Ein Krieg
mit vielen Gesichtern
Wer im Nachhinein ein Bild von einem Krieg machen will,
der vor bald vier Jahrhunderten dreißig lange Jahre hingezogen hat, darf
dies nicht auf der Grundlage von Vorstellungen tun, die Kriege im 20.
und 21. Jahrhundert im kollektiven Bewusstsein der Nationen und Völker
Europas, aber auch der restlichen Welt erzeugt haben. Auch wenn der
Dreißigjährige Krieg ein Flächenbrand war, der in zahlreichen Regionen
Europas mit einer nach heutigen Maßstäben unvorstellbaren, mitunter
geradezu entfesselter Brutalität gewütet hat, hatte er eben auch andere
Gesichter.
Denn auch während er sich, wie
Friedell (1928/1969), S.411-414) beschrieben hat, unaufhaltsam in
den halben Erdteil hineingefressen und geradezu launisch bald hier, bald
dort Städte, Wälder, Dörfer, Felder, Kronen und Weltanschauungen in
Asche gelegt hat, gab es auch Landstriche, die vom Krieg ganz verschont
geblieben sind. Ja, manche blühten als Kriegsgewinnler sogar noch auf.
Zudem war nicht überall und schon gar nicht gleichzeitig Krieg und
selbst dort, wo er besonders heftig und zugleich mehrfach wütete, "gab
es ruhige Perioden und lange Erholungspausen. Und auch die kriegerischen
Truppen agierten nicht überall gleich entfesselt gegenüber der schutzlos
ausgelieferten Landbevölkerung. Offiziere, die ihre Truppen in Zucht
hielten, ließen die schlimmsten Peiniger unter ihren Soldaten, die auch
Pfarrer nicht verschonten, kurzerhand aufhängen oder aber ließen von den
Soldaten ins Lager entführte junge Mädchen aus angesehenem Hause "ohne
alle Entgelt und mit Ehren ihren lieben Eltern" zurückbringen. Andere
Truppen tobten wie wahre Teufel, und oft genug waren die vermeintlichen
Freunde die schlimmsten Feinde. [...] Die Wirklichkeit des Großen
Krieges hatte viele Gesichter, doch der Grundtenor war die immerwährende
Angst, waren Ohnmacht und Hilflosigkeit. " (Ruth. E.
Mohrmann,
Alltag in Krieg und Frieden, in:
Bußmann/Schilling (Hg.) o.J. (1998), S.319ff., Hervorh. d. Verf.)
Gräueltaten ohne Ende
Die
historischen Quellen zeichnen das Bild unvorstellbarer Gräuel. So
berichtet z. B. Joh. Daniel Minck von solchen Ereignissen im so genannten
▪ Schwedischen Krieg:
" Bald fielen die Schweden über den Rhein herüber und jagten die
Kaiserlichen aus ihren Quartieren, bald jagten diese wieder jene hinaus.
Dadurch wurde das ganze Land zwischen Rhein und Main verelendet und kein
Mensch durfte sich auf dem Lande blicken lassen, denn dann wurde ihm
nachgejagt wie einem Wild. Fing man ihn, so wurde er unbarmherzig
misshandelt, und damit er Geld, Vieh und Pferde verriete, [...] geknebelt,
nackt an den heißen Ofen gebunden, aufgehängt [...] oder mir Wasser und
Jauche getränkt, die man den Leuten zuberweise in den Hals schüttete,
worauf man ihnen mit Füßen auf die dicken Bäuche sprang [...] Weil keine Lebensmittel mehr auf dem Lande waren, wurden alle Dörfer [...]
von allen Einwohnern verlassen. Reinheim und Zwingenberg standen zwei
Jahre ganz leer und offen [...] Viele [...] versteckten sich zwar in
Wäldern, Höhlen [...] usw., aber sie wurden auch hier aufgespürt, denn die
Soldaten hatten menschenspürige Hunde bei sich [...]
(Joh. Daniel Minck, zit. n.:
E. Orthbandt 1960,
S.611f. bzw.
Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 2, S.216) (→Quelle
1) Wie die Quelle anschaulich zeigt, war es vor allem
die Landbevölkerung die unter dem Kriegsgeschehen zu leiden hatte.
Die Städte konnten sich oft hinter mehr oder weniger unbezwingbaren
Mauern in Sicherheit bringen. Wer auf dem Lande lebte, "suchte bei drohendem Soldateneinfall zunächst
nur das nackte Leben, das des Viehs und das nötigste Hab und Gut zu
retten. Die Flucht in nahe gelegene Wälder, Weinberge und Moore war oft
eine allnächtlich, ja monatelang ausgeübte Überlebenspraxis. Zogen große
Truppenteile vorbei, empfahl es sich, in den nächsten festen Platz, sei es
ein Kloster, eine Wehrkirche oder der grundherrliche Burghof, oder aber in
die nächst gelegene größere Stadt zu fliehen. Nicht überall waren die
Flüchtlinge willkommen und angesichts ihrer großen Zahl erschienen die
Verhältnisse oft unerträglich. [...] In den Städten war auf christliche
Nächstenliebe allein nicht zu zählen. Hier bestand Meldepflicht für die
Flüchtlinge und Schutzgelder waren für "weib, kinder, roß und vieh" zu
zahlen. War die Stadt zu stark überlaufen, forderte der Rat die
Landbevölkerung unter Androhung von Strafgeldern zur Heimkehr auf. [...]"
(Mohrmann
1998, S.319ff.)
"Wolfsnaturen" -Eine entmenschlichter Soldateska
Selbst wenn, was
Mohrmann
(1998)
betont, "die kriegerischen Truppen (...) nicht überall gleich entfesselt
gegenüber der schutzlos ausgelieferten Landbevölkerung (agierten)",
entstand in dieser Zeit doch eine geradezu entmenschlichte Soldateska,
"die zum Inbegriff der Sittenlosigkeit, ja des Teuflischen schlechthin"
wurde." (Schilling1987,
S.164.f.). Solche "Truppen tobten wie wahre Teufel, und oft genug waren
die vermeintlichen Freunde die schlimmsten Feinde." (Mohrmann
1998, ebd.)
Abgestumpft von dem gegenseitigen Abschlachten und zum Teil religiös
fanatisiert verrohten mehr und mehr auch solche Offiziere und Soldaten,
die sich - und sie gab es offenbar durchaus auch - diesen Abgründen
menschlichen Handelns mutig entgegenstellten. Und je mehr Söldner aus
aller Herren Länder das Kriegsgeschäft übernahmen, desto schlimmer wurde
es. "Die Realität des Krieges (...) züchtete Wolfsnaturen", fasst Schilling
(1987,
S.164.f., Hervorh. der Verf.) den entmenschlichten Charakter der
Soldateska zusammen. Dabei hatte diese Entwicklung natürlich auch ein System, denn wer
Söldner anheuern wollte, musste eben auch für deren Sold sorgen. Bei der
Aufstellung einer Söldnereinheit, musst der jeweilige Kriegsherr
zunächst einmal selbst in die Tasche greifen oder betuchte Offizieren
schossen ihm das dafür nötige Geld vor. Dafür wurden z. B. einem
solchermaßen solventen Obristen, der ein Regiment aus Söldnern
aufstellte, "Einkünfte, Landgüter, Rechte, Privilegien, Pfründen und
Titel" übereignet. " Floss schon Geld in die Regimentskasse, das
vom Kriegsherrn stammte, dann reichte es kaum für drei Monatssolde
[...], für die Monate in denen die "Untersten" keinen Sold erhielten,
mussten sie sich andere Quellen erschließen - am wenigsten durch Arbeit.
Diese Quellen lagen im jeweiligen Aufenthaltsgebiet einer Einheit. Die
Soldaten wurden für die kälteren fünf bis sechs Monate in Privathäuser
einquartiert, Fußvolk in den Städten, Reiter meist auf Dörfern. Ihr
Unterhalt (Verpflegung, Wohnung, Heizung, Licht u .a. m.) ging also zu
Lasten der betroffenen Haushalte. Ausgenommen blieben fürstliche,
adlige, ratsherrliche und Pfarrhäuser, so lange das die Versorgungslage
und die Disziplin der Soldaten zuließ. [...] Die Überlieferung lässt keinen Zweifel daran, dass die Einquartierung von
Kriegsleuten als oft unerträglich Last empfunden wurde, der man sich zu
widersetzen oder von der man sich loszukaufen suchte. Dergestalt war das Überwälzen des Heeresunterhalts auf die
Bevölkerung eine Art Soldersatz. Mit der Einquartierung ging oft eine
weitere Belastung einher - die "Kontribution": Städten, Ländern und
Landschaften wurde von den Befehlshabern die kurzfristige und einmalige
Zahlung einer hohen Geldsumme auferlegt, die in aller Kürze nur durch
Kreditaufnahme erbracht werden konnte. " (Herbert Langer,
Heeresfinanzierung, Produktion und Märkte für die Kriegsführung
in: Bußmann/Schilling (Hg.) o.J. (1998), S.294)
Die Lagergesellschaft der umherziehenden Heer und die
Rolle der Frauen
Die Heere der verfeindeten Parteien, die vor allem durch Deutschland in
alle Richtungen zogen, bestanden aber aus weit mehr als Soldaten. Es war
eine Lagergesellschaft, die mit den jeweiligen Heeren durch die Lande
zog. Und in dieser Lagergesellschaft spielten auch Frauen aus den
Unterschichten wie Mägde, Ammen oder Aufwärterinnen, eine ganz zentrale
Rolle. Sie begaben sich aus verschiedenen Gründen in Heirats- oder
Partnerbeziehungen mit Soldaten, weil, so seltsam das auch klingen mag,
ihnen ein solches Leben an der Seite eines Soldaten offensichtlich mehr
Versorgungssicherheit verhieß als ihr sonstiges armseliges Leben.
"Auf ihren Schultern beförderten sie die gesamte bescheidene Habe
eines mehrköpfigen Soldatenhaushaltes. Sie gebaren Kinder, von denen nur
die wenigsten die Strapazen der Heerzüge überlebten. Die zahlreichen
Trossbuden, die zur Versorgung der Pferde und für die Beaufsichtigung der
Viehherden verwendet wurden, stammten häufig aus Soldatenfamilien.
Vielfach gerieten die 13 bis 15 Jahre alten Jugendlichen als Trommlerbuben
und Pferdejungen ins unmittelbare Kriegsgeschehen. Frauen übernahmen weitgehend die Sanitätsversorgung, während
Wundärzte in der Regel nur zur Behandlung der Offiziere eines Regiments,
häufiger erst eines Armeestabes, zur Verfügung standen. Die Feldschere,
die sich zumeist aus der Gruppe der Bader rekrutierten, fungierten als
Knochensäger bei größeren chirurgischen Eingriffen."
(Bernhard Koerner, "Die Soldaten sind ganz arm, bloss, nackend,
ausgemattet" - Lebensverhältnisse und Organisationsstruktur der
militärischen Gesellschaft während des Dreißigjährigen Krieges, in:
Bußmann/Schilling (Hg.) o.J. (1998), S.289f.) Aber auch wenn es darum ging, Beute zu machen. anders war die Existenz
der Soldatenfamilien bei dem oftmals ausbleibenden Sold gar nicht zu
sichern, waren Frauen aktiv und immer zur Stelle, wenn es darum ging,
bei Plünderungen alles mitzunehmen, was nicht niet- und nagelfest war.
Sie stahlen bei Gelegenheit "die
Weißwäsche, die vor den Städten auf der Bleiche lag, um sie gegen ihre
zerlumpte Kleidung einzutauschen. Sie bemächtigten sich der Erntevorräte
und des Viehs. beluden sich mit Hausrat und Mobiliar. Selbst Türen,
Fensterrahmen und Dachsparren wurden aus den Bauernkaten und den Hütten
der Vorstädte gebrochen, um vor allem in den kühlen und feuchten
Frühlings- und Herbstnächten den Soldaten als Brennmaterial zu dienen. In
einer zeitgenössischen Abhandlung wird das mühselige Leben der Frauen im
Tross anschaulich beschrieben. Beladen mit "Watsäcken, Mänteln, Tüchern, Töpffen, Kesseln, Pfannen, Keerbesen, Anzug, grossen ungeheuren Taschen,
Hanen und Hunden & c. Auch allerley Plunder, einem Hispanischen Maulesel
nicht ungeleich", zogen sie ihrer Wege. Kein Wunder, dass der Tross der
Armeen nur langsam folgen konnte." (Koerner 1998, ebd.)
Dennoch das
Leben, das den Frauen im Tross blühte, war entbehrungsreich und mit
großen persönlichen Risiken verbunden. Unzählige Frauen verstarben
während oder kurz nach Entbindungen, viele ließen vor Entkräftung ihr
Leben. "Kaum ein Soldat", betont
Koerner
(1998) "der seine
Gefährtin nicht im Laufe des Krieges verlor. Während die Männer in der
Regel problemlos eine weitere Verbindung eingehen konnten, bedeutete der
Verlust des Beschützers, sei es durch Tod oder Gefangennahme, für die Frau
eine existenzielle Bedrohung. Waren sie bereits älter, hatten sie für
mehrere Kinder zu sorgen oder keinen materiellen Vorteil aus ihrer
vorangegangenen Beziehung ziehen können, was in der Regel nur bei
verheirateten Paaren möglich war, bestand die Gefahr, dass sie in die
sozial stigmatisierte Gruppe der ungeschützten Frauen absanken.
Gelegenheitsarbeit,. Betteln oder Lagerprostitution wurde dann ihr
Schicksal."
Ein Nebeneinander von Angst und Furcht auf der einen
und Suche nach Sicherheit und Geborgenheit
Der Alltag zwischen Krieg und Frieden im
Dreißigjährigen Krieg hatte viele Gesichter und bewegte sich zwischen
unvereinbar scheinenden Extremen. Da gab es "glaubhaft bezeugten
Kannibalismus in ausgehungerten belagerten Städten und festen Plätzen"
ebenso wie "Luxusverordnungen über die »grausame pracht
in der kleydung, die der gestalt gestiegen, dass es nicht mehr zu dulden
war«", da gab es Berichte von Hungersnöten. "in denen »in acker [...] umb ein leyb brot
hingegeben«" und Berichte von unglaublichem "Reichtum an Silber und
Geschmeide, das auch am Ende des Krieges sich noch in Bürgerhäusern
fand". ( (Mohrmann
1998, ebd.)
Das
dominierende Lebensgefühl in einer Zeit, in der die eigene Existenz
dauerhaft von Hunger, Krieg oder Pest bedroht wurde, war geprägt von dem
"Nebeneinander von Angst und Furcht auf der einen und der Suche nach
Sicherheit und Geborgenheit auf der anderen Seite. [...] Das
elementare Geworfensein in Lebensbedingungen, deren
kausale Verknüpfung nicht durchschaubar war und die zu ändern man kaum
Möglichkeiten sah, haben zahlreiche Einzelstränge des Alltags
nachhaltig bestimmt.
Sphären möglicher Sicherheit konnte der Einzelne sich nicht alleine
schaffen; er war immer auf die Mithilfe anderer angewiesen, sei
es in der Familie und Nachbarschaft, in Zunft und Gilde, in
Gemeinden und Kommunen." (Mohrmann
1998, ebd.)
Wenn man nach
Erklärungen dafür sucht, wie ein so geprägtes Leben überhaupt erträglich
sein konnte, wird immer wieder auf die Rolle der Religion verwiesen.
Auch
Mohrmann (1998) gibt ihr in diesem Zusammenhang starkes Gewicht. So
könne man "als sicher annehmen, dass gerade die 'kleinen Leute' sich
in die göttliche Ordnung eingebunden sahen und ihr Dasein der höheren
Verantwortlichkeit vor Gott unterworfen wussten. Und dort, wo die Hilfe
Gottes gegen die Geißeln Hunger, Krieg und Pest und andere Fährnisse des
Lebens weder durch Gebet noch durch Gelübde, weder durch Votivgaben noch
durch Wallfahrten zu erreichen war, da war das unabwendbare Schicksal
gottgegebenes." Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.10.2023
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