Bei ▪
Inhaltsangaben von literarischen Texten wie z. B. ▪
Kurzgeschichten steht man immer wieder vor der Aufgabe,
Dialogpassagen zwischen einzelnen Figuren und die Gedanken von
Figuren (innerer
Monolog,
erlebte
Rede,
Bewusstseinsstrom) indirekt
wiederzugeben. Dabei können verschiedene ▪
Formen der indirekten
Wiedergabe verwendet werden, auch wenn die
▪
indirekte Rede unerlässlich ist.
Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, einen alltäglichen
Dialog in indirekter Rede wiederzugeben. Oft kommt man ohne,
mitunter umständliche, Umschreibungen oder Mutmaßungen über die
den Äußerungen zugrundeliegenden Sprechakte dabei nicht zurecht,
zumal der literarische Text etliche "Leerstellen" besitzt, die
erst im Zuge des eigenen interpretierenden Textverstehens
gefüllt werden.
Aus diesem Grunde verstehen sich die hier vorstellten
Lösungen lediglich als Lösungsvorschläge.
Vor
dem Finale
Jens Ludwig
-
Es ist nichts, nein, nichts. Dieser Blick.
Der Mann
wehrte mit Nachdruck ab, es sei nichts, und machte sich doch
Gedanken über den Blick, den sie auf ihn richtete.
Sie nahm ihn mit, als sie von der Diele in die Küche wechselte. Jetzt gab es
kein Zurück. Wie immer eine kurze Pause, dann ging er ihr hinterher.
Als sie
daraufhin in die Küche verschwand, wusste er, dass es jetzt
kein Zurück mehr gab.
- Nein, ehrlich, was soll denn sein?
Er griff den
im Raum stehenden Vorwurf erneut auf und stellte die Frage
in den Raum, was denn ihrer Ansicht nach los sein solle.
- Ach, nichts.
Mit einer
Floskel des Bedauerns winkte die Frau ab.
- Also doch.
Er ließ aber
nicht dabei bewenden und wandte ein, es sei ihm jetzt ganz
klar, dass irgendetwas los sei.
- Also was?
Sie reagierte
offenbar genervt und griff seinen Einwand mit einer kurzen
Gegenfrage auf.
Das Geschirr schepperte in den Geschirrspüler. Er griff nach einem Topf,
bugsierte ihn an ihr vorbei in die Spüle. So.
- Ich sage doch, es ist nichts.
Noch einmal
betonte er, dass nichts (los) sei.
- So?
Sie stellte
das mit einem kurzen So erneut in Frage.
Sie schob sich an ihm vorbei zurück in die Diele, machte sich an der
Garderobe zu schaffen, den Rücken wie ein Schild getragen. Kein günstiger
Moment, um es ihr zu sagen, dann halt später. An mir liegt’s nicht, oder
vielleicht einen Tick mehr Selbstoffenbarung?
Während sie
sich an in der Diele an der Garderobe zu schaffen machte,
dachte er darüber nach, dass es jetzt kein günstiger Moment
sei, um es ihr zu sagen. An ihm selbst liege es jedenfalls
nicht, dachte er weiter, um sich dann zu fragen, ob nicht
vielleicht doch ein Zick mehr Selbstoffenbarung angezeigt
sei.
- Männer sind Schweine!
Da schallte
ihm von seiner Frau entgegen, Männer seien Schweine.
Ihr rechter Arm ragte seitwärts vom Rücken in den Raum, die Hand zur Faust
geballt. Was denn jetzt? Eine erstklassige Inszenierung: Rücken mit Faust
oder so ähnlich.
Als sie ihm mit geballter Faust
entgegenkam, fragte er sich, was denn jetzt passiert sei und
das Ganze kam ihm vor wie eine erstklassige Inszenierung mit
dem Titel Rücken mit Faust oder so ähnlich.
- Männer sind Schweine!
Sie wiederholte lautstark noch
einmal, Männer seien Schweine.
Sie drehte sich um, tat einen Schritt hin zur geöffneten Küchentüre und
schlug mit ihrem steinernen Blick auf ihn ein. Er versuchte es noch einmal,
mit anderer Betonung.
- Liebling, es ist echt nichts, ich weiß überhaupt nicht, was du hast.
Er versuchte noch einmal mit
anderer Betonung zu unterstreichen und sprach sie mit dem
Kosewort "Liebling", als er ihr sagte, es sei echt nichts,
und er wisse überhaupt nicht, was sie habe.
Noch ein Schritt und die Faust fuchtelte vor seinem Gesicht. O Gott, ich
hab’s vergessen, schon gut!
Als sie ihm mit der Faust vor
dem Gesicht herumfuchtelte, kam er auf eine Vermutung und
dachte schuldbewusst, er habe es vergessen und müsse sie
beschwichtigen.
- Sag, mal, wie war’s heute bei dir?
Um abzulenken, forderte er sie
auf, ihm zu sagen, wie es denn bei ihr an diesem Tag gewesen
sei.
Ihre Augen funkelten zornig, als sie ihn anfauchte.
- Ich hab’s gewusst, ich hab’s ja gewusst. Männer sind Schweine! Und du, du
bist …
Sie fauchte ihn an und
wiederholte zweimal, sie habe es ja gewusst, um dann zum
wiederholten Mal zu betonen, Männer seien Schweine. Und er,
er sei ...
- Jetzt reicht’s aber wirklich. Was soll denn das Theater? Seine grobe Hand
hatte sich schon fest um ihr Handgelenk mit der geballten Faust geschlossen.
Sie drohte mit einem Kniestoß, so dass er sich zur Seite wandte und ihr
dabei etwas den Arm verdrehte.
Jetzt reiche es ihm aber
wirklich, unterbrach er sie und wollte (endlich) wissen, was
denn das ganze Theater solle?
- Au, au … verdammt, lass mich los!
Als er sie festhielt, hob sie
zweimal zu einem Ausruf des Schmerzes an und verlangte dann,
dass er sie, verdammt noch mal, loslassen solle.
- Nur wenn du mit deinem Gerappel aufhörst, klar? Hat sie was in der Hand?
Keine Ahnung. Moment.... Ein Lächeln
huschte über sein Gesicht, während er gekonnt dem einen oder anderen
Kniestoß auswich. Das Kondom, klar!
Er werde sie erst dann
loslassen, wenn sie mit ihrem Gerappel aufhöre, gab er
zurück. Zugleich fragte er sich, ob sie etwas in ihrer Hand
halte. Zuerst hatte er diesbezüglich keine Idee, doch dann
fiel ihm, während er zu lächeln begann, ein: Es musste das
Kondom sein, etwas anderes kam nicht in Frage.
- Männer sind also Schweine?
Er machte aus ihrer Aussage
eine Frage zur Vergewisserung und wollte von seiner Frau
wissen, ob Männer also Schweine seien.
- Genau, und du, - du bist auch eines!
Sie bestätigte das mit
Nachdruck und schob nach, dass er selbst auch eines sei.
Als er sie losließ und ein wenig zurückstieß, hatte er schon begonnen das
Ganze zu genießen.
- Ein klassischer
Syllogismus, gell?
Deduktiver Fehlschluss,
Liebling!
Inzwischen über das Ganze
sichtlich amüsiert, spielte er mit der Frage im Raum, dass
es sich wohl um einen klassischen Syllogismus handle und
betonte an sein Liebling gerichtet, dass sie einem
deduktiven Fehlschluss aufgesessen sei.
- Typisch, dass du jetzt wieder so kommst. Das zieht nicht, nicht mehr!
Sie wehrte sich dagegen mit dem
Hinweis, dass es für ihn typisch sei, jetzt wieder auf diese
Art und Weise vorzugehen und erklärte ausdrücklich, dass das
bei ihr überhaupt nicht mehr ziehe.
- Was mache ich denn? Immer noch sexy, wenn sie sich so
aufregt. Mal sehen. Er ließ los.
Was er denn mache, wollte er
wissen und dachte, dass sie immer noch sexy wirke, wenn sie
sich so aufrege.
- Wenn du ein schlechtes Gewissen hast, meine ich.
Sie hielt dagegen und meinte,
dass er stets so vorgehe, wenn er ein schlechtes Gewissen
habe,
Ihr Blick gab nicht einen Zentimeter nach. Ihre Faust streckte sich ihm
entgegen und öffnete sich zum großen Finale.
- Das hier meine ich, genau das! Da staunst du?
Sie streckte ihm die geöffnete
Hand entgegen und sagte, genau das, was sie in der Hand
habe, meine sie. Als Frage stellte sie in den Raum, darüber
staune er wohl.
Er hätte es ihr gleich sagen können, aber jetzt, nur noch einen Moment und
dann das echte Finale, wie früher.
Er hätte es ihr gleich sagen
können, kam ihm in den Sinn, aber dann dachte er, es könne
nur noch einen Moment dauern, ehe es zum echten Finale wie
früher kommen würde.
- Heute ist
Christopher-Street-Day,
Liebling?
In eine Frage an seinen
Liebling gekleidet machte er sie daraufhin darauf
aufmerksam, dass an diesem Tag Christopher-Street-Day sei.
- Christopher was?
Sie konnte sich darauf keinen
Reim machen und wollte weitere Auskunft.
- Ich musste halt da durch.
Er habe halt hindurchgehen
müssen, klärte er sie auf.
Ein paar Worte, dann war die Sache geklärt.
- Hast du die Post schon geholt, Schatz?
Als alles geklärt ist, wollte
er von seiner liebevoll Schatz genannten Partnerin noch
wissen, ob sie schon die Post geholt habe.
Es war keine gekommen. Dann bleibt ja noch Zeit.
Als er erfuhr, dass keine
gekommen war, war er erleichtert und dachte, dann bleibe ihm
ja noch Zeit.
- Kommst du? Dieser Blick, genau deswegen.
Sie fragte ihn, ob er komme und
ihm kam, als er ihren Blick auf sich spürte, in den Sinn,
dass es genau dieser Blick sei.
(aus: Jens Ludwig, Geschichten kommen immer zurück.
Erzählungen, erstveröffentlicht Konstanz: teachSam, 2005)
Worterläuterungen:
*Syllogismus: Modell zur
Argumentationsanalyse, bei dem die Struktur von Argumentationen durch die
Zusammenstellung dreier Behauptungen dargestellt wird nach dem Muster:
Sokrates ist ein Mensch. Alle Menschen sind sterblich. Folglich ist auch
Sokrates sterblich. (vgl.
Dreigliedriger Syllogismus)
**Bei einem
deduktiven Fehlschluss
wird zwar ähnlich verfahren, der Schluss der gezogen wird, ist aber falsch,
wie das folgende Beispiel zeigt: Wenn die Schule aus ist, läutet es. - Es
läutet. ► Also ist die Schule aus. Jedermann weiß nämlich, dass es auch zu
„normalen“ Pausen läutet. (vgl.
Deduktiver Fehlschluss)
***Christopher-Street-Day:
Gemeinsamer Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag der Lesben, der Lesben,
Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und von
Personen, die diese im Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und
Gleichberechtigung unterstützen. Ziel der Aktionen, die in Österreich
Regenbogenparade und im englischsprachigen Raum Gay Pride bezeichnet werden,
ist es, öffentlich für die Rechte dieser Gruppen sowie gegen Diskriminierung
und Ausgrenzung zu demonstrieren. Mit Feiern und Demonstrationen wird damit
auch an Vorgänge in der New Yorker Christopher Street in Greenwich Village
am 27. Juni 1969 erinnert, wo Homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten
erstmals öffentlich gegen Polizeiwillkür aufbegehrt haben
(„Stonewall-Rebellion“). Zu den Aktionen an solchen Tagen gehört auch häufig
das kostenlose Verteilen von Kondomen an Passanten, mit dem, im Zeichen von
AIDS, der Safer-Sex-Forderung
Ausdruck verliehen werden soll.
(Transgender = Menschen, die sich mit dem anderen
als ihrem eigenen körperlichen Geschlecht identifizieren, oder die eine
Geschlechtsrolle ausfüllen, die von den ihnen von der Gesellschaft
zugewiesenen Geschlechtsrollen abweicht.)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.12.2023