docx-Download –
pdf-Download
▪
Textgrafik
In
der Forschungsliteratur zur Szene
II,5 spielt die "Schale/Kern"-Metapher,
die
Nathan in seinem kurzen
monologischen
Beiseite-Sprechen (a parte) zur Charakterisierung des
Tempelherrn
zu Beginn der Szene verwendet ("Die
Schale kann nur bitter sein: der Kern/ Ist's sicher nicht."
II,5 V 1197f.) eine herausragende Rolle, die, weil sie "so verführerisch
einleuchtend formuliert" (Nielaba
2000, S.44) ist.
Der gemeinsame Deutungsrahmen fußt dabei nach Ansicht
Nielabas
(ebd.) auf folgender Betrachtung: "Der Templer, 'abgehärtet' im groben
Geschäft des Berufskriegers, gibt sich trotzig ablehnend, ist als Fremder
gegen Fremde zusätzlich misstrauisch, dazu in seiner Weltanschauung durch
grundlegende religiöse Vorurteile geprägt. Nathan jedoch, weise auch als
Menschenkenner, 'durchschaut' dieses unnahbare 'Äußere' und ahnt, nicht
zuletzt dank seiner Kenntnis des Evidenzbeweises, der vollzogenen guten Tat
[gemeint ist die Rettungstat des Tempelherrn, d. Verf.], das zugängliche und
konsensfähige 'Innere' des Templers, das er im folgenden behutsam aus seiner
verfälschen 'Hülle' befreit." (vgl. auch die Einwände Nielabas gegen diesen
gemeinsamen Nenner der Forschungsliteratur, S. 45ff.)
Die
kommunikationstheoretische Sicht auf das Gespräch
Die
erste
Begegnung Nathans mit dem Tempelherrn II,5 verläuft unter
kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten in drei Phasen ab. Am Anfang
steht die Klärung der Beziehung zwischen den beiden
Gesprächspartnern, in die beide schon ein gewisses Vorwissen voneinander
einbringen können.
Der Verlauf dieser Klärung wird hier mit
folgender ▪
Textgrafik
(Schaubild, Strukturbild)
visualisiert.
Die Beziehung der beiden Gesprächsteilnehmer ist vor Beginn und zu
Beginn des Gesprächs vom Vorwissen voneinander und den unterschiedlichen
Merkmalen ihrer persönlichen und sozialen Lage geprägt. Beides lässt
zunächst für den Verlauf des Gesprächs nichts Positives erwarten.
Im ersten Teil des Gesprächs versucht der Tempelherr die Kommunikation zu
dominieren und seiner schon andernorts gegenüber Daja bekundeten
Ablehnung einer Dankesgeste Nachdruck zu verleihen.
So gelingt es dem Tempelherrn zunächst, die Kommunikation
komplementär
zu gestalten: Seine Gesprächsanteile überwiegen und sein ungeduldig
und unbeherrscht wirkendes Unterbrechungsverhalten im Gespräch
unterstreicht seine Absichten. Dabei wird dieser
Gesprächsverlauf vordergründig durch Nathans nachsichtige, sehr
zurückhaltende Worte zunächst gestützt. Die Beziehungsdefinition des
Tempelherrn gegenüber Nathan ist von antisemitischem Hochmut geprägt.
Dies zeigt sich in der Anrede, bei der er zunächst die herabsetzend
wirkende Kollektivanrede
"Jud"
verwendet und seiner beleidigenden Formulierung, Tempelherren müssten
sich für andere einsetzen "wenn's auch nur ... eine Jüdin
wäre".
Da Nathan wegen des Brandmals betroffen ist und seine Gefühle "echt" (authentisch)
wirken, kann auch der
Tempelherr "echte" Gefühle zeigen, die ihn zu einer
Neudefinition der Beziehung zu Nathan veranlassen. Diese wird markiert
durch den
Wechsel zur Anrede
Nathans
mit seinem Namen. Im nachfolgenden Gespräch - durch die nun auf beide
Dialogpartner gleichermaßen verteilten Gesprächsanteile ausgedrückt -
verläuft die Kommunikation zwischen Nathan und dem Tempelherrn also
symmetrisch, d.h. sie basiert auf der von beiden akzeptierten
Gleichberechtigung des Gegenübers. Die Beharrlichkeit, aber auch
emotionale Offenheit, mit der Nathan, ohne verärgert von dannen zu
ziehen, die geringen Chancen für ein gutes Ende der Begegnung nutzt,
lässt Raum für die situationsangemessene Klärung der
Beziehung. Diese - und dies führt dieser Dialog beispielhaft vor - ist
die Voraussetzung für die erfolgreiche Kommunikation.
docx-Download –
pdf-Download
▪
Textgrafik
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023
|