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Die Auflösung der Regierung

John Locke (1632-1704)


221. So gibt es zum zweiten noch einen anderen Weg, wie Regierungen aufgelöst werden können - nämlich, wenn die Legislative oder der Fürst wider das in sie gesetzte Vertrauen handelt.
Zunächst handelt die Legislative dem in sie gelegten Vertrauen entgegen, wenn sie versucht, sich an dem Eigentum der Untertanen zu vergreifen und sich selbst oder irgendeinen Teil der Gemeinschaft zum Herrn oder willkürlichen Gebieter über Leben, Freiheit und Vermögen des Volkes zu machen.
222. Der Grund, aus dem die Menschen in die Gesellschaft eintreten, ist die Erhaltung ihres Eigentums und das Ziel, um dessentwillen sie eine Legislative wählen und ihr Autorität verleihen, ist, dass Gesetze und Vorschriften geschaffen werden, um über das Eigentum aller Glieder der Gesellschaft zu wachen und es zu schützen und so die Macht und die Herrschaft jedes Teiles oder Gliedes der Gesellschaft zu beschränken und zu mäßigen. [...] Wann immer deshalb die Gesetzgeber danach trachten, dem Volk sein Eigentum zu nehmen oder zu zerstören oder es als Sklaven in ihre willkürliche Gewalt zu bringen, versetzen sie sich dem Volk gegenüber in den Kriegszustand. Dadurch ist es jeden weiteren Gehorsams entbunden und der gemeinsamen Zuflucht überlassen, die Gott für alle Menschen gegen Macht und Gewalt vorgesehen hat. Wann immer daher die Legislative dieses grundlegende Gesetz der Gesellschaft überschreiten und aus Ehrsucht, Furcht, Torheit oder Verderbtheit den Versuch unternehmen sollte, entweder selbst absolute Gewalt über Leben, Freiheit und Besitz des Volkes an sich zu reißen oder sie in die Hände eines anderen zu legen, verwirkt sie durch einen solchen Vertrauensbruch jene Macht, die das Volk mit weit anderen Zielen in ihre Hände gegeben hatte, und die Macht fällt zurück an das Volk, das dann ein Recht hat, zu seiner ursprünglichen Freiheit zurückzukehren und durch die Errichtung einer neuen Legislative (wie sie ihm selbst am geeignetsten erscheint) für seine eigene Sicherheit und seinen Schutz zu sorgen - denn zu diesem Ziel befinden sie sich in der Gesellschaft. Was ich hier über die Legislative im Allgemeinen gesagt habe, gilt auch von dem höchsten Träger der Exekutive. Da man in ihn ein zweifaches Vertrauen gesetzt hat, einmal als Teil der Legislative und zum anderen durch die höchste Vollziehung der Gesetze, handelt er beidem zuwider, wenn er sich unterfängt, den eigenen Willen nach Belieben zum Gesetz der Gesellschaft zu erheben. Ebenfalls wider das in ihn gesetzte Vertrauen handelt er, wenn er entweder die Staatsgewalt, den Staatsschatz oder die Ämter der Gesellschaft dazu benützt, die Abgeordneten zu bestechen und für seine Absichten zu gewinnen, oder aber wenn er offensichtlich die Wähler beeinflusst und ihrer Wahl Männer vorschreibt, die er sich durch dringende Vorstellungen, Drohungen, Versprechungen oder sonst wie willfährig gemacht hat und die er gebraucht, um andere durchzubringen, die ihm im Voraus versprochen haben, wofür sie stimmen und was sie beschließen werden. [...] 
223. Hier wird man vielleicht einwenden, dass das Volk unwissend sei und immer unzufrieden; wenn man daher die Grundlage der Regierung in die unbeständige Meinung und den Wankelmut des Volkes lege, so liefere man es dem sicheren Verderben aus. Auch werde keine Regierung lange bestehen können, wenn das Volk eine neue Legislative einsetzen darf, wann immer es an der alten Anstoß nimmt. Darauf antworte ich: Ganz im Gegenteil, das Volk lässt sich nicht so leicht aus seinen alten Formen lösen, wie mancher uns gerne einreden möchte. Es lässt sich kaum dazu bewegen, den anerkannten Missständen im Rahmen des Gewohnten Abhilfe zu schaffen. [...]
224. Man wird jedoch sagen: Diese Hypothese enthält einen Gärstoff häufiger Rebellion. Darauf ist meine Antwort:
Zum ersten: Nicht mehr als irgendeine andere Hypothese. Denn wenn das Volk ins Elend gebracht wird und sich dem Missbrauch willkürlicher Gewalt ausgesetzt sieht, so mögt ihr seine Regierenden, so viel ihr wollt, die Kinder des Jupiter nennen, lasst sie geheiligt und göttlich sein, abstammend oder bevollmächtigt vom Himmel, gebt sie aus, für wen oder was ihr wollt, es wird doch immer dasselbe geschehen. Das allgemein und wider alles Recht misshandelte Volk wird bei jeder Gelegenheit bereit sein, sich von der Bürde zu befreien, die schwer auf ihm lastet. [...]
225. Zum zweiten , antworte ich, kommt es zu solchen Revolutionen nicht bei jeder kleinen Fehlhandlung in öffentlichen Angelegenheiten. […]
226. Zum dritten antworte ich: Diese Lehre von einer Gewalt im Volke, durch eine neue Legislative wieder von Neuem für seine Sicherheit zu sorgen, wenn seine Gesetzgeber auf sein Eigentum übergegriffen und damit entgegen dem in sie gesetzten Vertrauen gehandelt haben, ist der beste Schutz gegen Rebellion und das sicherste Mittel, sie zu verhindern.

(aus: John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981, übersetzt von Dorothee Tidow, S.166-170 )
 


   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, wie John Locke das Recht auf Widerstand begründet.

  2. Überlegen Sie, in welchen Fällen die Anwendung des Widerstandsrechtes in der aktuellen Politik möglich sein könnte.
     

                 
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