Die ▪
Kurzgeschichte
▪
»Denk
immer an heut Nachmittag« wurde von
▪
Gabriele
Wohmann verfasst. Sie erschien in Darmstadt in ihrem Buch
»Ländliches Fest«. Sie schildert darin, wie wichtig jeder Einzelne für
den Zusammenhalt einer Familie sein kann.
Die Geschichte handelt von einem Vater, der seinen Sohn nach dem Tod der
Mutter in ein Internat bringt. Er versucht, ihm während der Fahrt von
Gratte nach Laurich, wo sich das Schulheim befindet, all die schönen
Dinge zu zeigen und "schmackhaft" zu machen. Der Junge hingegen
ist traurig, ihm ist zum Heulen zu mute und er sieht bzw. möchte nur die
negativen Dinge sehen.
Gabriele Wohmann beginnt die Geschichte mit den Worten »"Eine halbe
Stunde Fahrt auf der Hinterplattform", sagte der Vater, "wieder
was Schönes zum Drandenken." (Z 1f.) Schon zum Beginn der Geschichte
versucht der Vater, seinem Sohn alles zu verschönern. Ein zwar etwas
sonderbares Verhalten nach dem Tod der Partnerin, aber schon in diesen
beiden Sätzen klingt an, wie der Vater versucht mit dieser neuen
Situation fertig zu werden. Er überspielt seine Gefühle und entzieht
sich mit der Entscheidung, den Jungen in ein Internat zu bringen,
jeglicher Verantwortung. Er weiß, wie schwer es sein Sohn in dieser Zeit
hat, möchte ihm auch helfen, findet aber keinen Weg, Er selbst ist von
diesem Schicksal getroffen und findet nicht die Kraft, auch noch die
Trauer seines Kindes auf sich zu nehmen. Das Schulheim scheint ihm hier
die beste Lösung, damit der Vater selbst erst einmal mit dem Verlust
fertig werden kann. Um es dem Jungen so angenehm und leicht wie nur
möglich zu machen, versucht er, obwohl er es selbst besser weiß, alles
positiv darzustellen: die Stadt, den Wald von Laurich, ja selbst ein
Junge, der ihnen die Zunge herausstreckt, wird vom Vater als scheinbar
zukünftiger Freund angepriesen. »"Siehst du, jetzt streckt er dir
die Zunge raus! Vielleicht ist es sogar ein Lauricher, ein zukünftiger
Kamerad. Dann würdest du schon einen kennen!"« (Z 44f.).
Ganz im Gegensatz zum Vater steht dessen Sohn. Er ist die meiste Zeit
über schweigsam und lebt lediglich in Gedanken. Die Kurzgeschichte, die
im Präteritum geschrieben ist, besteht zum größten Teil aus wörtlicher
Rede, wobei der Vater versucht, mit dem Jungen ein Gespräch zu führen,
es aber doch mehr in einen Monolog ausartet.
Der Junge sieht während der Fahrt alles negativ. Die vom Vater so
schöngeheißene Stadt Gratte erscheint für ihn als ein schwarzer Pickel.
Oft verschwimmen die Bilder hinter einem grauen Tränenmantel und lassen
ihm dadurch die Möglichkeit, so Abstand zur Realität zu gewinnen. Der
Junge hat kein Verständnis für die Reaktion des Vaters. Er hört ihn
reden, möchte es aber nicht aus seinen eigenen Augen so sehen wie der
Vater. Der Junge begegnet seinem Vater mit heimlichem Unverständnis, der
Vater weiß, wie es seinem Sohn geht, findet jedoch nicht den richtigen
Weg, um ihm zu helfen. Jeder versucht selbst und für sich allein, mit der
Situation fertig zu werden, und doch suchen beide den Halt aneinander. Der
Vater merkt, dass er nicht den richtigen Weg findet und möchte wenigstens
noch einen letzten schönen Tag mit seinem Sohn verbringen. Dieser
hingegen versucht, Halt an der Messingstange oder an der Hand des Vaters
zu finden. wobei die Wollhandschuhe jedes Mal eine Barriere bilden, die
ihm den Halt verwehren. (Er rutscht ab und er möchte sie, als er die
Wärme, die vom Vater ausgeht, spürt, am liebsten ausziehen.) Ein
weiterer, scheinbarer Halt des Jungen sind seine Tränen. Sie verschleiern
alles und geben ihm so die Möglichkeit, Abstand zur Realität zu
gewinnen. So kommen sie schließlich zum Fußballplatz beim Schulheim, wo
der Junge seine Fantasie abschweifen lässt und sich mit dem Ball
identifiziert. Er möchte davon fliegen, weit weg in den Himmel, und nicht
mehr zurückkommen. Durch die Worte seines Vaters, die dessen Verzweiflung
noch mehr verdeutlichen »"Behalte all das in Erinnerung", sagte
der Vater. "All das Schöne und Liebe, das deine Mutter und ich dir
zu geben versucht haben. Und wenn's mal trübe aussehen sollte, denk zum
Beispiel an heut Nachtmittag. Das war doch ein richtig lustiger
Ausflug."« (Z 71-73) wird er wieder in die Realität
zurückgeworfen.
Es gleicht einem Abschied für immer, der Vater ist wohl der Überzeugung,
nun ohne Frau auch noch seinen Sohn verloren zu haben. Für ihn scheint
nun alles zu Ende. Gleichzeitig hört der Junge endgültig auf zu weinen,
er hat nun nicht mehr die Möglichkeit, sich hinter seinem Tränenschleier
zu verstecken, und kann zum ersten Mal klar denken. Nun erkennt er, dass
nicht nur er von diesem Schicksal betroffen ist, sondern dass auch sein
Vater mit dieser Situation zu kämpfen hat, und er scheint, seine neue
Lage zu akzeptieren.
Ich denke, dass in dieser Geschichte die Entscheidung des Vaters richtig
ist. Er sollte erst mit sich selbst ins Reine kommen, bevor er seinem Sohn
die Last abnehmen bzw. ihm helfen kann, sie abzubauen. Dadurch dass die
Bindung der beiden nicht so eng ist und gewesen zu sein scheint, ist es
ein noch schwereres Schicksal, das beide zu tragen haben. Die Mutter war
wohl, zu Lebzeiten, die Stütze für beide gewesen, die Person, die die
Familie zusammengehalten hat. Nun sind Vater und Sohn auf sich allein
gestellt und müssen erst noch die Beziehung zueinander neu aufbauen.
Julia H., 11.Kl., leicht verändert; die
Textbelege mit ihren Zeilenangaben beziehen sich auf eine bestimmte, hier
nicht verfügbare Printversion des Originaltextes)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.01.2025