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In jedem Staat gibt es drei Arten von Gewalt: die gesetzgebende Gewalt,
die vollziehende Gewalt in Ansehung der Angelegenheiten, die vom
Völkerrecht abhängen, und die vollziehende Gewalt hinsichtlich der
Angelegenheiten, die vom bürgerlichen Recht abhängen.[...]
Die vollziehende Gewalt muss in den Händen eines Monarchen liegen. Denn
dieser Teil der Regierung, der fast immer der augenblicklichen Handlung
bedarf, ist besser durch einen als durch mehrere verwaltet, während das,
was von der gesetzgebenden Gewalt abhängt, häufig besser durch mehrere als
durch einen einzelnen angeordnet wird.
Gäbe es keinen Monarchen und wäre die vollziehende Gewalt einer bestimmten
Zahl von Personen anvertraut, die der gesetzgebenden Körperschaft entnommen
wären, so gäbe es keine Freiheit mehr. Denn die beiden Gewalten wären
vereinigt, die gleichen Personen hätten manchmal nach ihrem Willen sogar
dauernd Anteil an der einen wie der anderen. [...]
Es wäre unzweckmäßig, wenn die gesetzgebende Körperschaft ständig
versammelt wäre. Das wäre nicht nur unbequem für die Repräsentanten,
sondern würde auch die vollziehende Gewalt zu sehr in Anspruch nehmen, die
weniger an die Vollziehung denken als darauf bedacht sein würde, ihre
Vorrechte und das ihr zur Vollziehung anvertraute Recht zu verteidigen.[...]
Hat die vollziehende Gewalt nicht das Recht, den Unternehmungen der
gesetzgebenden Körperschaft Einhalt zu tun, so wird diese despotisch sein.
Denn da sie sich alle erdenkliche Gewalt zusprechen kann, wird sie die
anderen Gewalten vernichten.
Andererseits bedarf es jedoch nicht der entsprechenden Möglichkeiten für
die gesetzgebende Gewalt, der vollziehenden Gewalt Einhalt zu gebieten. Da
die Vollziehung ihre natürlichen Grenzen hat, ist es unzweckmäßig, sie zu
beschränken, ganz abgesehen davon, dass die vollziehende Gewalt sich fast
immer in augenblicklichen Angelegenheiten betätigt. [...]
Wenn aber in einem freien Staat die gesetzgebende Gewalt nicht das Recht
haben soll, die vollziehende Gewalt anzuhalten, hat sie das Recht und muss
sie die Möglichkeit haben, nachzuprüfen, wie die von ihr erlassenen
Gesetze ausgeführt worden sind. [..]
Aber welcher Art diese Nachprüfung auch sei, die gesetzgebende
Körperschaft darf nicht das Recht haben, über die Person und demgemäß
auch über das Verhalten dessen, der die vollziehende Funktion wahrnimmt,
richterlich zu urteilen. Seine Person muss unantastbar sein, da es für den
Staat notwendig ist, dass die gesetzgebende Körperschaft nicht tyrannisch
wird. In dem Augenblick, wo der Träger der Vollziehung angeklagt oder
verurteilt würde, gäbe es keine Freiheit mehr.
Dann wäre der Staat keine Monarchie mehr, sondern eine unfreie Republik. [...]
Die vollziehende Gewalt soll [...] mit dem Vetorecht an der Gesetzgebung
teilhaben. Ohne diese Befugnis wäre sie bald ihrer Vorrechte beraubt. [...]
Da die vollziehende Gewalt an der Gesetzgebung nur vermöge des Vetorechts
teilhat, kann sie nicht in die Erörterung der Angelegenheiten eingreifen.
Es ist nicht einmal notwendig, dass sie Anträge stellt. Denn weil sie die
Entschließungen jederzeit zu missbilligen vermag, kann sie Beschlüsse
über Anträge, die nach ihrer Ansicht nicht hätten gestellt werden sollen,
verwerfen.
(aus:
Montesquieu,
Vom Geist der Gesetze, Buch XI, Kap. 6, S.200, 203ff.
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