Egmont |
Oranien |
Sprechhandlungen |
Dramatische Rede |
Dramatische Rede |
Sprechhandlungen |
begrüßt, vermutet |
Willkommen,
Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
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Was sagt
Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin? |
fragt |
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Ich fand
in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts Außerordentliches. Ich habe
sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl. |
Merktet
Ihr nicht, dass sie zurückhaltender war? Erst wollte sie unser Betragen bei dem neuen
Aufruhr des Pöbels gelassen billigen; nachher merkte sie an, was sich doch
auch für ein falsches Licht darauf werfen lasse; wich dann mit dem
Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen Diskurs: dass man ihre liebevolle
gute Art, ihre Freundschaft zu uns Niederländern, nie genug erkannt, zu
leicht behandelt habe, dass nichts einen erwünschten Ausgang nehmen wolle,
dass sie am Ende wohl müde werden, der König sich zu andern Maßregeln
entschließen müsse. Habt Ihr das gehört?
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Nicht
alles;
ich dachte unterdessen an
was anders. Sie ist ein Weib, guter
Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr sanftes Joch
gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte und ihren
Kunkelhof vermehrte; dass, weil sie friedlich gesinnt sind, die Gärung, die
ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegeneinander
erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe und die widrigsten
Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten. Das ist ihr
Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie keinen Weg, als
launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit zu beklagen, mit
schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und zu drohen - daß sie
fortgehn will. |
Glaubt Ihr dasmal
nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt? |
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Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo will
sie denn hin? Hier Statthalterin, Königin; glaubst du, dass sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage
abzuhaspeln? oder nach Italien zu gehen und sich in alten
Familienverhältnissen herumzuschleppen? |
Man hält
sie dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie habt zaudern,
weil Ihr sie habt zurücktreten sehn; dennoch liegt's wohl in ihr;
neue
Umstände treiben sie zu dem lang verzögerten Entschluss. Wenn sie
ginge? und der König
schickte einen andern? |
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Nun, der
würde kommen, und würde eben auch zu tun finden. Mit großen Planen,
Projekten und Gedanken würde er kommen, wie er alles zurechtrücken,
unterwerfen und zusammenhalten wolle; und würde heut mit dieser
Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, übermorgen jene
Hindernis finden, einen Monat mit Entwürfen, einen andern mit
Verdruss über fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen
über eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn,
der Kopf schwindeln und die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daß
er, statt weite Meere nach einer vorgezognen Linie zu durchsegeln,
Gott danken mag, wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen
hält.
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Wenn man
nun aber dem König zu einem Versuch riete? |
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Der wäre?
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Zu
sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge. |
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Wie? |
Egmont,
ich trage viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am Herzen,
ich stehe immer wie
über einem Schachspiele und halte keinen Zug des Gegners für
unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten Sorgfalt sich
um die Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt ich es für Pflicht,
für Beruf eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befürchten.
Der König hat lange nach gewissen Grundsätzen gehandelt; er sieht,
daß er damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daß er es
auf einem andern Wege versucht? |
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Ich
glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht, und es
will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl
genug haben. |
Eins hat
er noch nicht versucht. |
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Nun? |
Das Volk zu
schonen und die Fürsten zu verderben. |
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Wie viele
haben das schon lange gefürchtet! Es ist keine Sorge. |
Sonst
war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt Gewissheit
geworden. |
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Und hat der König
treuere Diener als uns? |
Wir dienen
ihm auf unsere Art; und unter einander können wir gestehen, dass wir
des Königs Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen wissen. |
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Wer tut's
nicht? Wir sind ihm untertan und gewärtig in dem, was ihm zukommt.
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Wenn er
sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte, was wir
heißen: auf unsre Rechte halten? |
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Wir werden
uns verteidigen können.
Er rufe die Ritter des Vlieses zusammen, wir wollen uns richten
lassen. |
Und was
wäre ein Urteil vor der Untersuchung? eine
Strafe vor dem Urteil? |
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Eine
Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird; und eine
Torheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue. |
Und wenn
sie nun ungerecht und töricht wären? |
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Nein,
Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an uns zu
legen? - Uns gefangen zu nehmen, wär' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht übers Land brächte,
würde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten
sie?
Richten und
verdammen kann nicht der König allein; und wollten sie
meuchelmörderisch an unser Leben? - Sie können nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen.
Hass und ewige
Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.
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Die Flamme
wütete dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer Feinde flösse zum
leeren Sühnopfer. Lass uns denken, Egmont. |
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Wie
sollten sie aber? |
Alba ist unterwegs. |
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Ich
glaub's nicht. |
Ich weiß
es. |
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Die
Regentin wollte nichts wissen. |
Um desto
mehr bin ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz machen. Seinen
Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit. |
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Aufs neue
die Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst schwierig werden.
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Man wird
sich der Häupter versichern. |
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Nein!
Nein! |
Lass uns gehen, jeder in
seine Provinz. Dort wollen wir uns verstärken; mit offner Gewalt
fängt er nicht an. |
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Müssen wir
ihn nicht begrüßen, wenn er kommt? |
Wir
zögern. |
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Und wenn
er uns im Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert? |
Suchen wir
Ausflüchte. |
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Und wenn
er dringt? |
Entschuldigen wir uns. |
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Und wenn
er drauf besteht? |
Kommen wir
um so weniger. |
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Und der
Krieg ist erklärt,
und wir sind die Rebellen. Oranien, lass dich nicht durch
Klugheit verführen; ich weiß, dass Furcht dich nicht weichen macht.
Bedenke den Schritt. |
Ich hab
ihn bedacht. |
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Bedenke,
wenn du dich irrst, woran du
schuld bist; an dem verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet
hat. Dein Weigern ist das Signal, das die Provinzen mit einmal zu den
Waffen ruft, das jede Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur
gern den Vorwand gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben,
wirst du mit einem Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an
die Städte, die Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die
Gewerbe! und denke die Verwüstung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl
im Felde seinen Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluss herunter
werden dir die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen
entgegenschwimmen, dass du mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weißt,
wessen Sache du verteidigst, da die zugrunde gehen, für deren Freiheit du
die Waffen ergriffst. Und wie wird dir's sein, wenn du dir still sagen
musst: »Für meine Sicherheit
ergriff ich sie.« |
Wir sind nicht einzelne
Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns für Tausende hinzugeben, so ziemt
es sich auch, uns für Tausende zu schonen. |
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Wer sich
schont, muss sich selbst verdächtig werden. |
Wer sich
kennt, kann sicher vor- und rückwärts gehen. |
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Das Übel,
das du fürchtest, wird gewiss durch deine Tat. |
Es ist
klug und kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegenzugehn. |
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Bei so
großer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in Anschlag. |
Wir haben
nicht für den leisesten Fußtritt Platz mehr; der Abgrund liegt hart
vor uns. |
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Ist des
Königs Gunst ein so schmaler Grund? |
So schmal
nicht, aber schlüpfrig. |
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Bei Gott!
man tut ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, daß man unwürdig von ihm denkt! Er ist
Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig. |
Die Könige tun nichts
Niedriges. |
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Man sollte
ihn kennen lernen. |
Eben diese
Kenntnis rät uns, eine gefährliche Probe nicht abzuwarten. |
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Keine
Probe ist gefährlich, zu der man Mut hat. |
Du wirst aufgebracht, Egmont.
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Ich muß mit meinen Augen sehen.
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O sähst du
diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie offen hast,
glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und Gott
sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht daß der Drache nichts zu
fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal verschlingt. Vielleicht
zögert er, um seinen Anschlag sicherer auszuführen; und vielleicht siehest
du indes die Sache in ihrer wahren Gestalt. Aber dann schnell! schnell!
Rette! rette dich! - Leb wohl! - Lass deiner Aufmerksamkeit nichts
entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie er die Stadt besetzt, was
für Macht die Regentin behält, wie deine Freunde gefasst sind. Gib mir
Nachricht - - - Egmont - |
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Was willst
du? |
Laß dich überreden! Geh mit!
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(ihn bei der
Hand fassend). |
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Wie?
Tränen, Oranien? |
Einen
Verlornen zu beweinen, ist auch männlich. |
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Du
wähnst mich verloren? |
Du bist's.
Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl! |
(Ab.)
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(allein) |
Dass
andrer Menschen Gedanken solchen Einfluss auf uns haben! Mir wär' es nie
eingekommen; und dieser Mann trägt seine Sorglichkeit in mich herüber. -
Weg! - Das ist ein
fremder Tropfen in meinem Blute. Gute Natur,
wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die sinnenden Runzeln
wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel. |
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