Der Beginn der Novelle »"Der
goldene Topf" (1814/1819) von »E.T.A
Hoffmann (1776-1822) , hier ▪ "Zusammenstoß
am Schwarzen Tor" genannt, wurde von
Angelika
Linke, Markus Nussbaumer und Paul R. Portmann (1994) unter dem Aspekt
der Kohäsionsmittel
analysiert.
Dabei stellten die Autoren unter dem Aspekt des
Artikelgebrauchs
fest:
Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein
junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen
Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes hässliches
Weib feilbot, so dass alles, was der Quetschung glücklich entgangen,
hinausgeschleudert wurde und die Straßenjungen sich lustig die Beute
teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen. Auf das
Zetergeschrei, das die alte erhob verließen die Gevatterinnen ihre
Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen Menschen und
schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein, so dass er,
vor Ärger und Scham verstummend, nur seinen kleinen, nicht eben
besonders wohlgefüllten Geldbeutel hinstreckte, den die Alte
begierig ergriff und schnell einsteckte.
(aus: E.T.A. Hoffmann, Der Goldene
Topf, (1814), München: dtv 1997, S.5 (= Novellenanfang)
-
Dem Leser noch unbekannte Hauptfiguren (ein junger Mensch; ein
hässliches altes Weib) und ein unbekannter Hauptgegenstand (ein
Korb) werden mit unbestimmtem Artikel eingeführt
-
Im weiteren Textverlauf wird ihr vom Text her kommendes Bekanntsein
vorausgesetzt und mit dem bestimmten Artikel fortgefahren.
-
Gleichzeitiges Zusammenwirken mehrerer Kohäsionsmittel im
vorstehenden Textauszug:
-
Bestimmter Artikel verweist nicht nur auf das schon im Text bekannte
(Textdeixis), sondern auch auf andere über den Text hinausreichende
Elemente, die beim Leser als bekannt vorausgesetzt werden ((Vor-)Wissensdeixis):
"Es ist kein Zufall, dass unser Beispieltext dem Anfang einer
Erzählung entnommen ist. Gerade Textanfänge sind dadurch
charakterisiert, dass wichtige Elemente der Textwelt neu - mit
unbestimmtem Artikel - eingeführt werden. Diese Beobachtung (ver-)führte
zur Annahme, dass Textgrenzen, zumindest aber Textanfänge formal
identifizierbar sind aufgrund der Häufigkeit des Vorkommens von
unbestimmtem bzw. bestimmtem Artikel. Der Anfang von Hoffmanns Erzählung
ist nun aber gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass ein Textautor oder
eine -autorin immer auch das Vorwissen ihrer potentiellen Leser und
Leserinnen miteinbeziehen und folglich auf vieles, was im Text selbst neu
eingeführt wird, zu Recht mit bestimmtem Artikel referieren. Die Analyse
der Verweisstruktur dürfte folglich nur in seltenen Fällen die
Bestimmung von Textgrenzen erlauben. Sie kann aber - und die ist v.a. bei
der Beschäftigung mit Texten aus vergangenen Epochen und aus anderen
Kulturen interessant - Hinweise darauf geben, was der Autor oder die
Autorin als selbstverständliches Wissen voraussetzt bzw. was zu einer
bestimmten Zeit oder in einer bestimmten Kultur als allgemein bekannt
gilt." (Linke
u. a., 1994, S.220)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.05.2022