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Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
In den nachfolgenden Auszügen aus verschiedenen Interpretationen des
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Sonetts
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Vergänglichkeit
der Schönheit« von
Christian Hofmann von Hofmannswaldau können zur vertieften Betrachtung
des Textes und seiner Einordnung in der
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Literaturepoche des
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Barock herangezogen werden:
Paul Stöcklein (1956)
Niemand, der Hofmannswaldau kennt und den Ton dieses Sonetts unbefangen
versteht, wird daran zweifeln, dass es auch eine ernste Sinnlinie in diesem
Sonett gibt. Und das Doppelspiel wird nur derjenige als zynisch empfinden,
der es eben nicht als Spiel versteht,
Spiel einer virtuosen Doppelrolle,
gewissermaßen einer barocken Umkleidungs- und Verkleidungsrolle. Und welche
barocke Rolle wäre nicht aus Sein und Schein gedoppelt" (Alewyn) Dabei sind
also die beiden Grundgrößen Gestalten des gottgeschaffenen theatrum mundi.
Die verblüffende Schlusspointe hebt schließlich [...] das Verkleidungsspiel
mit einer bewusst aus der Rolle fallenden, alles wegwischenden Gebärde auf:
Das Spiel ist aus. - So enden die meisten erotischen Gedichte
Hofmannswaldaus. (aus: Stöcklein, Paul (1956):
Hofmannswaldau und Goethe: "Vergänglichkeit" im Liebesgedicht, in:
Hirschenauer/Weber (Hg.)1956, S.77-98, h: S.80)
Norbert Berger u.a. (1986)
"Zunächst scheint [...] ein kühler Moralist von der Hinfälligkeit und
Eitelkeit alles Irdischen zu predigen, während in der 11. Zeile wohl ein
Gefühl der Genugtuung darüber aufblitzt, dass es eine Zeit geben wird, in
der niemand mehr die umworbene Schöne umschwärmen wird. Die Schöne hat ein
Herz, das aus Diamant gemacht ist, womit ein weniger unvergängliches
als vielmehr ein unzugängliches Herz gemeint zu sein scheint.
Der Prediger wird somit
fast unglaubwürdig, unernsthaft in seinen
Ermahnungen, die u. U. nur dem Ziel dienen, aus der Sicht des Verehrers
schöner Weiblichkeit ihre Unzugänglichkeit zu kritisieren."
(Norbert
Berger u.a. 1986, S.81)
Christian Wagenknecht (1982)
"In derlei 'Galanten Gedichten' wirbt allemal ein Liebender um die Gunst der
Geliebten. Sie soll ihr Herz erweichen und den Tag genießen. Aber während
sich der Liebhaber zumeist auf nur auf den Widerspruch beruft, in dem die
Göttlichkeit der Schönen zu ihrer Grausamkeit steht, macht er sich in
Hofmannnswaldaus Sonett das ungleich stärkere Argument zunutze, das in der
Vergänglichkeit der Schönheit gelegen ist. Auch diese
Verknüpfung beider
Devisen, des Memento mori und des Carpe diem, bildet einen Topos der
barocken Liebespoesie. [...] Nur darum soll sich die Schöne der
Hinfälligkeit ihrer Reize vergewissern, um daraus die Lehre zu ziehen, dass
ihr nichts als der Genuss der Jugend bleibt. Lass statt des Knochenmanns, so
lautet die sinnreich verkleidete Botschaft, lieber mich um deine Brüste
streichen."
(Christian
Wagenknecht 1982, zit. n.:
van Rinsum 1986, S.100)
Bernhard Sorg (1984)
"Hofmannswaldaus intelligente Artistik brilliert in der Schlusszeile:
Dieweil es die natur aus diamant gemacht. Mehrere Pointen folgen hier
aufeinander [...]. Zunächst ist der Vergleich von Herz und Diamant
schmeichelhaft: der wertvollste Edelstein verbunden mit dem Sitz von Gefühl
und Zuneigung. Aber der Diamant ist nicht nur der kostbarste, sondern auch
der härteste aller Steine. Alles löst sich auf, Fleisch und Gebein, nur das
harte Herz überdauert Leben und Tod, Werbung und Begehren. Die
beschworene
Vergänglichkeit der Schönheit, all die Nichtigkeitsbilder, lassen sich jetzt
vom Ende her zweideutig lesen: sie zielen nicht auf die Abkehr vom
Irdischen, im Gegenteil akzentuieren sie ein unmissverständliches erotisches
carpe diem.
Das Gedicht enthüllt sich als kunstvolle Werbung, es will
überreden, das Mädchen von der Unsinnigkeit spröden Widerstrebens
überzeugen. [...] Damit gewinnt das Sonett eine zuvor nicht erkennbare
persönliche Dimension; die Konfrontation von Ich und Du kann nicht reduziert
werden auf eine unpersönliche Situation abstrakter Lehre, in der jedes
beliebige Du die Rolle der Hörenden spielen könnte. Ein Liebender redet
stattdessen zur Geliebten, Begehrten. [...] Die vorgebliche Unpersönlichkeit
wird in der Schlusszeile zwar witzig gewendet und entlarvt sich als
erotische Nähe, aber die dritte Ebene des Sonetts erheischt dann wieder eine
scharfe Distanzierung von allen Entwürfen späterer Epochen. Das Ineinander
von Lehre und Werbung, Konkretion und Abstraktion, Gefühl und Witz zielt
endlich doch auf Barocklyrik: die Exemplarizität, das Beispielhafte und
Allgemeingültige."
(Bernhard
Sorg 1984, zit.n.:
van Rinsum 1986, S.101)
Christian Wagenknecht (1982)
"Das Ich des Gedichts hat so wenig wie das Du eine historische, beide haben
nur eine exemplarische Existenz. Immerhin wird man sich den Sprecher als
einen Mann, und wohl als einen jungen, vorzustellen haben, der einer
gleichfalls jungen Frau die Vergänglichkeit ihrer Schönheit vor Augen zu
stellen sucht."
(Christian
Wagenknecht 1982, zit. n.:
van Rinsum 1986, S.99)
Volker Meid (31989):
"Trotz einer Anzahl von geistlichen Liedern, Begräbnisgedichten und
lyrischen Diskursen herrscht bei Hoffmannswaldau das Thema der sinnlichen
Liebe vor, zeigt er, »was die Liebe vor ungeheure Spiele in der Welt
anrichte«, feiert er mit religiöser Bildersprache den sinnlichen Genuss. Die
Motive und Situationen sind dabei recht beschränkt. Im Hintergrund steht die
petrarkistische Tradition, deren Grundvorstellungen, Motive und Bilder in
einem virtuosen Spiel abgewandelt und ironisiert werden. Der Reiz der
Gedichte liegt daher nicht in diesen Grundmustern selbst - etwa die Klage
über die hartherzige Geliebte oder die Erfüllung der Liebe im Traum -,
sondern in dem geistreichen, frivolen Spiel, in der ironischen Haltung, mit
der die überkommene Motivik behandelt wird. Hinzu kommt die formale Eleganz,
die zwanglose Virtuosität, die etwa das Sonett Vergänglichkeit der
Schönheit auszeichnet, in dem zwei Grundthemen der Dichtung
Hoffmannswaldaus und seiner Zeit, »Carpe diem« und »Memento mori«, mit schon
leicht parodistisch anmutender Metaphorik aufeinander bezogen werden".
(Meid
31989, S.106)
Kepser/Abraham (42016)
"Hoffmann von Hoffmannswaldau Sonett Vergänglichkeit der Schönheit
(veröffentlicht (1695) wird in vielen Schulbüchern als exemplarischer
Barocktext vorgestellt. Wer es aber ausschließlich mit dem Vanitas-Motiv
in Verbindung bringt, um dann das Gedicht zwischen 'Memento mori' und
'Carpe diem' zu verorten, verkennt nicht nur die humorvolle Leichtigkeit
dieses Poems in der Tradition der Anakreontik. Er übersieht auch eine
durchaus mögliche Lesart als Parodie auf den Frauenpreis, der seit dem
Mittelalter Teil der höfischen Literatur gewesen ist." (Kepser/Abraham
42016, S.57
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Petrarkismus und barocke Liebesauffassung