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Gotthold
Ephraim Lessing (1729-1781) hatte ein überwiegend positives
Verhältnis zum Islam, den er als "natürliche" Offenbarungsreligion nicht
zuletzt wegen seiner Toleranz gegenüber anderen Religionen wertschätzte.
Dabei geht diese Wertschätzung des Islam und insbesondere auch des
Sultans Saladin auf seine Beschäftigung mit den Quellen zur Geschichte
des Islam zurück. So übersetzte Lessing 1751 die historischen Essays von
Voltaire (1694-1778), darunter »Von dem Korane und dem Mahomed« und
»Geschichte der Kreuzzüge«. 1753 übersetzte er Marignys Histoire de
Arabes. Im Anschluss daran beschäftigte er sich noch mit anderen Werken
über Saladin und die Geschichte des 3. Kreuzzuges, darunter die 1761 von
E. G. Küster übersetzte Historie
de Saladin (1758) von
Francois Louis Claude Marin (1721 - 1809), aus, aus
der wohl die meisten historischen Details stammen, die in den "Nathan"
eingegangen sind. (vgl.
Nisbet
2008, S.785)
Nach diesen unglücklichen Feldzügen [während des 2.
Kreuzzuges 1147-49] waren die Christen in Asien weit mehr unter einander
uneins, als jemals. Eben diese Wuth herrschte unter den Muselmännern.
Der Vorwand der Religion hatte weiter keinen Antheil an den politischen
Angelegenheiten. [. . .]
Mitten unter diesen Unruhen kam der große Saladin, ein Neffe des
Noradins, Sultans von Aleppo, zum Vorschein; er eroberte Syrien,
Arabien, Persien und Mesopotamien. Ein Tempelherr, Namens Melieu,
verließ seinen Orden und seine Religion, um unter diesem Bezwinger zu
dienen, und trug viel bey, ihm Armenien zu unterwerfen. Saladin, Herr so
vieler Länder, wollte mitten unter seinen Staaten das Königreich
Jerusalem nicht lassen. Heftig gegen einander erbitterte Parteyen
zerfleischten diesen kleinen Staat, und beförderten seinen Untergang.
Gvido von Lusignan, gekrönter König, dem man aber die Krone streitig
machte, versammlete in Galiläa alle die getrennten Christen, die die
Gefahr vereinigte, und marschirte gegen den Saladin. Der Bischof von
Ptolemais, der seine Kappe über dem Küraß trug, und zwischen seinen
Händen ein Kreuz hielt, munterte die Truppen auf, auf demjenigen
Gebiethe, wo ihr Gott so viele Wunder gethan hätte, tapfer zu fechten,
nichts desto weniger wurden alle Christen entweder getödtet oder
gefangen. [. . .] Da er vor den Thoren Jerusalems, das sich nicht weiter
wehren konnte, ankam, stund Saladin der Gemahlinn des Lusignans, wegen
Übergabe der Stadt, einen Vergleich zu, dergleichen sie nicht hoffte. Er
erlaubte ihr, sich hinzuwenden, wo sie hin wollte. (1187) Er verlangte
von den Griechen, die in der Stadt blieben, keine Ranzion, und von den
Lateinern nahm er nur eine geringe. Als er seinen Einzug in Jerusalem
hielt, warfen sich eine Menge Weibespersonen zu seinen Füßen, deren
einige um ihre Männer, andere um ihre Kinder, noch andere um ihre Väter
baten, die er gefangen hielt. Er gab sie ihnen insgesammt mit einer
Großmuth, die in diesem Theile der Welt noch kein Exempel hatte, wieder.
Saladin ließ durch die Hände der Christen selbst die Moschee, die in
eine Kirche war verwandelt worden, mit Rosenwasser waschen. Er ließ 1187
einen prächtigen Lehrstuhl darinnen aufrichten, daran sein Oheim Noradin,
Sultan von Aleppo, selbst gearbeitet hatte und über die Thür ließ er
diese Worte graben: ›Der König Saladin, der Knecht Gottes, setzte diese
Überschrift, als Gott durch seine Hände Jerusalem eingenommen hatte.‹
Aber ungeachtet seines Eifers für seine Religion, gab er doch den
morgenländischen Christen die Kirche des heiligen Grabes wieder. Wenn
man dieses Bezeigen mit der Christen ihrem, als sie Jerusalem einnahmen,
in Vergleichung zieht, sieht man leider! wer die Barbaren seyn. Man muß
noch hinzu fügen, daß Saladin, nach Verlauf eines Jahres, dem Gvido von
Lusignan die Freyheit wieder gab, nachdem er einen Eid von ihm genommen
hatte, daß er niemals die Waffen wider seinen Befreyer tragen wollte.
Lusignan hielt sein Wort nicht. [. . .]
Indessen hatten die Christen in Asien nichts mehr, als Antiochia,
Tripoli, Joppe und die Stadt Tyr, die ehemalige Beherrscherinn der
Meere, damals aber schlechte Zuflucht der Überwundenen. Saladin besaß
alles das übrige, theils für sich, theils durch seinen Eidam den Sultan
zu Ikonium oder Cogni, der das Land, das wir heut zu Tage Karamanien
nennen, beherrschete. Durch das Gerüchte von den Siegen des Saladins,
wurde ganz Europa beunruhigt. Der Pabst Clemens der dritte erregte
Frankreich, England und Deutschland. [. . .] Kleinasien war ein Abgrund,
worein sich Europa gestürzet hatte. Nicht allein diese unbeschreibliche
Armee des Kaisers Friedrichs war verloren, sondern die englischen,
französischen, italiänischen und deutschen Flotten, die noch vor der
Ankunft Philipp Augusts und Richards, genannt Löwenherz, anlangten,
hatten neue Kreuzfahrer und neue Schlachtopfer herbeygebracht. Endlich
kamen die Könige von Frankreich und England in Syrien vor Ptolemais, das
man Akre nennt, an. Fast alle Christen im Oriente hatten sich versammlet,
diese Stadt, die man als den Schlüssel des Landes ansahe, zu belagern.
Saladin war in der Gegend des Euphrats in einen innerlichen Krieg
verwickelt. Nachdem die beyden Könige ihre Macht mit der orientalischen
Christen ihrer vereiniget hatten, zählte man über dreymal hundert
tausend Soldaten. Ptolemais wurde zwar wirklich erobert (1190), allein
die Uneinigkeit, die nothwendig zween Prinzen, wie Philippus und
Richard, die nach gleichen Ehren und Vortheilen mit gleichem Eifer
trachteten, trennen mußte, richtete größern Schaden an, als diese
dreymal hundert tausend Mann glückliche Thaten verrichteten. Philippus,
dieser Trennungen müde, noch mehr aber über die Überlegenheit und über
das zu sehr überhand nehmende Ansehen, welches Richard sein Lehnsmann,
in allem hatte, verdrüßlich, kehrte in sein Vaterland zurück, welches er
vielleicht gar nicht hätte verlassen, itzt aber wenigstens mit mehrerm
Ruhm hätte wiedersehen sollen. Richard, der nun Herr von dem Felde der
Ehren, nicht aber von dieser Menge der Kreuzfahrer war, die unter
einander noch weniger, als die beyden Könige, eins waren, ließ vergebens
die heldenmäßigste Tapferkeit sehen. Saladin, der siegreich aus
Mesopotamien zurück kam, lieferte den Kreuzfahrern eine Schlacht bey
Cäsarea. Man sahe diesen Bezwinger an der Spitze seiner Mahometaner und
den Richard an der Christen ihrer, einer gegen den andern, als zween
Ritter auf dem Turnierplatze, fechten. Richard hatte die Ehre, den
Saladin aus dem Sattel zu heben; und das war fast alles, was er in
dieser merkwürdigen Schlacht gewann. Die Strapatzen, die Krankheiten,
die kleinen Schlachten, die beständigen Zänkereyen rieben diese große
Armee auf, und Richard kehrte zwar mit mehrerem Ruhm, als Philipp
August, aber auch auf eine weit unbehutsamere Art zurück. [. . .] Dieser
berühmte Muselmann [Saladin], der mit dem Richard einen Tractat gemacht
hatte, vermöge dessen er den Christen die Seeküste von Tyr bis nach
Joppe überließ, und das übrige alles für sich behielt, hielt sein Wort,
davon er ein Sklave war, redlich. Er starb (1195) funfzehn Jahre darnach
zu Damasco, von den Christen selbst bewundert. Er hatte in seiner
letzten Krankheit, statt der Fahne, die man vor seine Thüre zu pflanzen
pflegte, das Tuch, darinnen man ihn begraben sollte, bringen lassen.
Der, welcher die Todesfahne hielt, rufte mit lauter Stimme aus: ›das ist
alles, was Saladin, der Bezwinger des Orients, von seinen Siegen davon
trägt.‹ Man sagt, er habe in seinem Testamente verordnet, gleichgroße
Summen unter die armen Mahometaner, Juden und Christen, als Allmosen,
auszutheilen, durch welche Verordnungen er habe zu verstehen geben
wollen, daß alle Menschen Brüder wären, und man, um ihnen beyzustehen,
sich nicht darnach, was sie glaubten, sondern, was sie auszustehen
hätten, erkundigen müßte. Er hatte auch niemals um der Religion willen
jemand verfolget; er war zugleich ein Bezwinger, ein Mensch, und ein
Philosoph.
(aus: Voltaire, Geschichte der Kreuzzüge, Lessings Übersetzungen aus dem
Französischen, zit.n. Erläuterungen und Dokumente. Nathan der Weise,
hg.v. Peter von Düffel, Stuttgart: reclam 1985, S.78-81)
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