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Die Menschen sind von Natur aus gleich, sowohl in ihren körperlichen als
auch in den geistigen Anlagen. Es mag wohl jemand erwiesenermaßen
stärker sein als ein anderer oder schneller in seinen Gedankengängen,
wenn man jedoch alles zusammen bedenkt, so ist der Unterschied zwischen
den einzelnen Menschen nicht so erheblich, dass irgendjemand Veranlassung
hätte, sich einen Anspruch daraus herzuleiten. Man nehme nur die
Körperstärke: Selbst der Schwächste ist stark genug, auch den
Stärksten zu vernichten; er braucht sich nur einer List zu bedienen oder
sich zu verbinden mit anderen.[...]
Dieser Gleichheit der Fähigkeiten entspringen die gleichen Hoffnungen,
ein Ziel zu erreichen. So werden zwei Menschen zu Feinden, wenn beide zu
erlangen versuchen, was nur einem von ihnen zukommen kann. Um ihr Ziel zu
erreichen (welches fast immer ihrer Selbsterhaltung dient, nur selten
allein der größeren Befriedigung ihrer Bedürfnisse), trachten sie
danach, den anderen zu vernichten oder untertan zu machen. Und der
Angreifer selbst ist wieder durch andere gefährdet.
Die Folge dieses wechselseitigen Argwohns ist, dass sich ein jeder um
seiner Sicherheit willen bemüht, dem anderen zuvorzukommen. So wird er
sich so lange gewaltsam oder hinterrücks des anderen zu bemächtigen
suchen, bis ihn keine größere Macht mehr gefährden kann. Das verlangt
nur seine Selbsterhaltung und wird deshalb allgemein gebilligt. Schon weil
es einige geben mag, die bestrebt sind, aus Machtgier und Eitelkeit mehr
an sich zu reißen, als zu ihrer Sicherheit notwendig wäre. Die aber, die
glücklich wären, sich in schmalen Grenzen zu begnügen, würden schnell
untergehen, wenn sie sich - ein jeder für sich - verteidigen würden und
nicht danach trachteten, durch Eroberungen ihre Macht zu vergrößern.
Folglich muss dem Menschen die Ausweitung seiner Macht über andere, zu
der ihn sein Selbsterhaltungstrieb zwingt, erlaubt sein.
Das Zusammenleben ist den Menschen also kein Vergnügen, sondern schafft
ihnen im Gegenteil viel Kummer, solange es keine übergeordnete Macht
gibt, die sie alle im Zaum hält. [...] Er wird dabei so weit gehen, wie
er es wagen darf - was dort, wo es keine Ordnungsgewalt gibt, zur
wechselseitigen Vernichtung führt.
(aus: Thomas Hobbes, Leviathan, XIII, Kapitel, zitiert
nach: Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, Band 6,
herausgegeben von Peter Cornelius Mayer-Tasch, Reinbek 1965, S. 96 ff.)
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