Grundsätze der Deutschen Volkspartei
(beschlossen auf dem Leipziger Parteitag am 19. Oktober 1919)
I. Vom Staatswesen
1. Staatsgewalt. Eine starke
fest gefügte Staatsgewalt – gestützt auf sorgsame Pflege
staatsbürgerlichen Pflichtbewusstseins, letzten Endes aber auf die
unerlässlichen Machtmittel - ist die erste Voraussetzung für eine
gedeihliche Entfaltung der deutschen Volkskraft nach außen und nach innen.
Je geringer die Machtmittel des Reiches sind, um so notwendiger ist es,
das Pflichtbewusstsein gegen den Staat bis zum Tode, die Manneszucht und
Kameradschaft, die Grundpfeiler, auf denen unser deutsches Volksheer
aufgebaut war, im deutschen Volke lebendig zu erhalten. Dafür wird die
Deutsche Volkspartei allezeit eintreten.
Sie fordert volle politische Gleichberechtigung aller Staatsbürger; sie
erblickt aber in der freiwilligen, vertrauensvollen Gefolgschaft. die das
Volk seinen selbst gewählten Führern leistet, eine wesentliche
Vorbedingung für Deutschlands Freiheit und Aufstieg. Sie wird diese
Gesinnung besonders pflegen.
2. Stellung nach außen. Wie
für den einzelnen in der Volksgemeinschaft, so verlangt die Deutsche
Volkspartei für das deutsche Volk im Kreise der Völker die ihm gebührende
Achtung und Freiheit der nationalen und wirtschaftlichen Entwicklung.
Sie erstrebt eine politische und wirtschaftliche Völkerversöhnung, hält
diese aber für unmöglich, solange die Ehre des deutschen Volkes von
unseren Feinden zertreten, eine Vereinigung aller Deutschen, die von uns
gerissen sind oder sich zum Reiche bekennen, einschließlich der
österreichischen Deutschen, verhindert und der uns aufgezwungene
Gewaltfriede aufrechterhalten wird.
Unsere auswärtige Politik bedarf einer umsichtigen, zielbewussten und
sachkundigen Leitung. Der auswärtige Dienst ist umzugestalten; unsere
Vertreter im Ausland sind allein nach dem Gesichtspunkt der Tüchtigkeit so
auszuwählen, dass sie auf Grund enger Beziehungen zum Auslanddeutschtum
und zu den maßgebenden Kreisen des Auslandes, insbesondere der
ausländischen Presse, unsere Politik, unseren Handel und unsere Industrie
erfolgreich zu unterstützen vermögen.
An der geistigen und sittlichen Hebung der auf niedriger Kulturstufe
stehenden Völker mitzuarbeiten, ist auch das deutsche Volk berechtigt.
3. Staatsform. Die Deutsche
Volkspartei wird den des Reiches mit allen Mitteln fördern. Daher wird sie
im Rahmen ihrer politischen Grundsätze innerhalb der jetzigen Staatsform
mitarbeiten.
Die Deutsche Volkspartei fordert den deutschen Einheitsstaat mit
weitgehender Selbstverwaltung und Sicherung der Eigenart der einzelnen
geschichtlich, kulturell und wirtschaftlich zusammenhängenden
Landschaften. Solange sich aber nicht alle deutschen Länder gleichmäßig
dem deutschen Einheitsstaat einfügen, wird die Deutsche Volkspartei jedem
Versuch einer Zertrümmerung Preußens widersetzen.
Wir fordern die Wiederherstellung der ruhmvollen schwarz-weiß-roten
Reichsfarben.
Die Deutsche Volkspartei erblickt in dem durch freien Entschluss des
Volkes auf gesetzmäßigem Wege aufzurichtenden
Kaisertum, dem Sinnbild
deutscher Einheit, die für unser Volk nach Geschichte und Wesensart geeignetste Staatsform.
Verantwortliche Mitarbeit der Volksvertretung an der Regierung ohne
Ausbeutung der jeweiligen Parteimacht, gilt uns als wesentliche Grundlage
jeder Verfassung.
4. Verwaltung und
Rechtspflege. Die Deutsche Volkspartei verlangt eine zeitgemäße
Neugestaltung und Vereinfachung der Reichsverwaltung auf freiheitlicher
Grundlage mit weitgehender Selbständigkeit der einzelnen Behörden. Sie
fordert die Ausgestaltung des Rechtsschutzes in der Verwaltung und den
weiteren Ausbau der Selbstverwaltung in allen Stufen öffentlicher
Gemeinschaft. Bei den Verwaltungsgeschäften sind alle Volkskreise zu
verantwortlicher Mitarbeit heranzuziehen. Diese Mitarbeit ist eine
Ehrenpflicht, für deren Erfüllung nur die tatsächlichen Aufwendungen zu
erstatten sind.
In einer unabhängigen, lediglich auf Gesetz und Gerechtigkeit gegründeten
Rechtspflege erblickt die Deutsche Volkspartei den Grundpfeiler
staatlicher Ordnung. Der Richterstand ist aus dem übrigen Beamtenkörper
herauszulösen und vor Einflüssen der jeweiligen Regierung
sicherzustellen. An der Unabhängigkeit der Richter ist festzuhalten, ihre
Berufung durch Wahl zu verwerfen. Bei schweren Eingriffen in die Rechte
des einzelnen muss, auch gegenüber demokratischen Mehrheitsbeschlüssen,
die Anrufung des unabhängigen Richters ermöglicht werden.
Die Deutsche Volkspartei erstrebt eine gemeinverständliche
Gesetzessprache, eine Vereinfachung, Verbilligung und Beschleunigung des
Rechtsganges und weitgehende Beteiligung der Laien an der Urteilsfindung.
Die Neugestaltung des Strafrechtes und des Prozessrechtes ist zu
bescheunigen. Sondergerichte sind möglichst zu vermeiden.
5. Beamte. Die Deutsche Volkspartei
vertritt mit aller Entschiedenheit den Standpunkt, dass ein geordnetes
Staatswesen für die Lösung seiner Aufgaben eines in der erforderlichen
Weise praktisch, theoretisch und wissenschaftlich vorgebildeten
Berufsbeamtentums als seines Rückgrates unbedingt bedarf.
Zur Erhaltung und Fortentwicklung eines tüchtigen, leistungsfähigen
Beamtentums erhebt sie folgende Forderungen:
Unkündbare, lebenslängliche Anstellung der Beamten lediglich nach
sachlichen Gesichtspunkten ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit und
religiöses Bekenntnis, nach kurzer Wartezeit mit Anspruch auf Gehalt,
Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Urlaub, sowie dauernde Sicherung
dieser Grundrechte der Beamten durch die Verfassung; …
weiteren Ausbau der Beamtenrechte durch ein besonderes Beamtengesetz,
welches die völlige politische und außerdienstliche Freiheit und
Mitwirkung an der Gestaltung der Stellung und des Wirkungskreises der
Beamten durch Beamtenausschüsse und Beamtenkammern und ihre Fachverbände
sicherstellt;
unbedingte Aufrechterhaltung des Staatsbürgerrechts, des Versammlungs-,
Vereins- und Vereinigungsrechts und Gewährung des grundsätzlichen Rechts
der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift;
Verbesserung des Dienststrafverfahrens, insbesondere durch Einfügung der
Berufung, der Wiederaufnahme und der Besetzung eines Teiles des
Gerichtshofes mit Beamten vom Range und dem Dienstzweige des
Angeschuldigten;
völlige Gleichstellung der Lehrer und Gemeindebeamten in wirtschaftlicher
und rechtlicher Hinsicht mit Staatsbeamten’:
6. Volkstum und Familie. Die
Not der Zeit, die Bedrückung durch unsere Feinde, der Hass und die
Verleumdung, die dem deutschen Volke überall begegnen, machen es besonders
notwendig, dass es seiner völkischen Eigenart bewusst werde und alle
geistigen und sittlichen Werte, die in ihm liegen, herausarbeite. Dazu
will die Deutsche Volkspartei nach Kräften mitwirken. Dagegen bekämpft sie
alle Zersetzungsbestrebungen, die an die Stelle des Bekenntnisses zum
nationalen Staat und zum deutschen Volkstum das Weltbürgertum setzen
wollen. Sie verwirft alle Bestrebungen, die unser deutsches Empfinden
zurückdrängen wollen zugunsten weltbürgerlicher, uns wesensfremder
Auffassungen. Der sittliche und wirtschaftliche Wiederaufbau unseres
Volkes kann nur gelingen, wenn wir zurückkehren zu den alten Grundsätzen
von Treue, Ehrlichkeit, Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit im
öffentlichen Dienst, in Handel und Wandel. Alle anders gearteten
Gesinnungen bekämpft die Deutsche Volkspartei, gleichviel, von welcher
Seite sie kommen.
7. Bevölkerungspolitik. Die
Volksgesundheit leiblich und sittlich zu pflegen und zu fördern, ist der
Deutschen Volkspartei ernste Pflicht. Sie will das deutsche Volk deutsch
erhalten und bekämpft daher insbesondere die seit der Revolution
eingetretene Überflutung Deutschlands durch fremdstämmige Personen.
Die Auswanderung von Deutschen gilt ihr als Verlust deutscher Volkskraft
und deutschen Volksvermögens. Soweit sie nicht zu verhindern ist, sind die
Auswanderer sachgemäß zu bearten und so zu leiten, dass sie ihr Deutschtum
und den Zusammenhang mit der Heimat behalten.
8. Auslandsdeutschtum. Für die
deutschen Minderheiten in fremden Staaten fordert die Deutsche Volkspartei
das Recht auf Wahrung ihres Volkstums.
Die Pflege der Kulturgemeinschaft mit den Auslandsdeutschen als den
Vertretern des deutschen Gedankens, den Vorkämpfern für die Achtung des
gesamten Deutschtums und den Pionieren des deutschen Handels gehört zu den
vornehmsten Aufgaben des Reiches. Insbesondere sollen die gegen ihren
Willen von uns losgerissenen Volksgenossen mit dem deutschen Volke geistig
fest verbunden bleiben.
9. Frauenfrage. Die Deutsche
Volkspartei tritt ein für die politische, wirtschaftliche und rechtliche
Gleichstellung der Geschlechter. Sie fordert Zulassung der Frauen zu allen
Ämtern und Stellen unter Voraussetzung vollwertiger Vorbildung, die
zugleich Vorbedingung zu ihrem Aufstieg bis in die höchsten Stellen wird.
Das Wirken der Frau als Mutter und Erzieherin der kommenden Geschlechter,
als Leiterin des Hauswesens und als Mitarbeiterin und Mitkämpferin im
sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben findet weitgehende
Würdigung und Unterstützung der Deutschen Volkspartei.
10. Schule und Volksbildung.
Die Deutsche Volkspartei fordert die nationale Einheitsschule. Auf einer
allgemeinen Grundschale soll sich ein reichgegliederter und
vielgestaltiger Aufbau des deutschen Schulwesens erheben, dessen einzelne
Teile unter sich eng verbunden sind, so dass sich dem Tüchtigen ohne
Unterschied des Geschlechts, des Standes und des Besitzes vielfache
Aufstiegsmöglichkeiten bieten und deutsches Geistesleben sich in seiner
ganzen Mannigfaltigkeit entfalten kann. Dabei ist der Zusammenhang mit den
Grundlagen deutscher Kultur, insbesondere dem Christentum, zu bewahren.
Die Deutsche Volkspartei fordert deshalb auch die Beibehaltung des
Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen nach Grundsätzen der
Religionsgemeinschaften unter Wahrung aller Gewissensfreiheit …
11. Jugendpflege. Die Deutsche
Volkspartei tritt ein für einen tatkräftigen Ausbau der Jugendpflege unter
dem Gesichtspunkt der Erhaltung und Stärkung der deutschen Volkskraft.
Alles, was zur körperlichen, geistigen und sittlichen Ertüchtigung der
Jugend dient, ist nachdrücklich zu fördern. Die öffentlichen
Fürsorgemaßnahmen und die private Wohltätigkeit für die Jugend sind,
insbesondere durch gesetzliche Einführung von Jugendämtern, auszubauen und
miteinander zu verbinden.
12. Religion und Kirche. Die
Deutsche Volkspartei verlangt Gewissensfreiheit und
Selbstverantwortlichkeit in allen religiösen und kirchlichen
Angelegenheiten. Sie sieht im Christentum einen Grundpfeiler deutscher
Kultur und deutschen Volkslebens. Sie erstrebt eine verständnisvolle
Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften mit dem Staate im Dienste der
Volkserziehung sowie der Milderung der konfessionellen Gegensätze durch
gegenseitiges Verständnis und einträchtiges Zusammenarbeiten im
öffentlichen Leben.
Die Deutsche Volkspartei tritt ein für volle Freiheit und Selbstverwaltung
aller religiösen Gemeinschaften. Die Kirchen sollen frei von staatlicher
Bevormundung ihre bisherige Stellung als Körperschaften des öffentlichen
Rechts, einschließlich des Rechts zur Besteuerung ihrer Mitglieder,
behalten. Anderen Religionsgemeinschaften ist die Möglichkeit zu
verschaffen, durch staatliche Anerkennung dieselben Rechte zu erwerben.
Die Verpflichtungen des Staates sollen durch Gesetz in einer den
Lebensbedingungen der Kirche entsprechenden Form allmählich abgelöst
werden. Für den Fortbestand der theologischen Fakultäten, der Seelsorge in
Heer und Marine, in öffentlichen Krankenhäusern und Gefängnissen sind auch
ferner staatliche Mittel bereitzustellen.
13. Kunst, Literatur und
Presse. Die Deutsche Volkspartei erkennt an, dass allen in der
Kunst und Literatur um Geltung ringenden Strömungen das Recht auf freie
Entfaltung zukommt; ihre besondere Förderung wird sie aber denjenigen
Bestrebungen widmen, die deutsches Wesen und deutsches Empfinden
künstlerisch darstellen wollen. Die Kunststätten und künstlerischen
Bestrebungen in den mittleren und kleineren Orten sind besonders zu
pflegen.
Die Freiheit der Presse ist zu gewährleisten. Schmutz in Wort und Bild
aber sind zu unterdrücken und durch Pflege guter Kunst und Literatur zu
verdrängen. Die Presse ist als berufene Vertreterin der Öffentlichkeit
anzuerkennen; der Bürger ist vor ungerechtfertigten Angriffen der Presse
gegen sein häusliches Leben und seine persönlichen Rechte zu schützen. Der
Zeugniszwang gegen die Presse ist zu beseitigen.
II. Von der Volkswirtschaft
14. Wirtschaftsordnung. Die
Deutsche Volkspartei fordert für jeden Staatsbürger das Recht der freien
Entfaltung seiner Kräfte. Das Streben nach Gewinn muss aber bei dem
einzelnen seine sittlichen Schranken finden in der Rücksichtnahme auf das
Wohl und die Bedürfnisse der übrigen Volksgenossen.
Die Deutsche Volkspartei hält fest an dem Recht auf Privateigentum und dem
gesetzlichen Erbrecht der engeren Familie. Der Besitz ist als anvertrautes
Gut zu behandeln, das zu fruchtbarem Schaffen verpflichtet, dies gilt
erhöhtem Maße vom ererbten Gute.
Bei der Überführung von wirtschaftlichen Unternehmungen in die öffentliche
Hand, die nur gegen Entschädigung erfolgen darf, wird die Deutsche
Volkspartei unter der Voraussetzung mitwirken, dass wesentliche Vorteile
für die Allgemeinheit dauernd gewährleistet sind. Im Allgemeinen wird eine
Beteiligung des Staates an freien Betrieben den Vorzug verdienen.
15. Arbeitsgemeinschaft. Die
Deutsche Volkspartei sieht die Lösung der sozialen Frage nicht in äußeren
Formen des Wirtschaftslebens, die mit erhöhtem Zwang nur seine
Leistungsfähigkeit mindern, sondern in der innerlichen Gleichberechtigung
aller Volksgenossen und der sittlichen Überwindung aller Gegensätze
zwischen den verschiedenen Bevölkerungskreisen, zwischen Stadt und Land,
Unternehmern und Mitarbeitern. Eine Sozialisierung der deutschen
Wirtschaft verwirft sie; der Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen
Forderungen der einzelnen Berufsgruppen ist auf dem Wege gütlicher oder
schiedsgerichtlicher Einigung herbeizuführen.
Der Glaube, dass eine Volksklasse nur für die andere arbeite, muss nicht
nur wie bisher durch soziale Fürsorge, sondern vor allem durch ein enges
Zusammenwirken zwischen dem Arbeitgeber und seinen Werksangehörigen
widerlegt werden. Frei gewählte Vertrauensleute der Arbeiter und
Angerstellten sollen nach Maßgabe der Gesetze und allgemeinen
Vereinbarungen gemeinsam mit dem Unternehmer die die den Arbeitsdienst und
die Arbeiterwohlfahrt betreffenden Fragen lösen. Die geschäftliche und
technische Leitung der Betriebe bleibt der Verantwortlichkeit der
Unternehmer überlassen.
Dem berechtigten Verlagen der Arbeiter und Angestellten, verantwortlich an
der Regelung der Wirtschafts- und Sozialpolitik mitzuwirken, ist Rechnung
zu tragen. Dieses Ziel will die Deutsche Volkspartei durch eine von den
Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragene Arbeitsgemeinschaft
erreichen.
In freier und unbefangener Gemeinschaftsarbeit soll sich so auf dem Boden
der Gleichberechtigung zwischen den Unternehmern und ihren Mitarbeitern
eine berufsständische Vertretung aller schaffenden Arbeit bis hinauf zum
Reichswirtschaftsrat aufbauen.
16. Angestellte und Arbeiter.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Angestellten und Arbeiter müssen
durch verständnisvolles Zusammenwirken aller Beteiligten neu gestaltet
werden. Hierbei ist auf freie verantwortliche Betätigung der einzelnen und
auf Würdigung der Persönlichkeit nach ihrem besonderen Wert und ihren
Leistungen hinzuwirken.
Die Deutsche Volkspartei tritt ein für gesetzliche Gewährleistung des
Koalitionsrechtes und der Koalitionsfreiheit, insbesondere für Schutz der
gewerkschaftlichen und politischen Überzeugung des einzelnen
Arbeitnehmers, sowie für Anerkennung der Berufsverbände, für Schaffung
eines zeitgemäßen Arbeiter- und Staatsarbeiterrechts und den Ausbau des
Angestelltenrechts unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der einzelnen
Angestelltengruppen. Den besonderen Verhältnissen der Landarbeiter,
Handwerksgehilfen und Hausangestellten ist Rechnung zu tragen.
Die Deutsche Volkspartei fordert Erweiterung der sozialen Fürsorge auf
allen Gebieten. Internationale Durchführung der sozialen Versicherungs-
und Schutzgesetze sind daher ein dringendes Erfordernis.
17. Freie Berufe. Die Deutsche
Volkspartei tritt für Erhaltung und Schutz der freien Berufe (Ärzte,
Apotheker, Anwälte, Techniker, Schriftsteller usw.) ein. Sie verwirft eine
Sozialisierung dieser Berufe und eine Bestellung ihrer Angehörigen zu
Beamten. Die wirtschaftlichen Bestrebungen der Berufsverbände sollen
staatliche Förderung finden. Das Recht am geistigen Eigentum ist zu
erweitern.
18. Landwirtschaft. In einer
blühenden Landwirtschaft und einem kräftigen, selbstbewussten Bauernstand
sieht die Deutsche Volkspartei die wichtigste Grundlage deutscher
Volkskraft. Durch planmäßige Pflege aller Zweige der Landwirtschaft ist
die Hebung der Erzeugung und damit die Unabhängigkeit unserer
Volksernährung vom Auslande anzustreben. Die Viehzucht bedarf ganz
besonderer Förderung. Die restlose Ausnützung aller zur Fischzucht
geeigneten Gewässer ist geboten. Durch die Wirkungen des Weltmarktes darf
die deutsche Landwirtschaft in ihrem Bestande nicht gefährdet werden;
hiervor ist sie durch Schutzzölle ausreichend zu sichern.
Durch eine großzügige Innensiedlung ist eine gesunde Mischung von Groß-,
Mittel- und Kleinbesitz unter Vermehrung der selbständigen Bauernstellen
und der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe zu erstreben. Der Aufstieg zu
wirtschaftlicher Selbständigkeit ist, namentlich bei den Landarbeitern,
planmäßig zu fördern. Die Zusammenlegung zersplitterten Besitzes und die
Durchführung von Bodenverbesserungen ist erheblich zu erleichtern.
Die landwirtschaftlichen Fideikommisse in der seitherigen Form und
Ausdehnung müssen wegfallen. Häufung von Gütern und Pachtungen in einer
Hand ist zu verwerfen …
19. Industrie. Um dem deutschen Volke
Unterhalt zu schaffen, bedarf es des erneuten Aufschwungs der Industrie.
Was von Staats wegen zu ihrer Förderung geschehen kann, insbesondere durch
wissenschaftliche Forschungs- und Bildungsgelegenheiten, Ausgestaltung der
gewerblichen Schutzrechte (Patente usw.), gesetzliche und
verwaltungsmäßige Erleichterung der Begründung und Führung industrieller
Betriebe (Konzessionsverfahren usw.) wird die Unterstützung der Deutschen
Volkspartei finden.
Die Wirtschafts-, Handels- und Zollpolitik muss auf die
Lebensnotwendigkeiten und die gesunde Entwicklung der Industrie
sorgfältige Rücksicht nehmen. Eine gut belohnte, geistig hoch stehende
Arbeiterschaft wird die wertvollste Mithelferin der Industrie sein.
20. Handwerk,
Kleinhandel und Gewerbe. Die Deutsche Volkspartei würdigt den
bedeutsamen nationalen und wirtschaftlichen Wert eines selbständigen
Mittelstandes uns sieht im selbständigen Handwerk, Kleinhandel und Gewerbe
dringend erhaltenswertem der Landwirtschaft, der Industrie und dem
Großhandel gleichberechtigte Erwerbsstände, deren Lebensfähigkeit zu
sichern und zu fördern ist. Sie erblickt daher eine ihrer vornehmsten
Aufgaben darin, die Wiederaufrichtung des gewerblichen Mittelstandes in
Stadt und Land mit allen Kräften zu betreiben.
Die berufsständischen Verbände sind bei der Lösung aller den gewerblichen
Mittelstand betreffenden Fragen heranzuziehen und in den
Reichswirtschaftsrat einzugliedern...
Die Kommunalisierung der Betriebe des Mittelstandes lehnt die Deutsche
Volkspartei ab. Eine Bevorzugung der Konsumvereine zuungunsten des
gewerblichen Mittelstandes hat zu unterbleiben…
21. Handel und
Schifffahrt; Kolonien. In Anerkennung der hohen Bedeutung des
Bank- und Versicherungswesens, des Handels und der Schifffahrt für unsere
gesamte Volkswirtschaft wird die Deutsche Volkspartei ihnen mit allen
Mitteln behilflich sein, die frühere Weltgeltung wieder zu erringen.
Lästige Fesseln müssen ferngehalten werden.
Den Wiederaufbau der Handelsflotte hat das Reich mit Nachdruck zu fördern.
Für die durch die Auslieferung der Handelsflotte schwer getroffene
seemännische Besatzung zu sorgen, ist Ehrenpflicht des Reiches. Der Ausbau
der deutschen Seehäfen mit Mitteln des Reiches ist erforderlich, um sie im
Wettbewerb mit den ausländischen Häfen lebensfähig zu erhalten. Auch die
Seefischerei bedarf seiner Unterstützung.
Die Deutsche Volkspartei wird alles daransetzen, um für Deutschland ein
seinen wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechendes Kolonialland
wiederzuerlangen.
22. Verkehrswesen. Eisenbahnen,
natürliche und künstliche Wasserstraßen bilden die Grundlage einer
gesunden Volkswirtschaft und damit auch eine Voraussetzung für geordnete
politische Zustände.
Die Staatseisenbahnen sind auf das Reich zu überführen. Sie sind zu einer
sich selbst verwaltenden Anstalt zusammenzuschließen, welche unabhängig
von den Finanzen des Reichs die deutsche Volkswirtschaft zu fördern hat.
Ihre Einnahmen müssen die Verzinsung und Abschreibung der Anlagekosten
ermöglichen.
Auch die Förderung der Schifffahrt auf den natürlichen Wasserstraßen, der
Bau und die Pflege eines ausgedehnten Kanalnetzes und der maschinelle
Betrieb auf ihm muss Aufgabe des Reiches sein. Bei Ausnutzung der
Wasserstraßen dürfen der privaten Unternehmungslust nur insoweit Schranken
gesetzt und Laste auferlegt werden, als dies zur Deckung der Auslagen des
Reiches und zur Regelung des Verkehrs geboten ist.
23. Bodenpolitik und
Wohnungswesen. Der heimatliche Boden ist unter ein Recht zu
stellen, das ihn dem deutschen Volke sichert und seinen Gebrauch als Werk-
und Wohnstätte fördert, das jeden Missbrauch ausschließt und das die
Wertsteigerung, die er ohne die Arbeit des einzelnen erhält, der
Allgemeinheit nutzbar macht. Alle deutschen Familien, insbesondere die
kinderreichen, sollen möglichst eine ihren Bedürfnissen entsprechende
Wohn- und Wirtschaftsheimstätte erhalten.
In Stadt und Land ist eine von sozialem und technischem Verständnis
geleitete Wohnungsaufsicht durchzuführen. Der Ausgleich der Gegensätze
zwischen Vermieter und Mieter durch verständnisvolle Rücksichtnahme
aufeinander ist anzustreben…
24. Kriegsschäden. Weitgehende
Fürsorge für alle Krieger-, insbesondere für die Kriegsbeschädigten, sowie
für die Hinterbliebenen unter Berücksichtigung ihrer früheren
Lebenshaltung ist selbstverständliche Ehrenpflicht des Reiches.
Die Deutsche Volkspartei verlangt eine großzügige und weitherzige Fürsorge
für die Bewohner des vom Feinde besetzten Gebiets und für die deutschen
Rückwanderer. Sie wird volle Schadloshaltung der Bewohner des besetzten
Gebiets für die ihnen durch Maßnahmen der Feinde zugefügten Verluste
erstreben.
25. Finanzen und Steuern.
Ehrlichkeit, Ordnung und Sparsamkeit müssen in den öffentlichen Haushalten
wieder zur Geltung kommen. Nur so kann die Gesundung der Finanzen des
Reiches wieder herbeigeführt werden. Die wirtschaftlichen Unternehmungen
des Reiches, der Länder und der Gemeinden müssen pfleglich und nach
kaufmännischen Grundsätzen verwaltet werden. Auch Unternehmungen in
öffentlicher Hand, die in erster Linie zur Förderung der Gesamtwirtschaft
bestimmt sind, müssen möglichst nach dem Grundsatz der Selbstkostendeckung
bewirtschaftet werden.
Einkommen und Vermögen sind nach der Leistungsfähigkeit zu den
Staatslasten heranzuziehen. Das Arbeitseinkommen ist dem Einkommen aus
Vermögen gegenüber zu bevorzugen. Der Familienstand ist zu
berücksichtigen; die für die Volkskraft wichtigen Mittelschichten müssen
vor einem Herabsinken bewahrt werden. Steuern auf den Verbrauch, den
Aufwand und den Verkehr der breiten Massen werden nicht zu vermeiden sein.
An die Stelle entfernter Verwandter soll als gesetzlicher Erbe der Staat
treten. Steuerhinterziehung und Steuerflucht sind rücksichtslos zu
bekämpfen…
Nach diesen Zielen strebt die Deutsche Volkspartei. Sie will den
Sammelpunkt bilden für die weiten Kreise unseres Volkes, die entschieden
national, liberal und sozial empfinden. Sie weiß, dass mit solcher
Gesinnung der Weg gefunden werden wird, der aus dem Dunkel der Gegenwart
wieder hinaufführt in eine lichtere Zukunft.
Bei aller Not – dennoch vorwärts!
(in:
Hohlfeld, Dokumente, Bd. III, S. 95-104, dort
zit. n. F. Salomon, Die deutschen Parteiprogramme, Heft 3, 3. Aufl., 1920, S.
97-111)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.09.2023