Maria Stuart gewinnt am Ende im Gegensatz zu männlichen Helden in
Schillers Dramen ihre über den Leidenschaften stehende Souveränität "ohne
letzte psychologische Plausibilität als jene schöne Seele, die das »heldenmüthigste
Opfer, das sie dem Naturtriebe abgewinnt« so zwanglos auf sich nimmt, dass
es »wie eine freiwillige Wirkung eben dieses Triebes« (NA 20, 287)
erscheint." (Alt
2000, Bd.2, S.507).
Ob damit in Form einer Synthese der prinzipielle
Antagonismus zwischen Trieb und Vernunft überwunden ist, ist in der
Literaturwissenschaft strittig.
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Ob sich die Figur der
Maria Stuart zu einer Tragödienheldin eignet, hängt vor allem davon ab,
wie man „die Frage nach dem Konflikt zwischen Leidenschaft und
moralischer Selbstdisziplin“ (Alt
2000, Bd. 2, S.505), die schon Schiller selbst für einen ihrer
grundlegenden Charakterdispositionen gesehen hat, beantwortet.
Noch in der
Auseinandersetzung mit Mortimer, aber vor allem in der Art der
Auseinandersetzung, die sie mit Elisabeth bei ihrer Begegnung führt
(III,4), zeigt sie sich ganz von ihrer leidenschaftlichen Seite. Am Ende
allerdings gewinnt sie, nach dem Umschwung, den Leicesters Intrige gegen
Mortimer (IV,4) bewirkt, "jedoch jene Kontrolle über ihre Leidenschaft,
die sie im Schlussakt zur gefassten Heldin von, wie man gern betont hat,
erhabenen Würde zu bestimmen scheint.“ (ebd.)
Diese Wandlung Maria
Stuarts vollzieht sich nach Auffassung von Peter-André Alt
(2000, Bd. 2, S.506) als "Gestus des Verzichts im Horizont der
Märtyrertradition, deren Requisiten den Inszenierungsrahmen des
Schlussaktes füllen. Erinnert die sinnlich empfindende Maria, die sich
von Mortimers Italienbericht stimulieren lässt, an die Femme fatale
der Vergangenheit, so zeigt die gelassen ihren Tod erwartende Königin
des Schlussaktes eine überraschend abgeklärte Haltung. Zwischen beiden
Motivbereichen herrscht keine Verbindung, weil hier nicht die fiktive
psychische Einheit des dramatischen Individuums, sondern dessen Funktion
innerhalb der tragischen Wirkungsökonomie von Bedeutung zu sein scheint.
Auch deshalb verzichtet Schiller auf die Ausarbeitung eines Monologs,
der Marias Wandlung näher aus den Umständen und der Reflexion der Figur
hätte begründen können".
Dabei biete Maria keinen Modellfall für erhabenen Widerstand gegen ihre
äußere Zwangslage, sondern gewinne "ihre Würde erst unter den
Bedingungen des Leidens. Der Erprobungsfall des ethischen Prinzips ist
die individuelle Krisensituation, in der sich Maria jedoch nicht als
erhabener Charakter im Kampf mit den Widrigkeiten des Lebens, sondern
als schöne Seele profiliert." (ebd.
S. 507)
Außerdem weise die
große Geste, mit der sich Maria am Ende des Dramas in ihr Schicksal füge
"auf die Qualität der Anmut, wie sie Schillers Essay von 1793 mit recht
konventioneller Argumentationslogik (und ohne Sinn für die Bedeutung
sozialer Rollenklischees) als Merkmal des weiblichen Charakters
hervorgehoben hat. Zu seinen Attributen gehört gerade nicht die Würde
des erhabenen Widerstandsgeistes, sondern die in der individuellen
Lebensäußerung wirksame Intuition [...]. (ebd.)
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Einen dramatischen Text
analysieren und interpretieren
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Literarische Charakteristik
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Literarische
Charakteristik dramatischer Figuren
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Baustein: Charaktereigenschaften Maria
Stuarts begründen und am Text belegen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023