Der Bildausschnitt
macht's
Die
▪ Einstellungsgröße
(= Bildausschnitt) stellt eine der wichtigsten Kompositionselemente
filmischer Gestaltung dar.
Dies gilt, auch wenn festzuhalten ist, dass die
"in der Filmpraxis üblichen Ausdrücke für die Einstellungsgrößen [...]
kein exakt definiertes System mit klaren, normativen Abgrenzungen"
darstellt. Sie stellen in der Praxis eher Vereinbarungen dar, die die an
einer Produktion Beteiligten miteinander treffen. (vgl.
Acker u.a.1986, S.31)
So ist die nachfolgende Einteilung der
Einstellungsgrößen zwar durchaus verbreitet, aber keineswegs zwingend.
Mit Einstellungsgrößen wird
Kontinuität erzeugt
Bilder unterschiedlicher Einstellungsgröße dienen der
Kontinuitätserzeugung und sind aufeinander bezogen.
Mit verschiedenen
Einstellungsgrößen lässt sich filmisch z. B. die Vorstellung eines Raumes
erzeugen, der unendlich groß wie das Weltall oder so klein wie der
Mikrokosmos einer Ameise erscheinen kann. Wir wissen heutzutage
allerdings, wie groß der Raum und seine dargestellten Objekte in
Wirklichkeit sind, können die dargestellte Größe in ihr "natürliches"
Bezugssystem stellen.
Dieses Wissen um die richtigen Proportionen
ist Teil unseres allgemeinen
Weltwissens, das wir auch im Rahmen unserer Mediensozialisation weiter
differenzieren. Beispiele aus der Filmgeschichte Anfang des 20.
Jahrhunderts zeigen, dass dieses Sehen gelernt sein will. So hat Bela
Balázs (1949/1961, S. 27ff.) von den den ersten Aufführungen von
Filmen berichtet, in denen Detailbilder vorgekommen sind:
"Einer meiner alten Moskauer Freunde
erzählte einst von seiner neuen Hausangestellten, die, aus
irgendeinem sibirischen Kolchos kommend, erst vor wenigen Tagen in
der Stadt eingetroffen war. Sie war ein intelligentes Mädchen mit
Schulbildung, aber infolge zufälliger Umstände hatte sie noch nie
einen Film gesehen. (Dieses Ereignis liegt sehr lange zurück!) Ihre
Arbeitgeber schickten sie ins Kino. wo irgendein volkstümliches
Lustspiel gegeben wurde, Bleich, mit finsterer Miene kam sie zurück. »Wie hat es dir gefallen?« fragte man sie. Sie stand noch immer
unter der Wirkung des Geschauten und blieb eine Weile lang starr und
stumm. »Fürchterlich«, sagte sie schließlich empört. »Ich kann nicht
verstehen, dass man hier in Moskau erlaubt, solche Scheußlichkeiten
zu zeigen.« »Ja, was hast du denn gesehen?« »Ich habe gesehen, wie sie Menschen in Stücke gerissen haben. Der
Kopf, die Füße, die Hände, alles war woanders.« Wir wissen, dass in jenem Hollywooder Kino, in welchem
»Griffith
zum ersten Mal seine Premierplan-Detailbilder vorführte und ein
riesengroßer 'abgehackter' Kopf dem Publikum zulächelte, Panik
ausbrach."
Funktionen der Einstellungsgröße
Die wichtigste Funktion der
Einstellungsgröße besteht wohl in darin, Kontinuität
zwischen verschiedenen sich überlappenden Teilstücken eines Raumes zu
erzeugen. Voraussetzung für die Änderung der Einstellungsgröße ist, dass
wir erkennen können, dass sie ein Ausschnitt aus einer Totalen darstellt.
Die Art freilich wie dieser Bezug hergestellt
wird, hat auch mit der Entwicklung des Montagestils und den
Rezeptionsgewohnheiten der Zuschauer zu tun. Während in der Frühgeschichte
des Films eine Schnittfolge Totale – Halbnah – Groß Konvention war, das
Gegeneinanderschneiden von Totale und Großaufnahme teilweise sogar
untersagt war, hat man sich heute längst daran gewöhnt.
Die Veränderung der Einstellungsgröße erlaubt dem Betrachter aber auch,
eine Handlung vorauszuahnen oder Schlussfolgerungen zu
ziehen. Dabei kommt dem Betrachter natürlich auch sein allgemeines
Weltwissen zugute, das Ursache-Wirkungszusammenhänge in bestimmten
Schemata erfassen kann.
"Wir sehen zum Beispiel in einer
▪
Totalen
einen Mann, der auf eine Tür
zugeht, dann folgt ein Schnitt auf eine
▪
Detailaufnahme von der Hand des
Mannes, die den Türknauf herumdreht. Der Türknauf war zwar in der
Totalen zu klein, als dass wir auf ihn geachtet hätten, wir erwarten
aber doch, dass diese Einstellung mit der vorhergehenden in Zusammenhang
steht, denn das ist logisch sinnvoll – obgleich wir auch eine andere Tür
an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit sehen könnten.“ (Katz
1999, S. 171)
Wirkung der Einstellungsgröße
Die Wirkung der Einstellungsgröße auf den Betrachter kann nicht
eindeutig bestimmt werden. Da geht es filmischen Gestaltungsmitteln nicht
anders wie anderen ästhetischen Gestaltungsmitteln, die bei verschiedenen
Betrachtern oft sehr unterschiedliche Wirkungen haben.
Dennoch: Es läst
sich zumindest eine erweiterbare Anzahl von Wirkungen erkennen, die von
der Einstellungsgröße ausgehen können.
-
Eine Person oder ein Handlungselement, die
bzw. das mehrfach in einer Nah-
oder Großaufnahme gezeigt wird, kann bewirken, dass dem
Betrachter diese Dinge besonders wichtig erscheinen.
-
Die mehrfache Darstellung einer Person in der
Großaufnahme des
Gesichts kann zu einer verstärkten Identifikation mit
der Figur führen, kann aber auch das Augenmerk des Betrachters einfach
auf bestimmte Details richten.
-
Die Totale kann zwar eine inhaltliche Distanz zum
dargestellten Objekt oder Geschehen bewirken, zugleich ist sie
allerdings auch "ein gutes Mittel, dem Betrachter formale Zusammenhänge
zu verdeutlichen, lokale Zuordnungen und Raumorientierungen zu geben." (Korte
2000/2001, S.27)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
08.06.2020
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