Peter-André
Alt (2000, Bd.2, S.499f.) hält daran fest, dass die politische
Tragödie, die in Schillers Drama Maria Stuart gestaltet werde, durch
"die subjektiven Spiele der Leidenschaft" und die privaten Beweggründe
für das Handeln der Akteure grundsätzlich nicht in den Hintergrund
gedrängt werde, sonder stattdessen als "objektive Folgen für den Staat
(...) das Zentrum der Tragödien (bilden). Daran ändere sich auch dadurch
nichts, dass
»Bertolt
Brecht Brecht (1898-1956) 1939 im Rahmen seiner Übungsstücke für Schauspieler
die Begegnung der Königinnen als »Streit zweier Fischweiber inszenierte.
Gegen eine Auffassung,
das Streitgespräch der beiden Königinnen bei ihrer Begegnung (▪
III,4) als Fischweibgezänk abzutun, verwehrt sich u. a. auch
Oeltjenbruns (1997, S.41) mit weiteren Argumenten. Ihrer Auffassung
nach läuft das Gespräch von Maria Stuart und Elisabeth wie jedes
Gespräch auf unterschiedlichen Ebenen ab. So sprechen Maria und
Elisabeth, "gleichzeitig als Herrscherin, als Mensch, als Frau, als
Verwandte, als Bittstellerin, als Vertreterin von Interessengruppen usw.
Innerhalb jeder Kommunikation werden die sozialen Rollen der einzelnen
Sprecher ausgehandelt und gerade in diesem Fall geht es ums Ganze. Die
Frauen kämpfen verbal um den Liebhaber Leicester, um die eigene
Identität, um ihre Würde als Mensch, um ihren Thron - letztlich um Leben
und Tod." Daher sei der Ausdruck "Fischweibergezänk", so resümiert die
Autorin "völlig unzutreffend und polemisch." Aber auch andere
Interpreten haben immer wieder betont, dass die Auseinandersetzung der
beiden Königinnen vorrangig um die •
Herrschaftslegitimation und Herrschaftspraxis gehe. (vgl.
Geist 1996)
Für
Alt (2000, Bd.2, S.499f.) "(...) gewinnt die Dominanz der Politik, die Schillers Tragödie
diagnostiziert, (fatale Züge), weil deren Geschicke von einer Person allein abhängen.
Auch wenn die Souveränität Elisabeths im Drama bereits anders als in der
historisch gegebenen Situation durch Prozesse öffentlicher Meinungsbildung
eingeschränkt scheint, liegt die faktisch und juristisch ungeteilte
Herrschaft fraglos bei der Regentin. Dass sie ihr Amt im entscheidenden
Moment prinzipienlos ausübt, erkennt man an der Unentschlossenheit, die sie
bei der internen Erörterung über das geeignete Vorgehen gegen ihre Rivalin
demonstriert. Der Vollstreckung des Urteils möchte sie zuvorkommen, indem
sie Mortimer zum Mord an Maria zu dingen sucht; später kann sie weder dem
»Falken« Burleigh noch dem gemäßigten Shrewsbury folgen und überlässt mit
ihrem zweideutigen »Tut, was Eures Amts ist« dem unglücklichen Davison die
Entscheidung über die Umsetzung des von den 42 Richtern gefällten
Todesurteils.[...}"
Aber wie Elisabeth, ist
auch Maria, wenn auch nicht so offensichtlich, nach Ansicht Alts an
"machttechnische Handlungsmuster gefesselt". Sie werde ja nicht deshalb
angeklagt, weil sie in jungen Jahren den Mord an ihrem Gatten
»Henry
Stuart, Lord Darnley (1546-1567) (15.03.1567)
angestiftet habe, sondern weil sie in Verdacht stehe, Umsturzpläne zur
Beseitigung Elisabeths als Königin geschmiedet zu haben.
"Es
bleibt völlig außer Zweifel, dass der
Prozess gegen Maria eine allein
politische Dimension [...] besitzt. Bezeichnend ist, dass sie die Rolle
der Usurpatorin, die ihr die Anklage aufzuzwingen scheint, bereitwillig
annimmt. Burleigh gegenüber räumt sie ein, sie habe das Ziel der
Vereinigung Schottlands und Englands »unterm Schatten / Des Ölbaums« (V.
830f.) angestrebt. Die friedvolle Gründung einer britischen Union
schließt für Maria die Vertreibung ihrer Rivalin und die Erfüllung der
eigenen Thronrechte ein. Hinter der Versöhnungsvision steht der
dynastische Anspruch – der Diskurs über die Macht." (ebd.)
Dass Maria von solchen
strategischen Überlegungen bestimmt sei, bezeuge auch "die sachkundige
Rede, mit der sie dem Großschatzmeister die fragwürdigen Seiten des
gegen sie angestrengten Gerichtsverfahrens vorhält. [...] Dass Maria im
vollen Bewusstsein ihrer geschichtlichen Rolle, nicht aber als
Privatperson argumentiert, erkennt man auch an der Vehemenz, mit der sie
die Unabhängigkeit der über sie zu Gericht sitzenden Lords in Zweifel
zieht. (ebd.)
So steht für
Alt (2000, Bd.2, S.499f.) fest, dass Maria "selbst dort, wo sich Maria
auf die Rolle der Bittstellerin beschränkt sieht,(...) als Anwalt
politischer Interessen (agiert) »Ihr habt an mit gehandelt, wie nicht
recht ist, / Denn ich bin eine Königin wie Ihr.« (V. 2295f.). Und:
"Auch wenn Maria am
Schluss den Part der entsagenden Märtyrerin übernimmt, gibt sie ihren
früheren politischen Anspruch nicht preis. [...] Wo immer Maria sich und
ihr Handeln selbst auslegt, geschieht dies im Rollenmodell der
Herrscherin. [...]"
Alts Fazit: "Bleibt
Maria die aus politischen Gründen Internierte, so ist Elisabeth die
Gefangene ihres Amtes." (ebd.,
S.501)
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Figurengestaltung in dramatischen Texten
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Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren
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Figurencharakterisierung
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Techniken
der Figurencharakterisierung in dramatischen Texten
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Auktoriale Techniken
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Figurale
Techniken
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Literarische Charakteristik
Literarische
Charakteristik dramatischer Figuren
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023