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E-Partizipation

Pro und Contra

 
 
  Über die Bedeutung und die Möglichkeiten die Demokratie mit Hilfe der modernen Informations- und Kommunikationstechniken weiterzuentwickeln oder diese gar mit identitätstheorischen Konzepten der Demokratie zu revolutionieren, gehen die Meinungen weit auseinander. Da stehen auf der einen Seite die Netzoptimisten, die fest daran glauben, dass vom Internet eine zumindest demokratiefördernde Wirkung ausgehen kann. Ihnen stehen Netzskeptiker und Netzpessimisten gegenüber, die entweder nicht daran glauben, dass die modernen repräsentativen Demokratien mit Hilfe von Internet und E-Partizipation neuen demokratischen Schwung bekommen oder sogar der Ansicht sind, dass plebiszitäre Ideen übers Internet die Stabilität der repräsentativen Demokratien ernsthaft gefährden könnten.

In der nachfolgenden Tabelle haben wir - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - wichtige Argumente zusammengetragen, die in der Debatte um E-Partizipation vorgebracht werden. Die Liste wird nach Bedarf erweitert.

Pro E-Partizipation Contra E-Partizipation
Das Internet besitzt mit den darüber verfügbaren Formen der modernen Informations- und Kommunikationstechnik das Potenzial, die politische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger auf das Ideal einer Selbstregierung des Volkes weiterzuentwickeln. (net empowerment) Das Internet ist, an sich betrachtet, weder demokratiefreundlich noch demokratieförderlich. Genauso wie es zur Weiterentwicklung der demokratischen Partizipation und der demokratischen Qualität eingesetzt werden kann, lässt es sich zur Unterdrückung in Diktaturen und autoritären Regimes verwenden. (vgl. Kneuer 2014, S. 198)
  Entscheidend sind letzten Endes nicht zweifelhafte Mehrheiten, sondern die Tatsache. dass jemand die politische Verantwortung trägt. Politiker könnten sich ansonsten "hinter der Mitmach-Fassade in einer pseudo-partizipativen Scheindemokratie" verstecken. (vgl. Miessen/Grassegger 2012)
  E-Partizipation erhöht die soziale Selektivität, weil sie die vorhandene Ungleichheit nach Alter, Geschlecht und Einkommen bei der Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken (digital divide) noch verstärkt.
  E-Partizipation führt zu einer weiteren Fragmentierung der Öffentlichkeit und damit zu einer Aufsplitterung der öffentlichen Meinung, die kaum mehr gebündelt werden kann. (vgl. Decker u. a. 2013, S.130)
Die Entwicklung der modernen Informations- und Kommuniktationstechnologien (IKT) bringt neue niederschwellige Formen der Online-Partizipation hervor, die "interessens- und ereignisgetrieben" (Köcher/Bruttel 2011, S.18) Möglichkeiten bieten, sich politisch zu beteiligen. Dazu gehören auch Formen wie favoriting (z.B. "Liken") oder retweeting ("Tweeten" und "Retweeten" über twitter). E-Partizipation führt zu einer neuartigen partizipatorischen Kluft (participatory divide), weil es insbesondere den Jüngeren mehr niederschwellige Partizipationsformen mit symbolischer Beteiligung geht, mit der man ein Zeichen setzen kann (Stichwort u. a. "Liken"), ohne dabei den höheren Aufwand zu haben, der für die Einflussnahme auf die Politik nötig wäre. (vgl. Ritzi u.a. 2012, vgl. Kneuer 2014)
  Die im Zuge der E-Partizipation öffentlich gemachten Informationen und Daten werden der Verfügungsgewalt privater Unternehmungen überlassen. vgl. Decker u. a. 2013, S.130)
Über E-Partizipationspfade beteiligen sich mehr Menschen als sonst an politischen Entscheidungen. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass sich politisch nicht-interessierte Bürgerinnen und Bürger über netzbasierte Formen der politischen Partizipation eher politisch beteiligen würden. (vgl. Decker u. a. 2013, S.129)
  E-Partizipation stellt für die ohnehin schon politisch Aktiven eine weitere Informationsquelle dar und bietet ihnen einen Raum für ihren Meinungsaustausch. (vgl. Decker u. a. 2013, S.129) Dadurch entsteht eine klare partizipatorische Kluft (participatory divide).
  Ob sich durch E-Partizipation mehr Menschen bewegen lassen, sich politisch zu beteiligen, kann nur differenziert beantwortet werden. In Bezug auf die Informationsbeschaffung und Informationskonsum hat das Internet den Nutzerkreis insgesamt erweitert und bei schon proaktiven Informationssuchern intensiviert. Eine höhere Teilnahme an politischen Diskursen im Sinne deliberativer Beratung ist hingegen kaum festzustellen. Eine erhöhte Bereitschaft, sich politisch zu beteiligen, ist nicht erkennbar. (vgl. Emmer u. a. 2011, S.302)
Die E-Partizipation kann die Ermüdungserscheinungen, Krisen, Defizite und Fehlentwicklungen der repräsentativen Demokratie beseitigen. Das Internet und die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien können die auf Grund unterschiedlicher Ressourcenstärke bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen existierende Ungleichheit bei der politischen Partizipation nicht beseitigen. (vgl. Kneuer 2014, S. 204)
  Allerdings können unter bestimmten Umständen Online-Partizipationsformen die demokratische Qualität der Entscheidungen und die Demokratiezufriedenheit der Bürger in der repräsentativen Demokratie erhöhen, ohne dass die Institutionen der repräsentativen Demokratie geschwächt und die notwendig demokratisch-repräsentativ verlaufenden Entscheidungsprozesse unterspült werden. (vgl. Kneuer 2014, S. 204)
Die E-Partizipation schafft mit den über digitale Formate und elektronische Kommunikation umfassend verfügbar gemachten Datenbeständen aus sämtlichen Bereichen der Politik und Verwaltung (→E-Information) neue Möglichkeiten zur Kontrolle, die bisher vor allem den Massenmedien als so genannte "vierte Gewalt" zugesprochen worden ist. (vgl. Decker u. a. 2013, S.131) (→E-Transparenz). Forderungen nach vollständiger Transparenz kollidieren damit, dass Führung in einem arbeitsteilig-hierarchisch organisierten Politikbetrieb, ohne geschützte Räume nicht funktionieren kann. (vgl. Decker u. a. 2013, S.132)
Die als Teil der E-Partizipation notwendige →E-Transparenz verbessert nachweislich die Qualität der getroffenen Entscheidungen und verbessert das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Staat und Regierung. (vgl. Decker u. a. 2013, S.131)  
Mehr direktdemokratische Einflussmöglichkeiten wirken sich sehr wahrscheinlich positiv auf die politische Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger aus (vgl. Decker u. a. 2013, S.125) Wenn mehr Abstimmungen stattfinden, bedeutet dies noch nicht, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auch anderweitig politisch engagieren. (Drewitz 2012) Es ist sogar davon auszugehen, dass die politische Partizipation insgesamt gleich bleiben wird (Nullsummenspiel). (vgl. Decker u. a. 2013, S.125)
Das Potenzial der E-Partizipation kann sich unter den heutigen Bedingungen am besten im kommunalen Bereich entfalten. Dort können z. B. kommunale Planungsprozesse transparenter gemacht und der Diskurs darüber unter den Bürgerinnen und Bürger sowie ihre Konsultation durch die zuständigen Politiker und Behörden die Legitimitätsempfindungen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber solchen Entscheidungen verbessern. (vgl. Kneuer 2014, S. 204)  
  Vorstellungen, wonach das Internet eine E-Demokratie nach dem Muster eines "elektronischen Athen" schaffen könnte, überfordert die Bürgerinnen und Bürger "mit einem Beteiligungsdiktat". (Kneuer 2014, S. 204)
Nach dem Konzept der von den »Piratenpartei  in Deutschland vertretenen "→Liquid Democrazy", das eine neue Form der Demokratie zum Kern hat, "in der verschiedene 'starre' Begrenzungen 'verflüssigt' werden" (Liquid Democrazy e. V., Liquid Demorazy) soll es gelingen, zu einer demokratischen Herrschaftsform zu gelangen, bei der die "Herrschaftsausübung zu jederzeit mit dem zählbaren Volkswillen übereinstimmt: eine totale Identität der Gesellschaft mit ihren Herrschaft ausübenden Institutionen" (Vogelmann 2012, S.109, zit. n. Decker u. a. 2013, S.132) Die Demokratievorstellung der Piraten ist ideengeschichtlich eigentlich überholt. Es handelt sich um den "bekannte(n) antirepräsentationale(n) Traum nach Unmittelbarkeit mit allen seinen problematischen Konsequenzen" (Vogelmann 2012a) und scheitert als egalitäre Utopie einer partizipativen Technokratie daran, dass sich nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen beteiligen wollen. (vgl. Decker u. a. 2013, S.132)
 

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 02.01.2015

 
     
     
   Arbeitsanregungen:
  1. Welche der Argumente können Sie überzeugen, welche nicht?

  2.  
     

 
     
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