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Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
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Konkurrenzkampf und Prasserei: Absolutistische Repräsentation
von Macht
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Versailles in Schwaben: Ludwigsburg zur Zeit Carl Eugens
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Höfische Festkultur zur Zeit Carl Eugens
Als der siebenjährige
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Friedrich Schiller mit seinen
Eltern und Geschwistern
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1766/67 nach Ludwigsburg zog, hatte die Stadt 4.033 "echte
Bürger". Dazu kamen wohl noch mehrere Tausend "Gäste", die den
meist
von Vermietung, Verköstigung und Versorgung lebenden Bürgern eine dauerhafte
Erwerbsquelle und einigermaßen Wohlstand bescherten. Die
mit Abstand größte württembergische Stadt war 1787 Stuttgart mit 22.000 Einwohnern, gefolgt von der Universitätsstadt Tübingen
mit 6000 und der Ludwigsburg mit 5000 Einwohnern (vgl.
Walter 1987, S.15, vgl.
Alt Bd. I., S. 26)
Auch wenn die Residenzstadt Ludwigsburg, schon von ihrer Größe her
gesehen, keine wirkliche Metropole war, die gab es in
dem von Kleinstaaterei geprägten Deutschland zu dieser Zeit ohnehin nicht,
schickte es sich an, als Friedrich Schiller dort zu leben beginnt, zu einer
"Metropole des europäischen
Rokoko" zu werden. (Safranski 2004,
S. 26)
Dabei war natürlich der herzogliche Hof, wo sich die aristokratische
Rokokogesellschaft aufhält, der eigentliche Grund für diese Wertschätzung,
aber auch in der Stadt ließen sich viele Gäste, Künstlerinnen und Künstler
vor allem, zeitweilig nieder, die sich dieser hedonistischen
Genussgesellschaft zugehörig fühlen durften. Immerhin entwickelte Ludwigsburg
mit seinem Schloss einen solchen Glanz und eine solche
Anziehungskraft, dass Zeitgenossen von dem "schwäbischen Potsdam" oder einem
"zweiten Versailles“ sprachen (vgl.
Safranski 2004, S. 26).

Um 1770 ist Ludwigsburg eine vergleichsweise moderne Stadt, die sich sehen lassen kann.
Die Anlage der Stadt wirkte weitläufig, nicht mehr so eingepfercht in mittelalterliche
Festungsanlagen wie z. B. Stuttgart, und ihre Geräumigkeit spiegelte sich in den breiten Straßen,
die die Stadt durchzogen, und in den großen Plätzen, die Raum für
Veranstaltungen jeder Art, aber auch Gelegenheit zum Flanieren boten.
Justinus Kerner (1786-1862)
erinnerte sich daran, wie sich "in
dieser Zeit (...) sich die weiten menschenleeren Gassen, Linden- und
Kastanienalleen Ludwigsburgs mit Hofleuten in seidenen Fräcken, Haarbeuteln
und Degen und mit den herzoglichen Militärs in glänzenden Uniformen und
Grenadierkappen (füllten), gegen welche die andern wenigen Bewohner in bescheidenen
Zivilröcken verschwanden."
Durch die große
Poststraße von der Stadt getrennt, in der alle Häuser über einen Hofplatz
und einen Garten verfügen, erstreckte sich der Schlossbezirk mit seinen
zahlreichen Gebäuden. Was sich dort hinter den Schlosstoren abspielte, blieb
den Augen der Ludwigsburger Bürgerinnen und Bürgern verborgen, sofern sie
nicht in irgendeiner Weise für den herzoglichen Hof arbeiteten.
Aller wohlgeordneten Weite zum Trotz schien die
Residenzstadt aber doch eine seltsame Aura zu haben, die über ihre
bürgerlichen Einwohner hinauswies.
Was hier an Rang und Namen scharenweise
zusammenströmte, um in der Metropole des Rokoko sein Glück zu machen oder zu
verlieren (vgl.
Safranski 2004, S.26), bestimmte allerdings nur bis zu einem
gewissen Grad das
gesellschaftliche Leben der Stadt und ihrer Bürger.
Die Anlässe, bei denen
sie als Zaungäste oder als zur Bewunderung des Herzogs angetretene
Untertanen höfischen Veranstaltungen beiwohnen durften, waren naturgemäß
selten. Sieht man einmal von den häufigen ▪
Feuerwerken und Illuminationen
drüben beim Schloss ab, waren es
schon Großereignisse, wie die ▪
Lustjagden des Herzogs, bei denen die
einfachen Leute, wenn sie ohnehin nicht dazu verpflichtet waren, das Wild direkt vor die
Flinten der Aristokraten zu treiben, am vieltausendfachen Abschlachten der Tiere zusehen durften. Und ob es dann die "echten
Ludwigsburger" waren, die dort in großer Zahl erschienen, ist auch
einigermaßen zweifelhaft.
So sehr sie natürlich alle in mehr oder minder
großer ökonomischer Abhängigkeit vom herzoglichen Hof lebten,
war die
protestantisch-bürgerliche Lebensauffassung eben auf ganz anderen Werten
gegründet als der höfische Hedonismus und die absolutistische
Repräsentationsleidenschaft.
Ausgeschlossen vom höfischen Treiben, aber
auch bewusst davon distanziert, gingen die Bürger ihren Verrichtungen nach.
Wer an Bildung interessiert ist, konnte sich der ▪
Ludwigsburger Lesegesellschaft "Die
Literaturfreunde" anschließen, die auf Initiative von
▪
Professor Balthasar Haug
gegründet, einen Kreis bildungsbeflissener Beamter und Offiziere des
Herzogs miteinander verband.
Wen aber auch immer der weithin schallende Ruf dieser Residenz erreichte und
zum kürzeren oder längeren Aufenthalt in seiner Umgebung veranlasste,
der wohnte,
wenn er reich genug war, in einem eigenen Haus, sonst eben zur Miete bei
Ludwigsburger Bürgern, wie es die französischen Tanzmeister und Sprachlehrer
taten, genau wie die italienischen Handwerker, Tänzerinnen aus Venedig oder
Paris, Musiker aus Italien, Böhmen und Österreich, die unzähligen Sänger und
Schauspieler, Theaterfriseure und Kostümschneider und viele mehr. (vgl.
Lahnstein
1981, S.29)
Die
Adeligen, die zum Hof gehörten, wohnten mit ihren unzähligen Bediensteten
meist in unmittelbarer Nähe des Schlosses. Wer im Schloss selbst als
Kutscher, Koch, Küchenmagd, Kapaunenstopfer, Kammerhusar, Lakai, Kammerherr
oder Kammerjungfer oder als Zofe beschäftigt war, wohnte auch dort, war
allerdings meist ziemlich jämmerlich untergebracht.
Rechnet man noch hinzu,
was sich sonst noch an Glücksrittern, Agenten jeder Sorte, Spieler und
dergleichen hier einfand, dann wird schnell klar, welchen psychosozialen
Belastungen sich viele der ehrwürdigen Bürger der Stadt, zumeist
protestantische Handwerker und Gewerbetreibende, Pfarrer, Lehrer und Beamte,
die nach dem Motto »Bete und arbeite« erzogen waren und zu leben gewohnt
sind. (vgl. ebd. S. 29f.), ausgesetzt sehen.
So zog es auch
»Giacomo Casanova
(1725-98) um 1760 eine Weile an den Hof von Ludwigsburg,
über den er in seinen ▪
Erinnerungen bemerkte, dass er sogar "der glänzendste
in Europa" sei, nicht zuletzt weil, die "großen Ausgaben des Herzogs [...]
in großzügigen Gehältern, prachtvollen Gebäuden, Jagdzügen und
Verrücktheiten aller Art" bestehen. (Casanova,
3./4, 1985)
Anfang 1767 neigten sich die "wilden Jahre“ (Safranski
2004, S.28) der annähernd 50 Jahre währenden Herrschaft Carl
Eugens“ (1744-1793) mit ihrer Maßlosigkeit und ihrem ungezügelten
Despotismus zwar dem Ende zu, aber von seiner später zu beobachtenden
vorsichtig aufklärerischen Orientierung am Gemeinwohl sind in dieser Zeit
erst Ansätze zu sehen.
In dieser ▪
1770 endenden Phase seiner Regierungszeit,
die er selbst einmal "Lebensgaloppade“ nennt (vgl.
ebd., S. 26), beherzigte er
alles andere als das, was ihm sein Ziehvater, der preußische König
»Friedrich
II.(1712-1786), an dessen Hof Carl Eugen nach dem Tod seines Vaters
»Karl
Alexander (1684-1737) bis zu seiner Regierungsübernahme vom Dezember
▪ 1741 bis
Januar ▪ 1744 erzogen worden ist (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 31f.),
bei seinem Abschied in einem ▪ "Fürstenspiegel"
auf den Weg gegeben hat:
"Denken Sie ja nicht, dass das Land Württemberg für
Sie geschaffen worden ist, vielmehr, dass die Vorsehung Sie auf die Welt hat
kommen lassen, um dieses Volk glücklich zu machen. Ziehen Sie immer dessen
Wohlsein Ihrer eigenen Annehmlichkeit vor.“ (zit. n.
Safranski
2004, S. 28).
1767, als Friedrich Schiller erstmals das geschäftige Treiben der
Residenzstadt zu Gesicht bekam, war der Herzog schon 25 Jahre an der Macht
und hatte die Prinzipien eines aufgeklärten Absolutismus, die ihm »Friedrich
II.(1712-1786). in den "Fürstenspiegel“ geschrieben hat (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 32),
längst hinter sich gelassen und sich bei vielen Untertanen den Ruf eines
skrupellosen Despoten erworben.
Seit über 15 Jahren schon presste er
Württemberg und seine Untertanen rücksichtslos aus, um sein barockes Potentatum mit grenzenloser Verschwendung und Prasserei zu finanzieren.
Bis
zu 1.800 Bedienstete arbeiten an seinem Hof als Kammerherren, Leiblakaien, Heiduken, Edelknaben, Hofhandwerker, Gärtner, Tanzlehrer, Schneider,
Stallmeister, Köche … um für das leibliche Wohl Carl Eugens und seiner
adeligen Hofleute zu sorgen (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.44).
Kein
Vergleich mit dem Sonnenkönig in Versailles, aber doch in vielem den
dortigen Gepflogenheiten mehr als ähnlich. Der Herzog wird wie am Versailler
Hof morgens in einer groß angelegten Zeremonie von 50 Bediensteten
angezogen.
Die Ludwigsburger Residenz wurde nicht umsonst von den Zeitgenossen ebenso
wie von heutigen Historikern gern als "zweites Versailles“ bezeichnet (vgl.
Safranski
2004, S.26) oder "schwäbisches Potsdam“ genannt. Auf unzähligen
Bällen, in der Oper, beim Tanz, beim Schlittenfahren oder während der
unzähligen Feuerwerke amüsiert sich die adelige Gesellschaft.
Als
Friedrich Schiller mit der Militärakademie im Jahr 1775 nach Stuttgart
umziehen musste, war der demographische Aderlass der Stadt schon in vollem
Gange. Die Garnison wird binnen eines Jahres von 6.230 Angehörigen auf 1.360
reduziert und der Hof mit seinen 1.020 Mitglieder war nach Stuttgart
entschwunden. Viele Häuser standen fortan leer. (vgl.
Sting
2005, S.247)
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Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
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Konkurrenzkampf und Prasserei: Absolutistische Repräsentation
von Macht
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Versailles in Schwaben: Ludwigsburg zur Zeit Carl Eugens
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Höfische Festkultur zur Zeit Carl Eugens
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023