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Wer
sich politisch betätigen will, kann sich in der Politik auf verschiedene
Art und Weise beteiligen. Neben den "klassischen"
Offline-Beteiligungsformen gewinnen auch Beteiligungsformen an
Bedeutung, die sich elektronischer Hilfsmittel, insbesondere des
Internets, bedienen. Dies wird auch als E-Partizipation (e =
elektronisch) bezeichnet.
Wissenschaftlich formuliert kann man unter
E-Partizipation die "Teilhabe von natürlichen und juristischen Personen
(und ihrer Gruppierungen) an politisch-administrativen Prozessen der
Entscheidungsfindung mit Hilfe von Informations– und
Kommunikationstechnik (IKT)” verstehen. (BMI 2008, zit n.
Christian Heise/E-Demokratie.org)
E-Partizipation lässt sich dabei nicht auf ein
Kommunikationstechniken beschränken, die schon vorhandene
Beteiligungsverfahren quasi digitalisieren. Worum es grundsätzlich geht,
ist die Erweiterung
von Möglichkeiten zur politischen Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern
in demokratischen Systemen mit Hilfe der modernen Informations- und
Kommunikationstechniken. Insofern ist das Konzept Teil eines »deliberativen
Demokratieverständnisses, für das die Teilhabe am öffentlichen
Diskurs und die Möglichkeit, politische Entscheidungen mit zu fällen,
unverzichtbar sind. (vgl.
ebd.).Internet und Demokratie
Die Frage, wie das Internet die politische Partizipation
revolutionieren, verändern oder erweitern könnte, ist dabei fast so alt
wie das (World Wide) Web. Die Erwartungen, die daran geknüpft waren,
ließen den Traum von der Identität von Regierenden und Regierten
wieder aufleben, die sich
allerorten der elektronischen Kommunikation bedienen, um über ihre
Geschicke selbst zu entscheiden.
Wie niemals zuvor, so schien es, war es
so leicht, über Sachverhalte zu informieren und sich selbst zu
informieren, sich als mündige Bürger einzubringen und mit zu
entscheiden. Und wie nie zuvor, so hoffte man, könne dies zu einer bis dahin
nicht gekannten politischen Beteiligungsbereitschaft der Bürger führen,
deren Stimme in jeder Frage von Relevanz Gewicht besitzen sollte.
Doch das Internet, das hat sich mittlerweile herausgestellt, ist weder
ein "Erfrischungselixier" für eine an Ermüdungserscheinungen leidende
repräsentative Demokratie (Parteien-, Politikverdrossenheit,
Wahlmüdigkeit etc.), noch per se ein Mittel, um die Demokratie mit
basisdemokratischen Elementen zu revitalisieren. (vgl.
Kneuer 2014,
S.196). Und selbst wenn man die besondere Rolle, welche die modernen
Informations- und Kommunikationstechnologien in politischen
Auseinandersetzungen der jüngeren Zeit gespielt haben (z. B.
Arabischer
Frühling 2011, Proteste der
Occupy Wall Street-Bewegung in den USA ab 2011, die
Auseinandersetzungen in der Türkei 2013 im Zusammenhang mit der
geplanten
Überbauung des Gezi-Park in Istanbul etc.), eine "Befreiungstechnologie"
(liberation technology) (Diamond
2010, S.70) ist das Internet deshalb noch lange nicht. Die "These
von der normativen Veränderungskraft des Internets" (Demmelhuber
2014, S.206, Hervorh. d. Verf.) ist schlicht zu eindimensional und
auch bei genauerer Analyse der Ereignisse zu voreilig und unzutreffend.
Marianne
Kneuer (2014, S.198) hat zu der These wie folgt Stellung bezogen:
"Das Internet ist per se weder demokratiefreundlich noch
demokratieförderlich. Ob es eine demokratisierende Kraft entfaltet oder
eher zur repressiven Kontrolle demokratischer Kräfte im Land eingesetzt
wird; ob das Netz zur Bildung von neuartigen Foren der Deliberation oder
zur Initiierung von Kampagnen oder Shitstorms genutzt wird; ob sich
alternative Möglichkeiten der Partizipation ergeben (elektronische
Petitionen und Unterschriftenlisten), mit denen mehr Menschen und vor
allem solche eingebunden werden können, die sonst eher von politischer
Teilhabe ausgeschlossen sind, oder ob eher mehr Ungleichheiten
entstehen, da letzteren entweder die Hardware oder die Netzkompetenz
fehlt; ob Politikerinnen und Politiker sich durch neue Wege der
Bürgeransprache responsiver zeigen oder ob sie sich von dem Diktat der
digitalen Online- Kommunikation getrieben fühlen – all diese hier etwas
plakativ als Gegensätze konstruierten Möglichkeiten hängen von
mehreren Faktoren ab: nämlich a) in welchen Kontexten, b) in welcher
Form, c) mit welchen Botschaften und Zielen und d) von welchen Akteuren
solche Kommunikation oder Maßnahmen initiiert und durchgeführt werden."
Insgesamt lässt sich auf der Grundlage des gegenwärtigen
Forschungsstandes sagen, dass sich Erwartungen, mit Hilfe des Internets
ließen sich über kurz oder lang identitätstheorisch
begründete Konzepte einer E-Demokratie umsetzen, als
Trugschluss erwiesen haben. Ebenso wenig haben sich die Hoffnungen, das
Internet könne quasi ein "Erfrischungselixier" für die an Ermüdung
leidende repräsentative Demokratie werden, erfüllt. (vgl.
Decker u. a.
2013, S.90, vgl.
Kneuer 2014 )
Und auch "gemäßigtere" Demokratiemodelle spielten wohl nur eine Zeitlang
eine größere Rolle im politischen Diskurs. Dies betrifft z. B. das an
das antike athenische
Modell der Demokratie anknüpfende
»Agora-Modell der Demokratie. Mit Hilfe der neuen
Kommunikationstechniken über das Internet wollte man man dabei, die beiden zentralen Elemente
der athenischen Demokratie Deliberation (Beratschlagung) der Bürger und Teilhabe an der
Entscheidung durch Abstimmung per Volksbefragung (Referendum) (vgl. Kneuer
2013, S.6) wieder aufleben lassen. Das sei, so die Befürworter,
keineswegs utopisch, sondern mit den neuen Techniken realisierbar. Sie
könnten nämlich bewirken, dass
- umfassend informierte Bürgerinnen und Bürger die anstehenden
politischen Fragen miteinander beraten
- die Bürgerinnen und Bürger über elektronisches Wählen und die
elektronische Teilnahme an Volksentscheiden etc. mitentscheiden
- die Bereitschaft der Politiker erhöht wird, auf den Willen und
die Wünsche des Volkes tatsächlich einzugehen (Responsivität)
(vgl. ebd.)
Wie man auch immer die Visionen der Netzoptimisten einschätzen mag, zur Häme besteht
indessen keinerlei Grund. Schließlich beobachtet man in Deutschland
schon seit längerem die Abnahme der Wahlbeteiligung, einen durchaus
bedenklichen Vertrauensverlust der Bevölkerung in Regierung, Parlament
und Politik, die zumindest "Ermüdungserscheinungen" (ebd.)
der repräsentativen Demokratie in Deutschland darstellen. So ist denn
auch die oft mangelnde
Online-Partizipationsbereitschaft nicht losgelöst von
der nicht minder geringen Offline-Partizipation zu betrachten und ist
zudem auch ein Generationenproblem.
Faktoren einer E-Partizipationskultur
Wenn E-Partizipation im weiteren wie auch engeren Sinne gelingen soll, dann müssen sich, so die Befürworter, die elektronisch-unterstützten
Beteiligungsverfahren an folgenden Faktoren orientieren:
-
"möglichst früh, möglichst
viele und möglichst unterschiedliche Akteure beteiligen
-
insbesondere diejenigen
beteiligen, die von der Planung betroffen sind
-
Beteiligungsgleichheit
schaffen
-
Offenheit in Bezug auf
Lösungen und Wege zu Lösungen gewährleisten
-
deliberativer
Kommunikationsmodus und Moderation durch neutrale (allparteiliche)
Dritte ermöglichen
-
unterschiedliche
Sichtweisen zusammenführen
-
Lernprozesse und die
Entwicklung einer gemeinsamen Problemsicht initiieren und fördern
-
partizipatorische
Entscheidungsfindung garantieren
-
Kommunikations-Mix
berücksichtigen
(Vgl. Wesselmann: 2002)" (Christian
Heise/E-Demokratie.org -
CC-BY 3.0 DE)
Überfrachtet man die E-Partizipation
nicht mit überbordenden Erwartungen, kann man in ihr auch einen Trend
sehen, der politische Partizipation eben nur weiter ausdifferenziert,
statt die in herkömmlichen Formen praktizierte gänzlich über Bord zu
werfen. (vgl.
Dalton 2006) Sie als Suche von Bürgerinnen und Bürgern zu begreifen,
die, über den Gang zur Wahlurne hinaus, auch in repräsentativen Systemen
an politischen Entscheidungen mehr als bisher beteiligt werden wollen,
öffnet den Blick auf für die Bedeutung von E-Partizipationsformen in deliberativen Demokratiekonzepten, welche die Bürgerbeteiligung an der
Politik im Allgemeinen verbessern wollen.
Dass dabei insbesondere unter
den Bedingungen der heutigen Kommunikationstechnik und ihrer sozialen
Anwendungen (soziale Netzwerke) auch neue Formen der Bürgerbeteiligung
entstanden sind und weiter entstehen werden, steht außer Zweifel. Ihnen
Raum zu geben wird insbesondere auch Aufgabe jener politischen Kräfte in
den Parteien Deutschlands sein, die aus Eigeninteresse an den mehr
oder weniger festgelegten "klassischen" Partizipationspfaden festhalten
wollen. Gerade sie werden ihre politischen Angebote, ganz im Sinne von »Joseph
Schumpeters (1883-1950) Markttheorie der Demokratie, an die neuen
Märkte und solche neuartigen "Projektionsflächen für Erwartungen" (vgl.
Decker u. a.
2013, S.91) im Internet, stärker als sie das derzeit tun,
anpassen müssen. Um der, wenn auch langsamer als erwartet, wachsenden
Zahl meist jüngerer und netzaffiner Bürgerinnen und Bürger (vgl.
ebd., S.92) geeignete Angebote zu machen, bedarf es mehr als ein
paar netzbasierter Ansätze im
Wahlkampf. (→Wahlkampf mit sozialen Medien:
Soziale Netzwerke als Plattformen für den Wahlkampf) Hier
geht es auch um ein neues Verständnis dessen, was man "Cyber-Involvement"
nennen kann. (Christensen
2011)
Dennoch: Es ist nicht verwunderlich, dass vor allem die Jüngeren
hohe Erwartungen an die E-Partizipation haben. Viele von ihnen meinen, dass das Internet mehr Menschen dazu bewegt, sich politisch zu
beteiligen. Und doch finden es auch die Jüngeren, von denen sich heute
viele politisch über das Internet informieren, offenbar immer
noch sehr schwierig, sich über das Netz eine politische Meinung zu
bilden.
Erwartungen an E-Partizipation
Die meisten Bürgerinnen und Bürger glauben
jedenfalls im Augenblick nicht daran, dass ihr Einfluss auf das
politische Geschehen durch Online-Partizipation wirklich wächst, auch
wenn sie mehrheitlich der Ansicht sind, dass
-
das Internet die Bildung
von Bürgerinitiativen oder das Sammeln von Unterschriften für ein
Volksbegehren erleichtert (83%)
-
eine Stimmabgabe im
Internet die Wahlbeteiligung erhöhen würde (70%)
-
sich Bürgerinnen und
Bürger an Gesetzgebungsprozessen mit eigenen Vorschlägen und
Stellungnahmen beteiligen würden (63%)
-
sich als Parteimitglieder
stärker in die Programmarbeit der Parteien einschalten würden (58%)
(Prozentzahl von
Antworten aus den Zustimmungswerten "trifft voll und ganz zu"
und "trifft eher zu", repräsentative Infratest dimap-Umfrage in
Nordrhein-Westfalen Dez. 2011, n=1000 in Nordrhein-Westfalen lebende
deutsche Staatsbürger ab 16 Jahren) (vgl.
Decker u. a.
2013, S.93)
Was für andere nicht-verfasste (formelle bzw. konventionelle)
Partizipationsformen auch gilt, sind weiter die Befunde,
- dass Bürger mit einem höheren Bildungsabschluss eher an solchen
Formen (von Bürgerinitiativen, Demonstrationen, irgendwelchen
Manifestationen zivilen Ungehorsam und Online-Protestaktionen)
beteiligen (Bödeker
2012,
Jungherr/Schoen 2013, S.59)
- dass es eher Männer sind die an solchen Aktionen teilnehmen
- dass Jüngere eine höhere Affinität zu Online-Protest haben
- dass politisch Interessierte eher bei nicht-verfassten
Partizipationsformen mitmachen (vgl.
Decker u. a.
2013, S.113)
Alles das ändert aber nichts daran, dass der Nachweis, bisher nicht
politisch Interessierte seien über das Internet zur Partizipation zu
bewegen, bis heute nicht überzeugend gelungen ist. So scheint die
E-Partizipation heute als problemorientierte Partizipationsform, die
hauptsächlich der Artikulation von Interessen dient, eher den eh schon
"politisch Aktiven ein zusätzliches Forum für Informationsaufnahme und
Meinungstausch" zu bieten (ebd.,
S.130) (Stichwort: participatory divide) Und: "Der Zusammenhang zwischen dem Internet und politischer
Beteiligung scheint also etwas komplizierter zu sein, als es die
Annahmen einiger Netzoptimisten nahelegen." (Jungherr/Schoen 2013,
S.59)
Participatory Divide
Wie man am Ende auch immer das demokratische Potenzial des Internets
einschätzt, ist auch eine Frage der demokratietheoretischen Prämissen,
um nicht zu sagen, eine ideologische Frage. Und der kritische Blick
darauf zeigt eben auch, dass das Netz aller überzogener
Partizipationsträume zum Trotz "[...] (auch) zu mehr Ungleichheit in der
Partizipation [führt], weil es (auch) dafür sorgt, dass die
Öffentlichkeit immer stärker fragmentiert und die öffentlich gemachten
Informationen und Daten zum größten Teil der Verfügungsgewalt von
Privaten überlassen werden." (Decker u. a.
2013, S.130) Vor allem aber, so haben verschiedene Studien
ergeben, kann die E-Partizipation neben dem noch immer existierenden
digital divide auch die Entstehung
einer partizipatorischen Kluft (participatory
divide) fördern. Während die digitale Kluft auf die soziale
Selektivität bei der Nutzung der neuen Informations- und
Kommunikationstechniken z. B. nach Alter, Geschlecht, Einkommen,
Medienkompetenz etc. verweist, entsteht der participitary divide
dadurch, dass vor allem junge Leute sich auf Online-Partizipationspfaden
bewegen, die einen möglichst geringen zeitlichen Aufwand beanspruchen.
(vgl.
Ritzi u. a. 2012, S.262, vgl.
Kneuer 2014,
S.202f.)Vermutlich schätzen sie ihre eigene Politikkompetenz
vergleichsweise gering ein, sind aus verschiedenen Gründen nicht bereit
oder dazu in der Lage, sich politisch umfassend zu informieren, und
glauben ohnehin kaum daran, dass sich aufgrund ihrer
bottom-up-Aktivitäten Entscheidungen wirklich beeinflussen lassen. Aus
diesen und anderen Gründen ergibt sich eine sehr pragmatische
Kosten-Nutzen-Rechnung, die auf die einfache Formel
"Ein Zeichen
setzen" gebracht werden kann. Es genügt ihnen, per Mausklick
eine Mausspur lang Bindung an den politischen Diskurs zu erlangen und
auf diese niederschwellige Art und Weise symbolisch ihr
Partizipationsinteresse allgemein, ihre politische Meinung im Besonderen
sowie ihren Wunsch nach mehr Gehör durch die Politik zu artikulieren (Responsivität).
Darüber hinaus wird die soziale Selektivität des participatory divide
noch dadurch erhöht, dass die Ressourcenstärkeren,
höhere Bildungsschichten, die sich ohnehin auch schon in den Offline-Formen
der politischen Partizipation mehr engagieren, auch die E-Partizipation
eher nutzen. Auf diese Weise spiegelt die E-Partizipation eigentlich
nur wider, was sich bei den Partizipationshandlungen der
Bürgerinnen und Bürger auch jenseits von Internet und moderner
Informations- und Kommunikationstechnik zeigt. (vgl.
Kneuer 2014,
S.203).
Das größte Potenzial entfaltet die
E-Partizipation über das Internet aber wohl durch die
→E-Transparenz,
die im Regelfall darauf abzielt, "durch Information über die Handlungen
von politischen Institutionen der Legislative und Exekutive öffentliche
Kontrolle zu ermöglichen. Dazu zählen auch Angebote, die bereits
vorhandene staatliche Informationen aufbereiten, auswerten,
zusammenführen oder ergänzen. Sie verfolgen zudem häufig auch eine
Kontroll- oder Watchdog-Funktion, die dazu dient,
Bürger vor willkürlichen oder unrechtmäßigen Übergriffen des
Staatsapparates zu Verteidigen, den Machtmissbrauch und das
Fehlverhalten von politischen Eliten aufzudecken." (Christian
Heise/E-Demokratie.org,
CC-BY 3.0 DE)
Dennoch muss E-Partizipation, selbst wenn man es als ein "multidimensionales
und multimediales Konzept" versteht, nicht zwingend auf "die gesamten Grundlagen unseres
gesellschaftlichen und politischen Selbstverständnisses" (Christian
Heise/E-Demokratie.org) zielen. Auch in einer repräsentativen
Demokratie kann die E-Partizipation eine sinnvolle Ergänzung der
bestehenden Partizipationspfade darstellen. Ohne die Bürger "mit einem
Beteiligungsdiktat" zu überfordern (Kneuer
2014, S.204), kann die E-Partizipation z.B. auf kommunaler Ebene,
wenn es um kommunale Planungsprozesse geht, ein wirksames Mittel für mehr Bürgerbeteiligung
sein, ohne dass damit zugleich das
repräsentative System als Ganzes geschwächt wird. Aber auch dies ist
nur zu bewerkstelligen, wenn jedermann einen Netzzugang hat, die Netze
selbst sicher sind und alle die nötige "Netzkompetenz" besitzen, "mit dem
Medium Internet umzugehen" und "die Formen und Regeln des Netzdiskurses
zu erlernen." (ebd.,
S. 205)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
03.01.2015 |
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