Gegen Mitte März
verließ ich Köln. In Bonn machte ich Halt, um dem Kurfürsten meine
Aufwartung zu machen, aber er war abwesend. Ich speiste mit dem
Grafen Berità und mit dem Günstling des Fürsten, dem Abbé Scampar.
Nach dem Essen gab der Graf mir einen Brief für eine Stiftsdame in
Koblenz, deren Lob er mir sang. Infolgedessen mußte ich in Koblenz
Halt machen; aber anstatt der Dame, die nach Mannheim gefahren war,
traf ich in dem Gasthof, wo ich abstieg, eine Schauspielerin, namens
Toscani, die mit ihrer sehr jungen und sehr
schönen Tochter nach Stuttgart zurückreiste. Sie kam von Paris, wo
sie ein Jahr zugebracht hatte, um ihrer Tochter von dem berühmten
Bestris Unterricht im Charaktertanz
geben zu lassen. Ich hatte sie in Paris gekannt, aber nicht eben
sehr auf sie geachtet, obgleich ich ihr einen kleinen Wachtelhund
geschenkt hatte, der der Liebling ihrer Tochter war. Die junge
Person war ein wahres Kleinod, und es kostete ihr keine Mühe, mich
zu überreden, sie nach Stuttgart zu begleiten, wo es mir überdies an
allen erdenklichen Unterhaltungen nicht fehlen konnte. Die Mutter
war ungeduldig, zu sehen, wie der Herzog ihre Tochter finden würde,
die sie von Kindheit an für diesen wollüstigen Fürsten bestimmt
hatte. Obgleich er eine anerkannte Maitresse hatte, so ließ er sich
doch keine von den Ballettfigurantinnen entgehen, wenn sie ihm
gefiel.
Wir speisten
selbdritt, und da zwei Kulissenheldinnen dabei waren, so kann man
sich wohl denken, dass unsere Unterhaltung nicht eben aus
moralischen Denksprüchen bestand. Die Toscani sagte mir, ihre
Tochter sei noch vollkommen unberührt, und sie sei fest
entschlossen, dem Herzog nicht eher zu erlauben, sie anzurühren, als
bis er die herrschende Maitresse entlassen hätte, deren Stelle dann
ihre Tochter einnehmen sollte. Diese Maitresse war die
Tänzerin Gardella, die Tochter eines
venetianischen Barkarolen, von der ich im ersten Bande gesprochen
habe. Sie war die Frau des Michele Agata, und ich hatte sie in
München getroffen, als ich aus den schrecklichen Bleikammern
entflohen war, in denen ich so lange geschmachtet hatte.
Da ich an der
Behauptung der Mutter zu zweifeln schien und ihnen durch einige
ziemlich deutliche Anspielungen zu verstehen gab, dass nach meiner
Meinung die erste Blüte schon in Paris gepflückt worden sei, und
dass der Herzog von Württemberg nur die zweite bekommen werde, so
mischte ihre Eitelkeit sich ins Spiel. Ich schlug ihnen vor, sie
möchten mich mit meinen eigenen Augen mich überzeugen lassen, und es
wurde feierlich ausgemacht, dass dies am nächsten Tage vor sich
gehen sollte. Sie waren ihrem Versprechen getreu, und ich hatte
wirklich am nächsten Morgen einen sehr hübschen Zeitvertreib, der
zwei Stunden dauerte und mich nötigte, an der Mutter die ganze Glut
zu löschen, die die Tochter in mir entzündet hatte.
Obgleich die
Toscani noch jung war, würde sie mich eiskalt gefunden haben, wenn
ihre reizende Tochter mich nicht aufgeregt hätte, ohne mich
befriedigen zu können, denn die Mutter hatte nicht genug Vertrauen
zu mir, um mich mit diesem Juwel allein zu lassen. Sie trat an ihre
Stelle und stand sich gut dabei.
Ich entschloss mich
also, mit diesen beiden Nymphen
nach Stuttgart zu reisen, wo ich die Binetti sehen sollte, die immer
noch mit Begeisterung von mir sprach. Diese Schauspielerin war eine
Tochter des Barkarolen Romano. Ich hatte ihr geholfen, die Bühne
betreten zu können, und in demselben Jahre hatte Frau von Balmarana
sie mit einem französischen Tänzer namens Binet verheiratet, der
seinen Namen durch Hinzufügung einer Silbe italienisiert hatte, wie
andere auf die gleiche Weise sich adelig machen. Ferner sollte ich
dort finden: die Gardella, den jüngeren Baletti, den ich sehr gern
hatte, die junge Vulcani, die er
geheiratet hatte, und mehrere alte Bekanntschaften, durch die nach
meiner Meinung mein Aufenthalt in Stuttgart köstlich werden musste.
Aber man wird bald sehen, wie gefährlich es ist, die Rechnung ohne
den Wirt zu machen. Auf der letzten Poststation trennte ich mich von
meinen Schauspielerinnen; in Stuttgart stieg ich im Bären ab.
Vierzehntes Kapitel
[...]
Der Hof des Herzogs
von Württemberg war zu jener Zeit der glänzendste von ganz Europa.
Die reichlichen Hilfsgelder, welche Frankreich dem Fürsten dafür
bezahlte, daß er ein Heer von zehntausend Mann zur Verfügung dieser
Macht unterhielt, setzten ihn instand, diese Ausgaben zu bestreiten,
die sein Luxus und seine Ausschweifungen erforderten. Sein
Hilfskorps war sehr schön, aber während des ganzen Krieges zeichnete
es sich nur durch Fehler aus.
Der Herzog
war seiner Anlage nach prachtliebend: herrliche Gebäude, ein
großartiger Malstall, eine glänzende Jägerei, Launen aller Art,
kosteten ihm viel Geld;
ungeheure Summen aber gab er für hohe Besoldungen aus und noch
größere für sein Theater und seine Maitressen.
Er unterhielt französische Komödie, ernste und komische italienische
Oper und zwanzig italienische Tänzer, von denen jeder an einem
der großen Theater Italiens erster Tänzer gewesen war.
Noverre
war sein Choreograph und Ballettdirektor; er verwendete zuweilen
hundert Figuranten und mehr. Ein geschickter Maschinenmeister und
die besten Dekorationsmaler arbeiteten um die Wette und mit großen
Kosten, um die Zuschauer zum Glauben an Zauberei zu zwingen. Alle
Tänzerinnen waren hübsch und alle rühmten sich, den gnädigen Herrn
zum mindesten einmal glücklich gemacht zu haben. Die
erste Tänzerin war eine Venetianerin,
die Tochter eines Gondeliere, namens Gardello.
[...] Der Herzog fand sie nach seinem Geschmack und bat ihren Mann
um sie; dieser schätzte sich glücklich, sie ihm abtreten zu können.
Aber schon ein Jahr darauf war der Herzog ihrer Reize müde und
pensionierte sie mit dem Titel Madame.
Diese Ehre hatte
alle Tänzerinnen eifersüchtig gemacht, denn eine jede glaubte die
Eigenschaften zu besitzen, um anerkannte Maitresse zu werden, um so
mehr, als die Gardella nur den Rang hatte und das Gehalt bezog. Alle
intrigierten, um sie zu verdrängen, aber die Venetianerin besaß im
höchsten Grade die Kunst zu fesseln und wusste sich trotz allen
Ränken zu behaupten. [...] Es bereitete ihr den größten Genuss, wenn
die Tänzerinnen, die nach der Ehre des Schnupftuchs strebten, zu ihr
kamen und sich ihr empfahlen. Sie nahm sie freundlich auf, gab ihnen
Ratschläge und ermutigte sie, sich dem Fürsten angenehm zu machen.
Dieser seinerseits fand die Duldsamkeit der Favoritin
bewundernswürdig und sehr bequem und hielt sich für verpflichtet,
ihr dafür seine Dankbarkeit zu bezeigen. Er erwies ihr in der
Öffentlichkeit alle Ehren wie einer Prinzessin.
Ich bemerkte bald,
dass die
Hauptleidenschaft dieses Fürsten war, von sich sprechen zu machen.
Er hätte gern »Herostrates
nachgeahmt, wenn er dies für ein passendes Mittel gehalten hätte,
eine der hunderttausend Stimmen des Nachruhms zu beschäftigen.
Er wünschte, dass die Welt von ihm sage, kein Fürst habe mehr Geist,
mehr Geschmack, mehr Anlage zum Erfinden der Vergnügungen, mehr
Fähigkeit zum Herrschen; außerdem sollte man glauben, er sei ein
zweiter »Herkules
in den Arbeiten des »Bacchus
und des »Amor,
ohne dass jedoch die Augenblicke, die er der Sinnenlust widmete, die
Sorgfalt beeinträchtigten, womit er alle Pflichten seines
Herrscheramtes erfüllte. Unbarmherzig jagte er den Diener fort,
dem es nicht gelang, ihn aufzuwecken, nachdem er drei oder vier
Stunden im Schlaf gelegen hatte, dem, wie alle anderen Menschen,
auch er sich überlassen musste; aber er erlaubte dem Diener, alle
Mittel anzuwenden, um ihn aus dem Bett zu bringen.
Es kam vor, dass
der Bediente, nachdem er ihm Kaffee eingeflößt hatte, ihn aus dem
Bett in ein kaltes Bad werfen musste, wo dann Seine Hoheit wohl
erwachen mussten, wenn sie nicht ertrinken wollten. Sobald er
angekleidet war,
versammelte der Herzog seine Minister und erledigte die laufenden
Angelegenheiten; hierauf erteilte er
Audienz jedem, der sie
wünschte. Übrigens war nichts komischer, als diese
Audienzen, die er seinen armen Untertanen gewährte. Oft waren es
plumpe Bauern, Handarbeiter der niedrigsten Klassen; da mühte sich
denn nun der arme Mann schwitzend und fluchend ab, sie zur Vernunft
zu bringen, was ihm nicht immer gelang; denn oft liefen sie ihm
verängstigt, verzweifelnd und wütend davon. Die Beschwerden der
hübschen Bäuerinnen prüfte er unter vier Augen, und obgleich er
ihnen gewöhnlich nichts bewilligte, gingen sie doch getröstet von
dannen.
Die ▪
Hilfsgelder, die der König von Frankreich ihm törichterweise für
zwecklose Dienste zahlte, reichten nicht aus für seine
Verschwendung.
Er überlastete seine Untertanen mit Steuern und Fronden so sehr,
dass dieses geduldige Volk seine Forderungen nicht mehr erfüllen
konnte und sich einige Jahre später an das ▪
Reichskammergericht in Wetzlar wandte, das ihn zwang, sein
System zu ändern. Er war von der närrischen Sucht besessen, nach dem
Vorbilde des »Königs
von Preußen herrschen zu wollen, während dieser sich über den
Herzog nur lustig machte und ihn seinen Affen nannte. Er hatte die ▪
Tochter des Markgrafen von Bayreuth geheiratet, die schönste und
liebenswürdigste deutsche Prinzessin. Sie war nicht in Stuttgart,
als ich dort war, sondern hatte sich wegen eines blutigen Schimpfes,
den ihr unwürdiger Gemahl ihr angetan hatte, zu ihrem Vater
geflüchtet. Es ist nicht richtig, wenn man behauptet, die Fürstin
habe ihren Gemahl verlassen, weil sie seine Treulosigkeiten nicht
mehr habe ertragen können.
Nachdem ich allein
auf meinem Zimmer gespeist hatte, machte ich Toilette und ging in
die ▪ Oper, die der
Herzog in dem von ihm erbauten schönen Theater dem Publikum gratis
geben ließ; der Fürst saß vor dem Orchester, umgeben von seinem
glänzenden Hofe. Ich nahm in einer Loge des ersten Ranges Platz,
allein und sehr zufrieden, ohne die geringste Ablenkung ein
Musikstück des berühmten Jumella hören zu
können, der im Dienst des Herzogs stand. Unbekannt mit den
Gebräuchen gewisser kleiner deutscher Höfe, applaudierte ich bei
einem Solo, das von einem Kastraten, dessen Namen ich vergessen
habe, entzückend schön gesungen wurde; einen Augenblick darauf trat
ein Mensch in meine Loge und sagte in unhöflichem Tone etwas zu mir,
worauf ich nur erwidern konnte: nicht verstanden.
Er ging hinaus, und
bald nachher sah ich einen Offizier erscheinen, der mir in gutem
Französisch sagte, da der Herrscher sich im Theater befinde, so sei
es nicht erlaubt, zu applaudieren.
»Sehr wohl, mein
Herr; ich werde wiederkommen, wenn der Herrscher nicht hier ist;
denn wenn eine Arie mir gefällt, ist es mir unmöglich, meinen
Beifall nicht auszudrücken.«
Nach dieser Antwort
ließ ich meinen Wagen rufen, aber in dem Augenblick, wo ich
einsteigen wollte, kam wieder derselbe Offizier und sagte mir, der
Herzog wünsche mit mir zu sprechen. Ich folgte ihm in den Cercle.
»Sie sind also Herr Casanova?«
»Ja, gnädiger
Herr.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Köln.«
»Sie sind zum
ersten Mal in Stuttgart?«
»Ja, gnädiger
Herr.«
»Gedenken Sie sich
hier lange aufzuhalten?«
»Fünf oder sechs
Tage, wenn Eure Hoheit mir es erlauben wollen.«
»Recht gern;
bleiben Sie solange, wie es Ihnen gefällt, und es soll Ihnen erlaubt
sein, in die Hände zu klatschen, soviel Sie wollen.«
»Ich werde von
dieser Erlaubnis Gebrauch machen, gnädiger Herr.«
»Gut.«
Ich setzte mich auf
eine Bank, und alle Anwesenden folgten aufmerksam dem Spiel der
Schauspieler. Als bald darauf ein Sänger eine Arie gesungen hatte,
applaudierte der Herzog, und alle
langohrigen Hofleute machten es dem gnädigen Herrn nach; ich
aber blieb ganz still, denn ich fand den Gesang sehr mittelmäßig;
jeder nach seinem Geschmack. Nach dem Ballett ging der Herzog in die
Loge der Favoritin, küsste ihr die Hand und entfernte sich. Ein
neben mir stehender Offizier, der nicht wusste, dass ich die
Gardella kannte, sagte mir, es sei Madame, und da ich die Ehre
gehabt habe, mit dem Fürsten zu sprechen, so könne ich mir auch die
Ehre verschaffen, in ihre Loge zu gehen und ihr die Hand zu küssen.
[...]
Nachdem sie sich
entfernt hatte, suchte ich die Tänzerinnen auf, die beim Auskleiden
waren. Die Binetti, eine meiner ältesten
Bekanntschaften, war ganz außer sich vor Freude über das Wiedersehen
mit mir und lud mich ein, jeden Tag mit ihr zu speisen. Der
treffliche Violinspieler Curtz,
der im Orchester von San Samuele mein Kamerad gewesen war, stellte
mir seine sehr schöne Tochter vor, indem er in selbstbewußtem Tone
mir sagte: »Die ist nicht für die schönen Augen des Herzogs
geschaffen; er wird sie niemals bekommen.« Der brave Mann war kein
Prophet; denn der Herzog bekam sie bald darauf und wurde von ihr
geliebt. Sie schenkte ihm zwei Püppchen, doch auch diese Pfänder der
Liebe konnten den unbeständigen Fürsten nicht fesseln. Und doch war
sie eine entzückende Person, die alle Eigenschaften besaß, um einen
Mann zu fesseln; denn sie verband mit der vollkommensten Schönheit
eine pikante Anmut, einen natürlichen Geist, den sie aufs schönste
ausgebildet hatte, und eine Güte, eine Liebenswürdigkeit, die sie
zum Liebling aller Menschen machten. Aber der Herzog war
abgestumpft, und das Vergnügen konnte für ihn nur in der
Unbeständigkeit bestehen. Nach der jungen Curtz sah ich die kleine
Vulcani, die ich in Dresden gekannt hatte; sie
überraschte mich sehr, indem sie mir ihren Mann vorstellte, der mir
um den Hals fiel. Es war Baletti, der Bruder
meiner Ungetreuen, ein talentvoller Jüngling, den ich unendlich lieb
hatte. [...]
(Giacomo Casanova, Geschichte meines Lebens, Bd. 3, hrsgg
von E. Loos, 12 Bde. u. 6 Folgebände, 1965-1969, Quelle:
https://www.projekt-gutenberg.org/casanova/band03/chap14.html )
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▪
Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
▪
Konkurrenzkampf und Prasserei: Absolutistische Repräsentation
von Macht
▪
Versailles in Schwaben: Ludwigsburg zur Zeit Carl Eugens
▪
Höfische Festkultur zur Zeit Carl Eugens
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023