Das Mantra der Wahlkampfstrategie: Möglichst nah dran an schon
vorhandenen Einstellungen
Um ihre Wähler zu mobilisieren, konzipieren die Parteien eine
Wahlkampfstrategie, die Themen und
Inhalte präsentiert, die "möglichst schon an vorhandene
Einstellungen" anknüpfen. (Rudzio
2011, S.202) Und um dabei ja nichts falsch zu machen, bedienen sich
die Parteien der Meinungsforschung.
Diese ermittelt in Umfragen unter bestimmten Zielgruppen,
-
wie es um die Beliebtheit
der jeweils führenden Parteimitglieder und Spitzenkandidaten/innen
bestellt ist,
-
was ihnen zugetraut wird
und was eher nicht,
-
welche Themen den
Bundesbürgern unter den Nägeln brennen und
-
was und wie viel sie
dabei von der jeweiligen Partei bei der Bewältigung der Probleme
erwarten.
Parteien wollen im Wahlkampf natürlich eine
möglichst große Anzahl möglicher Wählerinnen und Wähler ansprechen. Da
aber deren Interessen und Ansichten oftmals auseinandergehen, flüchten
sich vor allem die großen Parteien immer wieder in allgemeine Aussagen
oder versuchen, ihren Wahlkampf auf ein paar wenige Themen zu
beschränken oder auf Personen zu konzentrieren. (vgl.
Rudzio 2011,
S.203) Gut ist, was Aufmerksamkeit bringt. Was die Parteien also häufig
im Wahlkampf "inszenieren", ist bei genauem Hinsehen nur die
Inszenierung eines "Pseudoereignisses",
um die Medien zur Berichterstattung zu veranlassen. (vgl.
ebd.,
S.205)
Parteien gehen bei der Konzipierung ihres Wahlkampfkonzepts
strategisch vor
Bei der Vorbereitung des Wahlkampfes einer Partei bleibt nichts dem
Zufall überlassen. Parteien gehen bei der Konzipierung ihres
Wahlkampfkonzepts strategisch vor.
Nach
Robert Rohrschneider (2002, S.376, zit. n.
Köllner 2008,
S.13f.) müssen die Wahlkampfstrategen dabei fünf Gesichtspunkte im Auge
haben:
-
Soll es primär darum
gehen, neue Wähler zu gewinnen und soll deshalb dem so genannten »Median-Wähler,
den Wählerinnen und Wählern, die sich der politischen Mitte
zurechnen, weil in der politischen Mitte (eines
Zweiparteien-Systems) grundsätzlich am meisten zu holen ist?
-
Soll der Wahlkampf vor
allem die eigene Stammwählerschaft ansprechen oder sollen vor allem
unabhängige Wählerinnen und Wähler erreicht werden?
-
Sollen im Wahlkampf die
programmatischen Aussagen im Mittelpunkt stehen oder soll sich die
Wahlkampagne an Umfrageergebnissen oder genau analysierbaren
"Fokusgruppen" orientieren?
-
Soll der Wahlkampf auf
die Spitzenkandidaten zugespitzt sein oder auf bestimmte
innerparteiliche Gruppierungen fokussiert werden?
-
Welche Rolle soll die
Partei als Organisation im Wahlkampf spielen?
Mobilisierungs- und Jagdstrategie
Aus solchen Überlegungen und Entscheidungen für das eine oder das
andere ergeben sich nach
Rohrschneider (2002, S.376f.) zwei verschiedene Arten des
Wahlkampfes. Idealtypisch lassen sich unterscheiden:
Mobilisierungsstrategie |
Jagdstrategie (chasing
strategy) |
-
hauptsächlich
von Inhalten bestimmt
-
orientiert
sich an den Stammwählerinnen und -wählern
-
stützt sich
vor allem auf das traditionelle politisch-ideologische
Konzept einer Partei
-
hebt die
Kernklientel der Partei besonders hervor
-
sieht in der
Partei vor allem ein Instrument, um mit den Wählerinnen
und Wählern in Kontakt zu kommen
|
-
das Maximale
an möglichen Stimmen herausholen als Hauptziel
-
richtet ihr
Hauptaugenmerk auf unabhängige (parteiungebundene)
Wähler
-
tendiert zu
einer (spitzenkandidaten-orientierten) Herausstellung
der Parteiführer/-innen
-
nutzt alle
möglichen modernen Instrumente der Wahlkampfführung und
zeigt sich damit auch organisatorisch innovativ
|
Statt komplexer und differenzierter Antworten Personalisierung,
Inszenierung und politische Symbolik
In einer Zeit, in der "an die Stelle autonomer Politik (...) vermehrt
der bloße Nachvollzug heterenomer Sachgesetzlichkeiten (tritt)" (Decker
2007, S.35), hat eine Wahlkampfstrategie, die auf unterschiedliche
Details von Problemlösungen abhebt, meist wenig Aussicht auf Erfolg.
Was
da an Details präsentiert wird, die den Unterschied der Parteien
ausmachen soll, ist meistens einfach zu kompliziert und lässt sich
demgemäß nur sehr schwer vermitteln.
Und: wenn eine Partei versucht,
diese Detailfragen ideologisch "aufzuladen", in dem sie ihren
Lösungsansatz an die Grundwerte der Partei rückbindet, hat sie damit oft
auch kein "Alleinstellungsmerkmal", weil die meist sehr allgemein
gehaltenen Werte genauso gut auch vom politischen Gegner stammen
könnten. (vgl. ebd., S.35f.)
Betrifft dies vor allem den Bereich der Wirtschafts-
und Sozialpolitik mit ihren vermeintlichen "Sachzwängen", könnten sich
die Parteien zwar grundsätzlich einfach andere Politikfelder suchen, auf
denen sie im Wahlkampf gegeneinander antreten. Allerdings kommen
kulturelle, gesellschaftliche oder auch außenpolitische Fragen eben nur
selten "auf der politischen Agenda ganz nach oben", weil sie auch von
den Medien häufig nicht so wichtig genommen werden. (vgl.
ebd., S.36)
Weitaus mehr Aussicht auf Erfolg hat da eine Wahlkampfstrategie, wie wir
sie heute immer wieder erleben: "Ausweichen auf Personalisierung,
Inszenierung und politische Symbolik." (ebd., Hervorh. d. Verf.)
Im Spannungsfeld zwischen Sachinformationen und
Konsumententenwerbung
Heutige Wahlkämpfe bewegen sich im
Spannungsfeld zwischen
Sachinformationen und Konsumentenwerbung. (▪
Werbung:
-
So gibt es Informationen,
die den Wählern helfen sollen, ihre Wahlentscheidung möglichst
bewusst und sachkompetent zu fällen.
-
Genau so aber, und in der
Tendenz eher steigend, setzen die Parteien aber auch darauf, die
Wähler mit einer "politisch 'bewusstlos' machenden
Konsumentenwerbung" für sich einzunehmen. Dazu setzen sie vor allem
auf Sympathiewerbung und auf das persönliche Image von Kandidaten.
(vgl. Sarcinelli
1995, S.629) (▪
Imagebegriff)
Es gilt, den Parteienwettbewerb zu "»entsubstanzialisieren«, die
Verpackung anstelle des Inhalts zu setzen." (Decker
2007, S.36)
Da die herkömmlichen Massenmedien selbst "zu Personalisierung,
Emotionalisierung und Dramatisierung neigen“ (Rudzio
2011, S.205), werden emotionale Appelle, die Emotionalisierung der
Sprache und die Inszenierung emotional besetzter Pseudoereignisse durch
die Parteien im Kampf um die Aufmerksamkeit der Medien immer wichtiger.
(▪
Emotionale
Appelle in der Werbung)
Keine populistische Stimmungsmache
Damit solche Wahlkampfstrategien "die
Legitimität der gesamten Parteiendemokratie nicht untergraben", müssen
sie verantwortlich genutzt werden. (Decker
2007, S.36)
Wo das nicht gelingt, beginnt nämlich "zugleich das
Reich der Verführung, wo man unhaltbare Versprechungen macht, eine in
Wahrheit längst verloren gegangene Handlungsmacht vortäuscht, Emotionen
anstelle von Sachargumenten setzt oder sich in populistischer
Stimmungsmache übt." (ebd.)
Wenn sich die Tendenz zur Konsumentenwerbung
weiter bestätigt, kann davon ausgegangen werden, dass die politische
Diskussion thematisch verflacht und sich auf die persönliche
Auseinandersetzung der (Spitzen-)Kandidaten und –kandidatinnen
beschränkt.
Dem entspricht auch die Bedeutung, die inzwischen den
inszenierten "Fernsehduellen"
zwischen Amtsinhaber/-in und Herausforderer gegeben wird.
Wie man weiß
können solche Duelle "durchaus eine Wahl mit entscheiden“ (ebd.,
S.204), wenn es besonders eng zugeht. Gelingt es den Parteien schon im
Vorfeld ihren Duellanten noch eine Reihe hoch im Kurs stehender Werte
zuzuschreiben, kann dies den Eindruck erwecken, dass es im Wahlkampf
wirklich um "fundamentale Systemalternativen" geht (vgl.
Sarcinelli
1995, S.631), die vielleicht sonst keineswegs zutage träten.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.01.2020
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