsenden, die sich ihre eigene Subkultur geschaffen haben und
sich mit ihrer eigenen Lebensart demonstrativ von der Erwachsenenkultur
und deren Moralvorstellungen abzugrenzen verstanden.
In der Nachkriegszeit differenzierten sich die Jugendkulturen immer
mehr aus. Und auch heute gibt es keine einheitliche Jugendkultur,
sondern ein Neben-, Mit- und Gegeneinander ganz unterschiedlicher
Jugendkulturen. So wenig also wie es "die" Jugend gibt, gibt es
auch nicht "die" Jugendkultur. Und: Sie kommen und gehen ...
Es gibt eine ganze Reihe von Jugendkulturen, die in der mehr oder
weniger entfernteren Vergangenheit als Strömung entstanden sind und bis
heute eine gewisse Rolle spielen:
-
Ende des 19. Jahrhunderts: Wandervogel. Tanzen, Musizieren, eigene
Kleidung. Aus dem Wandervogel gingen die Jugendherbergen hervor.
-
Thirties:
-
Fifties:
-
»Teds: Rock'n'Roll
pur, vornehme Kleidung und ein affektiert wirkender vornehmer Gestus
-
▪Halbstarke: Skandal! Sie tragen Jeans!,
Rowdytum und Krawalle
-
Sixties:
-
»Hippies:
Blumen, LSD und Liebe statt Karriere und Army, pazifistisch
-
»68er:
gegen Establishment, antikolonialistisch, antiimperialistisch,
sozialistisch, Marx oder Mao?
-
»Rocker: Leder und Motoren.
-
Ende Seventies:
-
»Punks.
Ästhetik der Hässlichkeit, Nonkonformismus
-
»Popper/Discojugend: Samstagnacht geht das Leben los.
-
»Gothics
und Schwarze Szene: androgyne, abgefahren düstere Grufties;
dominierende Farbe Schwarz, Ästhetikbewusstsein und Individualität mit
stetiger individueller Selbstinszenierung
-
80-er Bewegte: Zwischen Dadaismus und Demo.
-
Eighties:
-
Nineties:
-
»Raver/Techno. Schönsein, Tanzen, Ecstasy
-
»Surfer,
»Skater und Snowboarder: Ein gleitendes Gefühl von
Freiheit.
(vgl. u. a.:
Brückenbauer,
Nr. 27, 3.07.01)
Dazu kommen noch weitere
wie z. B.:
Jugendkulturen haben Jugendlichen eine Menge zu bieten. Was sie
liefern ist ein soziales Experimentierumfeld für die vielfältigen
Entwicklungsaufgaben, die Jugendliche in ihrer Adoleszenz bewältigen
müssen. Jugendkulturen schaffen einen Raum jenseits der
Auseinandersetzungen mit Eltern, Lehrkräften und all den schlimmen
Nachtrichten, die ihnen die Medien über alle denkbar möglichen Kanäle
täglich zutragen. Auch wenn die Gesamtheit der Jugendkulturen auch
unübersichtlich sein mag, in der "eigenen" Jugendkultur oder durch die
Teilhabe an mehreren schaffen sich Jugendliche Orientierung in einer
sonst unübersichtlichen Welt.
Dabei sind die meisten Jugendkulturen männlich dominiert, auch wenn
Mädchen allmählich nachziehen. Sie holen vor allem bei Funsportarten auf
oder, wenn es in den Gruppen um bestimmte Moden geht, mit denen
man sich selbst darstellen kann.
Das soziale Milieu und Bildungsniveau bestimmen dabei nur selten über
die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Jugendkultur, denn "gemeinsame
Lebenslagen schaffen für Jugendliche – gerade in der Freizeit – immer
weniger eine Grundlage für gemeinsame Erfahrungsräume." (Jugendkultur
Guide)
Wer zu einer Jugendszene gehören will, muss ihren spezifischen Code
kennen und zur Selbstdarstellung verwenden, denn "die Szenewelt
ist eine demonstrative Welt. In ihr geht es um sehen und gesehen werden.
Wer einer Szene angehört, möchte es seiner Umgebung im wahrsten Sinne
des Wortes zeigen: 'Seht her, ich bin ein Hip-Hopper!', 'Sehr her, ich
bin ein Skater!'“ (Jugendkultur
Guide)
Der Szenecode
-
muss sich von anderen
Codes abgrenzen
-
muss vergleichsweise
leicht wiedererkennbar sein
-
muss sich in allen
sprachlichen, bildlichen und mimischen Zeichen der Szene
wiederfinden
-
muss das eindeutige
Profil der Szene verdeutlichen
Wie dies an einem Beispiel funktioniert, lässt sich am Code der
Hip-Hopper zeigen. "Deren typischer Bilder-Code sind die Graffitis, im
Zentrum des musikalischen Codes steht der Sprechgesang, das sogenannte
"Rappen", und auf der mimischen Ebene ist der "Breakdance" ein
eindeutiges Erkennungsmerkmal dieser Szene. Wer nur halbherzig solches "Szene-Knowhow"
zelebriert, wird von den Hardcore-Insidern gnadenlos als "Poser"
entlarvt und nicht akzeptiert. Um wirklich zum harten Kern zu gehören,
muss der "Code" zu hundert Prozent gelebt werden." (Nicola
Wilbrand-Donzelli, Was ist eine Jugendkultur?
https://www.t-online.de/leben/familie/schulkind-und-jugendliche/id_47500252/was-ist-eine-jugendkultur-.html)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
27.08.2023