Parteien stellen für Wahlen besondere ▪
Wahlprogramme
auf.
Da aber die Auseinandersetzungen und
Diskussionen um den programmatischen Kurs einer Partei inzwischen zur
Daueraufgabe jeder Partei geworden ist, weil sie nur so flexibel auf
Herausforderungen in der Politik reagieren kann, zielen auch
Wahlprogramme in erster Linie gar nicht auf den Wähler.
Von diesen kann
und wird auch nicht erwartet, dass sie sich vor ihrer Wahlentscheidung
durch die zum Teil doch recht umfangreichen Wahlprogramme der Parteien
durcharbeiten.
Das gilt im Übrigen für die gesamte Parteiwerbung, die
nur von wenigen gelesen wird. (vgl.
Rudzio 2011,
S.203).
Zudem steht für den Durchschnittswähler allem wahlkämpferischen
"Tamtam" zum Trotz das Abgeben seiner Stimme eben "nur am Rande seiner
Lebensinteressen" (ebd.).
In erster Linie dienen Wahlprogramme also
dazu, dass sich die Parteimitglieder auf bestimmte Inhalte verständigen
(innerparteiliche Selbstverständigung) und ihre zum Teil doch recht
unterschiedlichen Interessen unter einen Hut bringen. (innerparteilicher
Interessenausgleich) (vgl.
Sarcinelli
1995, S.629)
Wahlkämpfe gleichen einander nicht und werden mit an die politische
Situation angepassten Strategien geplant und geführt.
Mal sind es
"Schicksalswahlen" oder "Richtungswahlen", weil entlang einer
besonders stark konturierten Konfliktlinie eine ganz wichtige Grundsatz-
oder Richtungsentscheidung
ansteht, zu der die Parteien gegensätzliche Positionen einnehmen, mal
werden "Schicksalswahlen" aber auch bloß herbeigeredet.
Nicht
nur deshalb erleben wir oftmals Wahlkämpfe, die "eher mit dem Showgeschäft verwandt“ sind.
Hesse/Ellwein 2012, S.354, Hervorh. d. Verf.)
Ob solche Wahlkämpfe
indessen in den Parteizentralen von langer Hand wirklich zu planen sind,
muss indessen bezweifelt werden. Denn es sind heutzutage vor allem die
Medien, die die Themen vorgeben, mit denen sich die Politiker zu
beschäftigen haben
(Agenda
setting).
Auch wenn dies in gewisser Hinsicht ein "Demokratiegewinn"
sein kann, weil die früher übliche Hofberichterstattung des
"Parteienjournalismus" damit an Bedeutung verloren hat (vgl.
Kleinert 2007,
S.8f.), "wird dieser Gewinn mehr als nur aufgezehrt durch die mit diesem
hektischen Kampf um Quoten und Auflage verbundene(n) Tendenz, Politik
mit den Mitteln des Boulevardjournalismus und möglichst unterhaltsam zu
präsentieren." (ebd.,
S.9)
Unter dem Diktat einer "boulevardesken Politikpräsentation", in der
es um "Emotionalisierung, Moralisierung und Personalisierung" mehr geht
als um "Ideen, Werte und Ergebnisse" (ebd.),
gleichen die Parteien ihre Werbung in
Medien wie dem Fernsehen den dort gängigen und erfolgreichen Formaten
an.
Was dabei die "hysterische Aufmerksamkonjunkturen und politvoyeristische Neugier" (ebd.)
fördern bzw. befriedigen soll, sind "Menschen und ihre Geschichten,
Prominenz und Aufmerksamkeitsproduktion" (ebd.)
Der ▪
neue
in diese "Mediokratie" eingepasst Politikertypus wird alles
daransetzen, soft und smart, aber vor allem politisch korrekt
"rüberzukommen" und "den angeheuerten Demoskopen (fragen), mit welchem
programmatischen Setting und welcher Inszenierung man die nächste Wahl
gewinnen könnte." (ebd.)
Über den damit einhergehenden Glaubwürdigkeitsverlust, der wieder die so
vielfach beklagte ▪
Parteienverdrossenheit
der Wählerinnen und Wähler fördert, macht man sich bisweilen wenig
Gedanken. (vgl.
ebd.)
So treten mehr und mehr Politiker/-innen in populären
Fernsehsendungen auf, "um politische Inhalte zu vermitteln und
parteipolitische Inszenierungen zu betreiben." (Hesse/Ellwein 2012,
S.354)
Aber auch die "Fernsehduelle" der Spitzenkandidaten/Spitzenkandidatinnen
miteinander gewinnen, ganz nach amerikanischen Verhältnissen, den
Charakter eines Showdown in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Wahltag.
Mag diese Mobilisierungsstrategie auch zum Teil darauf zurückzuführen
sein, dass gesellschaftliche Grundsatzkonflikte kaum vorhanden oder
gesellschaftliche Konfliktlinien allgemein an Bedeutung verloren haben
(→Dealigment),
kann dies kaum zur Entlastung der Parteien vorgebracht werden (vgl.
Grabow/Köllner 2008a, S.6) , die mit ihren Medienkampagnen und
"kostspieligen Materialschlachten" (ebd.)
alles dafür tun, dass sich daran auch in absehbarer Zeit nichts ändert.
Eine durchgehende "Amerikanisierung" des Wahlkampfes, bei dem
Marketingstrategien eindeutig dominieren, ist jedoch angesichts
unterschiedlicher Kommunikationskulturen in den USA und Deutschland, der
Existenz starker Parteien und eines trotz wachsender privater Konkurrenz
immer noch öffentlich-rechtlichen Mediensektors in Deutschland so
schnell nicht zu erwarten. Auch wenn von den Parteien sich das eine oder
andere aus amerikanischen Verhältnissen zu eigen machen, die Wahlkämpfe
auch bei uns kandidatenorientierter geworden sind, sind Wahlkämpfe in
Deutschland, wie in anderen westeuropäischen Ländern auch, im
Allgemeinen doch Parteienauseinandersetzungen um die Wählergunst. (vgl.
Köllner 2008,
S.18f.)
Das Internet und die
sozialen Medien machen gegenüber dem traditionellen Fernsehen,
dem man einmal auch nachgesagt hat, es entscheide die Wahlen (vgl.
Noelle-Neumann 1989), mehr und mehr Boden wett. Sie werden sicher in der
Zukunft noch mehr Bedeutung gewinnen, wobei natürlich auch die
Medienkonvergenz, die Tatsache also, dass die Medien mehr und mehr
miteinander verschmelzen, den Bedeutungszuwachs der neuen Medien weiter
erhöhen wird. Solange das Fernsehen aber noch die größte Reichweite hat,
werden die Parteien auch weiterhin in besonderem Maße darauf setzen und
mit ihren Wahlspots u. ä. versuchen, Wähler zu gewinnen. Dennoch:
Die sozialen Medien werden für die Mobilisierung der netzaffinen, meist jüngeren Wählerinnen und Wähler
immer wichtiger. Facebook-Seiten
der Parteien, Facebook-Gruppen und Liken, sowie Twitter der Parteien und
ihrer (Spitzen-)Kandidaten gehören mittlerweile zu eifrig genutzten
Wahlkampfmitteln. Was der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack
Obama in seinem Wahlkampf 2004 vormachte, hat längst auch in deutschen
Landen Wirkung gezeigt. Schon bei den Bundestagswahlen 2009 richtete man
in den parteizentralen den Blick auf die Methoden des viralen Marketings
und wird dies in den nächsten Wahlen sicher noch verstärken. (→Wahlkampf mit sozialen Medien:
Soziale Netzwerke als Plattformen für den Wahlkampf)
Zum "Wahlgezänk" dazu gehört mit steter Regelmäßigkeit die Frage:
Darf die Regierung mit ihrem ganzen Apparat für sich Werbung
machen? Der Vollständigkeit halber sei daher erwähnt: Das sehen Regierung und Opposition natürlich anders. Der Amtsbonus,
den ein Amtsinhaber/eine Amtsinhaberin hat, ist schließlich oft
vorhanden. Dass ein Bundeskanzler versucht, in Wahlkampfzeiten mit
seinem "Tagesgeschäft" besonders gut in den Medien "rüberkommen" will
und das dazu möglichst oft, ist aber von allen Regierungschefs
praktiziert worden. Und dass man besonders gerne in Wahlkampfzeiten in
ganzseitigen Anzeigen großer Tageszeitungen über bestimmte Gesetze
"informiert", die man gerade noch vor den Wahlen durchgebracht hat, ist
nur eine der vielen Zankäpfel, um die es in diesem Zusammenhang immer
wieder zwischen der jeweiligen Regierung und den jeweiligen
Oppositionsparteien gibt.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.01.2020