▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
Für ein einfachstes Verständnis ist es ein
Vergängnis-Sonett, gerichtet an
eine verehrte Frau [...]. Einem höheren Verständnis ist es ein galantes
Sonett. Und für den eingeweihten Zunftgenossen, überhaupt für Hochgebildete
ist es schließlich ein "Scherz-Sonett", das den ganzen galanten Stil auf
leichte Weise ironisiert [...]. Der Diamant wechselt sein Licht je nach der
Auffassung. Er bezeichnet zuerst wirklich das Unverwesliche,
sogar jeder Befleckung Widerstehende (so der Diamant): du stirbst - deine
Seele überlebt und deine "Werke folgen dir nach"; dann wird nur die Kraft
und Güte deines Herzens vor Gott zählen - und in diesem Sinne ist das
Gedicht seit je von vielen Lesern aufgefasst worden. In der zweiten
Verstehensweise ist der Diamant ein sehr geläufiges Bild des galanten
Sprechens - ein Herz wie ein Stein, wie ein Diamant - und bezeichnet die
Unzugänglichkeit, die spröde diamantene Härte des umworbenen Herzens. Der
Dichter scheint zu sagen: Bekehre dich, und sagt: Liebe
mich. Das ist nicht frivol. Die vanitas ist eine so feste, gewohnte Größe,
dass man mit ihr auch in einem solchen Zusammenhang spielen darf. - Nach der
dritten Auffassungsweise ist der Diamant nur der gut sitzende
Schlusswitz eines federleichten Scherz-Sonetts, das sich schließlich in
Selbstironie aufhebt. Was von dir übrig bleiben wird, verehrte Schönheit,
von allen deinen Herrlichkeiten von Kopf bis Fuß, das ist - nicht die
unsterbliche Seele, die darin wohnt - das ist ein trauriger Stein in
Herzform aus dem sprödesten Material. Hier streckt selbst die Allherrscherin
Verwesung die Waffen. [...] Der souveräne Dichter macht der verwöhnten
Schönen sein Kompliment mit der bekannten erotischen Aufzählung und
Liebesbitte, aber er macht es so, wie man es verblendeten Schönen machen
sollte. so nämlich, dass sie es gar nicht merkt, wie er sich über sie und
den ganzen schmuckschweren Stil, den sie gerade hört, lustig macht. Er redet
sie mit einer Übertreibung an, die etwas von der Parodie hat.
(aus: Stöcklein, Paul (1956): Hofmannswaldau und Goethe: "Vergänglichkeit"
im Liebesgedicht, in:
Hirschenauer/Weber (Hg.)1956, S.77-98, h: S.82)
▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung