Home
Nach oben
Zurück
Weiter
 

 

Das Ausmaß der gesetzgebenden Gewalt

John Locke (1632-1704)


134. Das große Ziel, mit welchem die Menschen in eine Gesellschaft eintreten, ist der Genuss ihres Eigentums in Frieden und Sicherheit und das große Werkzeug und Mittel dazu sind die Gesetze, die in dieser Gesellschaft erlassen worden sind. Das erste und grundlegende positive Gesetz aller Staaten ist daher die Begründung der legislativen Gewalt - so wie das erste und grundlegende natürliche Gesetz, welches selbst über der legislativen Gewalt gelten muss, die Erhaltung der Gesellschaft und (so weit es vereinbar ist mit dem öffentlichen Wohl) jeder einzelnen Person in ihr ist. Diese legislative Gewalt ist nicht nur die höchste Gewalt des Staates, sondern sie liegt auch geheiligt und unabänderlich in jenen Händen, in die die Gemeinschaft sie einmal gelegt hat. Keine Vorschrift irgendeines anderen Menschen, in welcher Form sie auch verfasst, von welcher Macht sie auch gestützt sein mag, kann die Verpflichtungskraft eines Gesetzes haben, wenn sie nicht durch jene Legislative sanktioniert ist, die von der Allgemeinheit gewählt und ernannt worden ist. Ohne sie könnte das Gesetz nämlich nicht haben, was absolut notwendig ist, um es zum Gesetz zu machen, nämlich die Zustimmung der Gesellschaft. Der Gesellschaft Gesetze zu geben, kann niemand Gewalt haben, es sei denn kraft ihrer eigenen Zustimmung und der Autorität, die ihr von ihren Gliedern verliehen wurde. […]
138. Zum dritten kann die höchste Gewalt keinem Menschen irgendeinen Teil seines Eigentums ohne seine eigene Zustimmung nehmen. Da die Erhaltung des Eigentums der Zweck der Regierung und das Ziel ist, weshalb die Menschen in eine Gesellschaft eintreten, muss notwendigerweise vorausgesetzt und gefordert werden, dass sie Eigentum haben sollen. [...] Und folglich ist es ein Irrtum zu glauben, die höchste oder gesetzgebende Gewalt eines Staates könne tun, was sie will, sie könne über die Güter ihrer Untertanen willkürlich verfügen oder ihnen nach Belieben einen Teil davon wegnehmen. […]
142. Dies sind die Grenzen, die der legislativen Gewalt eines jeden Staates gleich welcher Regierungsform durch jenes Vertrauen gesetzt sind, welches die Gesellschaft und das Gesetz Gottes und der Natur in sie gelegt haben.
Zum ersten muss sie nach öffentlich bekannt gemachten festen Gesetzen regieren, die nicht für besondere Fälle geändert werden dürfen, sondern nur ein Maß anlegen für Reich und Arm, für den Günstling bei Hof wie für den Landmann am Pflug.
Zum zweiten sollten diese Gesetze auf kein anderes letztes Ziel als das Wohl des Volkes ausgerichtet sein.
Zum dritten darf sie keine Steuern auf das Eigentum des Volkes erheben ohne die von ihnen selbst oder durch Abgeordnete erteilte Zustimmung des Volkes. [...]
Zum vierten darf und kann die Legislative die Gewalt, Gesetze zu geben, nicht auf irgendjemand anders übertragen und sie kann sie nirgendwo anders hinlegen als dort, wohin sie das Volk gelegt hat.

(aus: John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government, 1689), Stuttgart: Philipp Reclam 1981, übersetzt von Dorothee Tidow, S.101f., S.107, S.110 )
   


   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, welche Ziele die legislative Gewalt nach John Locke verfolgen soll.

  2. Zeigen Sie, in welche Bereiche die legislative Gewalt nicht ohne weiteres eingreifen kann.

  3. Fassen Sie die vier Grenzen der legislativen Gewalt nach John Locke in einer übersichtlichen Darstellung zusammen.
     

                 
  Center-Map ] Überblick ] Textauswahl ] Links ins WWW ] Bausteine ]  
                       

          CC-Lizenz
 

 

Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA) Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de