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"Wir waren am Karfreitag 1915 lange in einer Stellung zwischen Maas und
Mosel. Dieselbe, früher in Besitz der Franzosen, wurde von uns unter
verhältnismäßig geringen Opfern genommen. Unter unsäglichen Mühen und
Anstrengungen hatten wir im Laufe der Zeit die Stellung nach deutschem
Muster so ausgebaut, dass wir in aller Ruhe etwaigen französischen
Wiedereroberungsgelüsten entgegen sehen konnten. Etwa so weit, dass wir
anfangen wollten, der wohlverdienten Ruhe zu pflegen, machte unser
Hauptmann uns auf das von der rechten Seite ertönende Artilleriefeuer
aufmerksam. Kinder, meinte er, wir werden schwere Stunden erleben. Er
sollte recht behalten. Mitten in der Nacht kam plötzlich der Befehl:
fertigmachen. Das 4. Baierische Regiment hatte die ganze Wucht des
französischen Ansturms aufhalten müssen und war so geschwächt, dass Hilfe
dringend Not tat. Wir waren dazu bestimmt, die Lücken auszufüllen. Nie
werde ich diese Nacht vergessen. Es goss unausgesetzt in Strömen, das
Wasser stand in den Stiefeln, und wir hatten nicht einen einzigen
trockenen Faden am Leib.
Trotzdem Hilfe dringend Not tat, mussten wir doch kurze Rast machen, um zu
verhindern, dass wir völlig ermattet dem Feind gegenüberstanden. Viel war
es ja nicht mit der Ruhe. Die feindliche Artillerie sandte uns
ununterbrochen ihre eisernen Grüße, manche Lücke in unsere Glieder
reißend. Wer schon einmal recht müde war, der weiß, dass man sich auch
nicht von feindlichen Granaten aus der wohlverdienten Ruhe bringen lässt,
und wir waren eben so müde, dass wir trotz Schlamm und Granaten der Ruhe
pflegten, "doch mit des Geschickes Mächten ist kein mager Bund zu
flechten". Auf einmal heißt es: sofort fertigmachen, Marsch. Der Feind
führte frische Kräfte heran, und diesen konnten die Bayern auf keinen Fall
standhalten, wenn nicht frühzeitig Verstärkung kam.
Nachts um 3 Uhr waren wir endlich zur Stelle und konnten den wackeren
Bayern tatkräftige Hilfe leisten. Die Begrüßung, die uns die Franzosen
zuteil werden ließen, war allerdings nicht gerade angenehm. Die ganze
Anhöhe, auf der sich die Franzmänner verschanzt hatten, war in Wolken
dichten Rauchs gehüllt. Ausschwärmen und Vorgehen war das Werk eines
Augenblicks. Kaum hundert Schritte gegangen, flogen unter krachendem
Getöse mehrere Minen in die Luft, schreckliche Verwirrung in unserer
Kompanie anrichtend. Heute noch zurückdenkend an das schreckliche Erlebnis
sehe ich meinen besten Freund, die Hand samt der Schulter abgerissen,
blutend vor mir liegen. An Aufenthalt war nicht zu denken, zudem hatte
jeder mit sich selbst zu tun. Bis an die Knie wateten wir im Schlamm, die
Hälfte, ich mit einbegriffen, hatte die Stiefel verloren, aber nur
vorwärts hieß die Parole. Barfuß, vollständig ausgepumpt langten wir in
der vordersten Stellung an, gerade noch zur rechten Zeit, denn eben
schickten sich die Franzosen an, uns mit siebenfacher Übermacht zu
überrennen.
Gewehre fort und Handgranaten zur Stelle, hieß das Kommando. Unter großen
Anstrengungen gelang es mir, die erste Linie zurückzuschlagen, doch ehe
wir einige Zeit gewonnen zum Atemschöpfen, näherte sich schon die zweite.
Der Anführer musste wohl das Kommando zum Vormarsch gegeben haben, denn
deutlich unterschieden wir die angstverzerrten Gesichter der Franzmänner.
Sei es, dass dem Befehl nicht Folge geleistet wurde, oder es gab einen
anderen Grund, den ich nie erfahren habe, kurz: der Anführer wandte sich
um und erschoss 2 seiner Landsleute. Doch nicht lange sollte sich der
energische Offizier seiner Tat freuen, kurze Zeit danach sehen wir ihn von
den Kugeln seiner eigenen Leute zusammensinken. Es schien als ob alle auf
den Tod des Führers gewartet hätten, kaum sah man ihn fallen, so stürzte
die ganze Horde, die Gewehre fortwerfend, mit erhobenen Armen auf unsere
Stellung zu. Indessen machte sich die 3te Linie sturmfertig, doch schon
hatte unsere Artillerie das Gelände vor unserer Front mit Sperrfeuer
belegt, so dass der Angriff mit Leichtigkeit abgeschlagen wurde.
Es wurde auch höchste Zeit, dass unsere erregten Nerven zur Ruhe kamen.
Auch der Hunger begann sich allmählich zu regen. Ich schwelgte schon im
Genus all der Herrlichkeiten, die ich mir in besseren Tagen angespart
hatte. In meiner linken Manteltasche hatte ich mir 2 Stück Brot und
vielleicht 10 Zigaretten aufbewahrt. Ein Griff, und ich glaubte mich schon
im Besitze meiner Habe. Aber - O weh - die linke Mantelseite samt Taschen
und allen darin befindlichen Herrlichkeiten war durch Granatsplitter
fortgerissen. Meine Enttäuschung brauche ich wohl nicht zu schildern,
übrigens fällt es mir heute noch schwer, daran zu denken, ohne mich zu
ärgern. Wieder um eine Hoffnung ärmer, fiel mir auf einmal ein, dass ich
überhaupt keine Stiefel an den Füßen trug. Meine erste Sorge war nun, wie
kommst du nun zu einem Paar Stiefel? Doch die in Mengen umherliegenden
Toten gaben mir Antwort auf meine Frage. Bald hatte ich auch einen
gefallenen Kameraden gefunden, dessen Stiefel mir leidlich passen mochten.
Ich zog ihm dieselben aus, reinigte sie einigermaßen von dem darauf
haftenden Blut und Lehm und sah, dass ich mich in meinen Voraussetzungen
nicht getäuscht, denn die Stiefel passten tadellos. Froh, dass ich wieder
ordentliche Fußbekleidung hatte, ging ich zu meinen Kameraden zurück, um
meinen Fund genügend bewundern zu lassen.
Ich kam gerade zur rechten Zeit. Unser Leutnant war gerade auf der Suche
nach Leuten, die ein Paar Stiefel ihr eigen nannten. Es ist
selbstverständlich, dass er sich richtig freute, als er meiner ansichtig
wurde, doch die Freude galt nicht meiner Person, sondern - meinen
Stiefeln. Da sie, wie ich sehe, noch gut auf den Füßen sind, so könnten
Sie mich ein bisschen begleiten, sagte er zu mir. Es galt, die Stellung
des Feindes auszukundschaften. Wir machten uns unter Führung unseres
Leutnants, unter Vermeidung jeglichen Geräusches, auf den Weg. Das Glück
war uns wohl, wir schlichen uns so weit an die feindliche Stellung heran,
dass es ein leichtes gewesen, einen Führer der schwarzen Kulturträger
niederzuknallen, doch um nicht unser aller Leben auf's Spiel zu setzen,
mussten wir uns beherrschen. Wir machten dann noch einige wichtige
Beobachtungen, es war zum Beispiel genau zu sehen, wohin die Schwarzen
sich verkrochen.
Nachdem unser Führer uns ermahnt hatte, uns das Gesehene genau
einzuprägen, damit jeder, wenn er zurückkomme, Meldung machen könne,
machten wir uns auf den gefahrvollen Rückweg. Auch diesmal kamen wir ohne
nennenswerte Verluste davon, nur einer von meinen Kameraden wurde durch
Brustschuss verwundet. Der Leutnant erstattete Meldung über das Gesehene.
Sofort wurde unsere Artillerie alarmiert, und es dauerte nicht 10 Minuten,
da konnten wir schon die ersten Volltreffer in die Unterstände der
Schwarzen beobachten. In kurzer Zeit war alles in dichten Rauch gehüllt,
so dass wir die Wirkung unserer Geschosse nicht so recht sehen konnten.
Doch dass unsere Mühe nicht vergeblich war, davon zeugten Balkenstücke und
Geröll, die bis in unsere Stellung flogen.
Um der Wucht des Feuers zu entgehen, stürzten die Horden plötzlich auf
unsere Front in der Absicht, uns zu überrennen. Wir hatten in den letzten
Tagen soviel Schreckliches erlebt, dass uns auch die Bande schreiender
Teufel nicht aus der Ruhe zu bringen vermochte. Wir ließen dieselben auf
100 Meter herankommen und ließen dann unsere Gewehre sprechen. Sei es,
dass wir uns doch zuviel zugetraut, oder die Schwarzen waren zu sehr in
der Übermacht, kurz und gut, wir mussten den vordersten Graben räumen und
uns in den 2. Graben zurückziehen. Als sich genug Feinde in unserem
verlassenen Graben gesammelt hatten, unternahmen wir unter Hergabe des
Letzten einen Gegenstoß, und es gelang uns nicht nur die Teufel
herauszuschlagen, sondern auch noch annähernd 100 Mann konnten wir zu
Gefangenen machen. 48 Stunden hatten wir in der Hitze des Gefechts
ausgehalten, ein jeder war dem Zusammenbruch nahe, da endlich atmeten wir
erleichtert auf, die 130. aus Metz kam, uns abzulösen.
An jedem Ostertag wird mir das traurige Bild vor Augen schweben, wie mein
Regiment zur Besichtigung antreten musste. 9 von 10, die ausgegangen
waren, lagen draußen auf dem Schlachtfeld und tränkten mit ihrem Blut die
unersättliche Erde. Und wir - Überlebenden? Todmüde, statt Kleider nur
Fetzen, lehm- und blutbesudelt auf dem Platz. Unfähig, einen klaren
Gedanken zu fassen, war jeder darauf bedacht, ein Plätzchen zu finden, um
zu schlafen - schlafen - schlafen, zu vergessen all das Schreckliche der
letzten Tage, glücklich der, den der Traumgott heimtrug zu Müttern, bis -
die Wirklichkeit beim Erwachen wieder auch an ihn herantrat.
Dies waren meine Erlebnisse Ostern 1915, möge mich ein gütiges Geschick
behüten und mir ein 2. Erleben all des Grausigen ersparen."(aus:
Erlebnisbericht eines Frontsoldaten.
Niedergeschrieben in einem Poesiealbum einer Lazarettkrankenschwester aus
Berlin, (DHM-Bestand) Stellungskrieg)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
09.10.2023
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