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In jedem Staat gibt es drei Arten von Gewalt: die gesetzgebende Gewalt,
die vollziehende Gewalt in Ansehung der Angelegenheiten, die vom
Völkerrecht abhängen, und die vollziehende Gewalt hinsichtlich der
Angelegenheiten, die vom bürgerlichen Recht abhängen.[...]
Der repräsentative Körper soll nicht gewählt werden, damit er einen
unmittelbar wirksamen Beschluss fasse, wozu er nicht geeignet ist, sondern
um Gesetze zu machen und darauf zu achten, dass die von ihm gemachten
Gesetze wohl ausgeführt werden. Dazu ist er sehr geeignet, das kann niemand
besser als er.
Zu allen Zeiten gibt es im Staat Leute, die durch Geburt, Reichtum oder
Ehrenstellungen ausgezeichnet sind. Würden sie mit der Masse des Volkes
vermischt und hätten sie nur eine Stimme wie alle Übrigen, so würde die
gemeine Freiheit ihnen Sklaverei bedeuten. Sie hätten an ihrer Verteidigung
kein Interesse, weil die meisten Entschließungen sich gegen sie richten
würden. Ihr Anteil an der Gesetzgebung muss also den übrigen Vorteilen
angepasst sein, die sie im Staate genießen. Das wird der Fall sein, wenn
sie eine eigene Körperschaft bilden, die berechtigt ist, die Unternehmungen
des Volkes anzuhalten, wie das Volk das Recht hat, den ihrigen Einhalt zu
gebieten.
So wird die gesetzgebende Gewalt sowohl der Körperschaft des Adels wie der
gewählten Körperschaft, welche das Volk repräsentiert, anvertraut sein.
Beide werden ihre Versammlungen getrennt führen, mit gesonderten Ansichten
und Interessen.[...]
Die Körperschaft des Adels muss erblich sein. Sie ist es erstlich durch
ihre Natur; sodann muss sie ein großes Interesse daran haben, ihre
Vorrechte zu erhalten, die an sich verhasst sind und in einem freien Staat
immer in Gefahr sein müssen.
Aber eine erbliche Gewalt kann sich verleitet sehen, ihre besonderen
Interessen zu verfolgen und die des Volkes zu vergessen. Deshalb sollte sie
in den Angelegenheiten, in denen ein starkes Interesse an der Bestechung
obwaltet, wie in den Gesetzen, welche die Steuererhebung betreffen, an der
Gesetzgebung teilnehmen lediglich mit dem Vetorecht, nicht aber mit dem
Beschlussrecht.[...]
Es wäre unzweckmäßig, wenn die gesetzgebende Körperschaft ständig
versammelt wäre. Das wäre nicht nur unbequem für die Repräsentanten,
sondern würde auch die vollziehende Gewalt zu sehr in Anspruch nehmen, die
weniger an die Vollziehung denken als darauf bedacht sein würde, ihre
Vorrechte und das ihr zur Vollziehung anvertraute Recht zu verteidigen.
Wenn die gesetzgebende Körperschaft ständig versammelt wäre, so könnte
es geschehen, dass man nichts weiter täte, als neue Deputierte an die
Stelle der alten, verstorbenen zu setzen. Wäre in diesem Falle die
gesetzgebende Körperschaft einmal korrumpiert, so würde das Übel
unheilbar sein. [...] Wenn es [...] immer die gleiche Körperschaft bliebe,
so würde das Volk, nachdem es sie als korrupt erkannt hat, nichts mehr von
ihren Gesetzen erwarten, es würde wütend werden oder der Gleichgültigkeit
anheim fallen.
Die gesetzgebende Körperschaft darf sich nicht selbst versammeln. Denn man
erkennt einer Körperschaft einen Willen nur dann zu, wenn sie versammelt
ist; und wenn sie sich nicht vollzählig versammeln würde, so ließe sich
nicht sagen, welcher Teil nun wirklich die gesetzgebende Körperschaft
wäre, derjenige, der versammelt wäre, oder derjenige, der es nicht wäre.
Hätte sie das Recht, sich zu vertagen, so könnte es geschehen, dass sie
sich niemals vertagen würde. Das wäre dann gefahrvoll, wenn sie die
vollziehende Gewalt antasten wollte. [...]
Hat die vollziehende Gewalt nicht das Recht, den Unternehmungen der
gesetzgebenden Körperschaft Einhalt zu tun, so wird diese despotisch sein.
Denn da sie sich alle erdenkliche Gewalt zusprechen kann, wird sie die
anderen Gewalten vernichten.
Andererseits bedarf es jedoch nicht der entsprechenden Möglichkeiten für
die gesetzgebende Gewalt, der vollziehenden Gewalt Einhalt zu gebieten. Da
die Vollziehung ihre natürlichen Grenzen hat, ist es unzweckmäßig, sie zu
beschränken, ganz abgesehen davon, dass die vollziehende Gewalt sich fast
immer in augenblicklichen Angelegenheiten betätigt. [...]
Wenn aber in einem freien Staat die gesetzgebende Gewalt nicht das Recht
haben soll, die vollziehende Gewalt anzuhalten, hat sie das Recht und muss
sie die Möglichkeit haben, nachzuprüfen, wie die von ihr erlassenen
Gesetze ausgeführt worden sind. [...]
Aber welcher Art diese Nachprüfung auch sei, die gesetzgebende
Körperschaft darf nicht das Recht haben, über die Person und demgemäß
auch über das Verhalten dessen, der die vollziehende Funktion wahrnimmt,
richterlich zu urteilen. Seine Person muss unantastbar sein, da es für den
Staat notwendig ist, dass die gesetzgebende Körperschaft nicht tyrannisch
wird. In dem Augenblick, wo der Träger der Vollziehung angeklagt oder
verurteilt würde, gäbe es keine Freiheit mehr.
Dann wäre der Staat keine Monarchie mehr, sondern eine unfreie Republik. [...]
Die vollziehende Gewalt soll [...] mit dem Vetorecht an der Gesetzgebung
teilhaben. Ohne diese Befugnis wäre sie bald ihrer Vorrechte beraubt. [...]
Da die vollziehende Gewalt an der Gesetzgebung nur vermöge des Vetorechts
teilhat, kann sie nicht in die Erörterung der Angelegenheiten eingreifen.
Es ist nicht einmal notwendig, dass sie Anträge stellt. Denn weil sie die
Entschließungen jederzeit zu missbilligen vermag, kann sie Beschlüsse
über Anträge, die nach ihrer Ansicht nicht hätten gestellt werden sollen,
verwerfen.(aus:
Montesquieu,
Vom Geist der Gesetze, Buch XI, Kap. 6, S.200, 203ff.
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