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Die legislative, exekutive und föderative Gewalt des Staates

John Locke (1632-1704)


143. Die legislative Gewalt ist jene, die das Recht hat zu bestimmen, wie die Macht des Staates zur Erhaltung der Gemeinschaft und ihrer Glieder gebraucht werden soll. Da aber jene Gesetze, die laufend vollzogen und die immer in Kraft bleiben sollen, während kurzer Zeit geschaffen werden können, muss sich die Legislative nicht notwendig immer im Amt befinden, weil sie nicht ständig beschäftigt ist. Bei der Schwäche der menschlichen Natur, die stets bereit ist, nach der Macht zu greifen, dürfte es jedoch eine zu große Versuchung darstellen, wenn dieselben Personen, die die Macht haben, Gesetze zu geben, auch die Macht in der Hand hätten, sie zu vollstrecken[...]. In wohl geordneten Staatswesen, in denen nach Gebühr das Wohl des Ganzen berücksichtigt wird, wird deshalb die legislative Gewalt in die Hände mehrerer Personen gelegt, welche nach ordnungsgemäßer Versammlung selbst oder mit anderen gemeinsam die Macht haben, Gesetze zu geben, sobald dies aber geschehen ist, wieder auseinander gehen und selbst jenen Gesetzen unterworfen sind, die sie geschaffen haben.[...]
144. Weil aber die Gesetze, die auf einmal und während kurzer Zeit geschaffen worden sind, von beständiger und dauernder Gültigkeit sind und fortwährend vollstreckt oder befolgt werden sollen, ist es notwendig, dass es eine dauernd im Amte befindliche Gewalt gibt, die darauf zu achten hat, dass die erlassenen und in Kraft bleibenden Gesetze vollzogen werden. So geschieht es, dass die legislative und die exekutive Gewalt oftmals getrennt sind.
145. Es gibt noch eine andere Gewalt in jedem Staat, die man natürlich nennen könnte, weil sie jener Gewalt entspricht, die jeder Mensch von Natur aus vor dem Eintritt in die Gesellschaft besaß. Obwohl nämlich in einem Staatswesen die Mitglieder in ihrem Verhältnis zueinander immer einzelne Personen bleiben und als solche auch kraft der Gesetze der Gesellschaft regiert werden, bilden sie doch der übrigen Menschheit gegenüber einen einzigen Körper, der sich, wie zuvor jedes seiner Glieder, weiterhin der übrigen Menschheit gegenüber im Naturzustand befindet. So kommt es, dass die Streitfälle, die zwischen den der Gesellschaft Angehörigen und anderen auftreten, die sich außerhalb von ihr befinden, von der Öffentlichkeit gehandhabt werden und das Unrecht gegen eines der Glieder ihres Körpers die Gesamtheit zur Wiedergutmachung verpflichtet. So betrachtet also, ist die ganze Gemeinschaft gegenüber allen anderen Staaten oder Personen, die sich außerhalb ihrer Gemeinschaft befinden, ein einziger Körper im Naturzustand.
146. Darin liegt deshalb die Gewalt über Krieg und Frieden, über Bündnisse und alle Abmachungen mit allen Personen und Gemeinschaften außerhalb des Staatswesens, und man kann, wenn man will, von einer föderativen Gewalt sprechen. So man nur das Richtige darunter versteht, soll mir der Name gleichgültig sein.

(aus: John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981, übersetzt von Dorothee Tidow, S.111-112 )
  


   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, welche verschiedenen Gewalten John Locke unterscheidet und wodurch er sie begründet sieht.

  2. Vergleichen Sie seine Position mit den Auffassungen von Montesquieu.
     

                 
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