Andreas Gryphius: Thränen in schwerer Krankheit (Anno 1640)

Interpretationsaufsatz

Schülerbeispiel


Ein Schüler (Jahrgangsstufe 12) hat folgende Arbeitsanweisung in seinem Aufsatz umgesetzt.
 
Interpretieren Sie das Gedicht von Andreas Gryphius (1618-1664).
  1. Zeigen Sie dabei, wie sich der Gedanke des Gedichts inhaltlich-thematisch entwickelt.

  2. Untersuchen Sie die Bildlichkeit des Textes: Was verstehen Sie z.B. unter dem Sinnbild "Krankheit"?

  3. Untersuchen Sie die äußere Form des Gedichts und erläutern Sie seine Funktion. Berücksichtigen Sie dabei die Aussage von Erich Trunz (1956):
    Das Gedicht "ist kein Klageerguss einer sich unmittelbar tagebuchartig äußernden Seele, sondern es ist geformt, komponiert."

  4. Ordnen Sie das Gedicht in die literarische Epoche des Barock ein. Berücksichtigen Sie dabei die Aussage von Erich Trunz :
    "Wenn ein neuzeitlicher Leser versuchen wollte, auf Grund eines einzigen solchen Gedichts das Weltbild des Dichters zu bestimmen, so würde er fehlgehen. Denn dieses Gedicht bringt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Ganzen. In diesem Gedicht ist nur das Diesseits."

Das Gedicht »Thränen in schwerer Krankheit« von Andreas Gryphius (1618-1664) wurde in der Zeit des Barocks geschrieben und hat die typischen Merkmale eines Gedichts der Barockliteratur.
Es ist in der Form eines Sonetts verfasst (2 Quartette, 2 Terzette). In den beiden Quartetten gibt es einen umfassenden Reim, während die beiden Terzette einen Paarreim enthalten. Der letzte Vers des 1. Terzetts und der letzte Vers des 2. Terzetts bilden einen umfassenden Reim um die ersten beiden Verse des 2. Terzettes. Außerdem enthält dieses Gedicht noch vier Enjambements, und zwar in Zeile 3 und 4, in Zeile 5 und 6, in Zeile 11 und 12 und Zeile 34 und 14. Das Metrum ist ein sechshebiger Jambus mit einer Zäsur in der Mitte. Da sich die Zäsur immer nach der dritten Hebung befindet, nennt man diese Verse Alexandriner.
Die Barockliteratur geht immer von drei verschiedenen Gesichtspunkten aus: Memento mori (dem Tod gedenken), fortuna et vanitas (Glück und Vergänglichkeit oder carpe diem (Pflücke den Tag). Dieses Gedicht bezieht sich hauptsächlich auf Memento mori. Das lyrische Ich spricht in Bildern von Qual, Schmerzen (Z 2) und dem Tod (Z 6). Doch es handelt in 3 "Szenen" von fortuna et vanitas. Man sieht dies an den Thesen und der darauf folgenden Antithese in Zeile 10, 11 und 13.
In der ersten Strophe erzählt das lyrische Ich von seinen Qualen, die es erleiden muss. Es weint und hat Schmerzen ohne Ende. Es hat Angst vor der Zukunft, denn dort wird es noch mehr Schmerzen erleiden müssen wie jetzt. Es fürchtet sich davor. Außerdem ist es das lyrische Ich leid, krank zu sein, denn die Kraft in seinem Herzen durchzuhalten lässt langsam, aber sicher nach. Es will auch nicht mehr über sein Leben nachdenken, oder besser gesagt, kann gar nicht mehr drüber nachdenken, weil sein Geist (Verstand) immer schwächer wird und weil es nicht den Willen besitzt, daran etwas zu ändern. Außerdem sieht es so aus, als will sein Körper auch nicht mehr, denn seine Hände sinken am Ende der Strophe saft- und kraftlos nach unten.
In der zweiten Strophe erkennt man erste Anzeichen, dass das lyrische Ich im Sterben liegt. "Die Wangen werden bleich, der muntern Augen Zier vergeht ... (Z 4-5). Das lyrische Ich spricht im 2. Vers auch vom Tod ("verbrannten Kerzen"). Es benutzt diese Metapher, um den Tod zu symbolisieren. Es ist nicht seine Seele, die bestürmt wird, sondern mit Seele ist eher der Glaube des lyrischen Ichs gemeint. In der Zeit, in der es sich befindet. dem 30-jährigen Krieg, war es normal, als Sieger, die Kirchen zu entweihen, um dem besiegten Volk seinen eigenen Glauben aufzuzwingen. Der Glaube wird daher bestürmt, wie wenn im März ein gewaltiges Unwetter über den See hinwegfegt und das Wasser sich kräuseln lässt. Im letzten Vers stellt das lyrische Ich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Es weiß nicht so recht, was wir, die Menschen, eigentlich sind und wozu wir da sind und wozu jeder einzelne für sich da ist.
Die dritte Strophe beginnt, wie die letzte aufgehört hat: mit einer Frage. Diese Frage: "Was bilden wir uns ein, was wünschen wir zu haben?" (Z 9) ist eine untergeordnete Frage zu der davor, die nach dem Sinn des Lebens fragt. Sie fragt nach Erwartungen und Hoffnungen, die man im Leben erreichen will, doch in den weiteren Versen dieser Strophe zeigt sich, dass man die Erwartungen nicht erreichen kann. Die nächsten beiden Verse enthalten jeweils eine These und Antithese. Es bringt nichts hoch, groß oder schön zu sein, denn alles ist vergänglich. Man kann dem Tod bzw. seinem Schicksal nicht entfliehen. Am Ende der vierten Strophe bringt er Bilder der Vergänglichkeit wie Nebel, Reif, Tau, Wind, Schaum und Schatten. Man kann diese Bilder nicht greifen, sondern man kann sie spüren und sehen. Wenn sie verschwinden, bleibt nichts von ihnen übrig und man merkt nicht, dass sie einmal an diesem Ort waren. Genauso wie bei den Menschen. Es gibt Millionen von Menschen, die auf der Erde leben, doch man hört nie etwas davon, wenn eine bestimmte Person, die kein Star oder Politiker ist, stirbt. Man wird nie erfahren, dass diese Person einmal gelebt hat. Er benutzt auch den Begriff Schatten, den schon Platon im Höhlengleichnis mit dem Leben der Menschen verglichen hat. Wir sind alle nur Schatten von uns selbst und was wir in der Welt draußen sehen, sind nur Schatten des Objektes, nichts Wirkliches. Mit dem letzten Vers will Gryphius ausdrücken, dass die Taten, die die Menschen vollbringen, um ihre Erwartungen und Hoffnungen zu erreichen, genau die Taten sind, die in einem Albtraum vorkommen. Es sind immer nur die großen Herrscher, die ihre Erwartungen umsetzen können, und zwar mit Gewalt und Terror. Sie töten Menschen, um ihre Erwartungen zu erreichen. Es werden Häuser niedergebrannt, Kirchen entweiht und Frauen geschändet.
Unter dem Sinnbild "Krankheit" verstehe ich das ganze Elend, dass im Krieg vorkommt und durch welche die Menschen leiden. Ihr religiöser Glaube ist weg und somit die Hoffnung auf ein erfülltes und glückliches Leben. Meiner Meinung nach will das Gedicht aussagen, dass man sein Leben genießen soll, solange man die Chance dazu hat. Alles ist vergänglich und, egal ob man schön, reich oder berühmt ist, es kann alles am nächsten Tag vorbei sein. Man soll Freude am Leben haben und versuchen, seine Hoffnungen und Erwartungen vom Leben wahr zu machen, aber nicht mit Krieg. Wenn man alles hinterfragt, macht das Leben keinen Spaß, denn dann kann man nicht unbekümmert versuchen, das Leben zu genießen.

 


   Arbeitsanregungen:

Untersuchen Sie den Interpretationsaufsatz zu dem Gedicht »Thränen in schwerer Krankheit« von Andreas Gryphius (1618 - 1664) unter folgenden Gesichtspunkten:

  1. Wie hat der Schüler die Formanalyse mit Inhalt und Aussage des Sonetts verknüpft?

  2. Welche Einordnung in die Literaturepoche des Barock wird vorgenommen?

  3. Wie beurteilen Sie die Schlussbemerkungen?

  4. Welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit den Thesen von Trunz in diesem Aufsatz? An welcher Stelle hätte darauf eingegangen werden können?