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Der Kritiker der Frankfurter Rundschau, Ulrich Schreiber, gibt seine
Eindrücke von der Inszenierung am Kölner Schauspielhaus 1975 wieder und
äußert sich dabei über die von Heyme und seinen Schauspielern gestalteten
Figuren (aus: Frankfurter Rundschau, 4.1.1975):
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"Da ist
Egmont nicht mehr nur
Inkarnation des goethisch Dämonischen, sondern auch […] ein fröhliches
Weltkind, ein unpolitisch Eitler und Selbstgefälliger. […] Er ist ganz
strahlende Hohlheit, ein Playboy, der sich mehr um die Erhaltung seiner
Standesprivilegien als um die Freiheit der Niederländer kümmert, der mit
Oranien […] kunstgerecht
Austern verspeist und sich im Schutz der Nacht ein bürgerliches Liebchen
hält. […] Auch in Köln gibt es, heute, noch
Klärchen, die nicht
kapieren, dass dieser Egmont auch bei Goethe nicht der große
Freiheitsheld war, für den ihn viele hielten, dass er die damals
revolutionäre Klasse, das niederländische Bürgertum, verriet, dass er
als Feudaler, Katholik und spanischer Vasall an die Rechtmäßigkeit
seiner Privilegien glaubte, weil deren langes Unrecht zum
Gewohnheitsrecht für ihn geworden war.
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"Sein geliebtes
Klärchen […]: ein
anrührend armes, sich selbst in der Liebe zum Hochgeborenen betrügendes
Wesen, das aus der Liebesszene mit Egmont ein Kernstück bürgerlicher
Selbstentfremdung macht.“
Über die Gestaltung des Bühnenbildes in der Kölner Inszenierung
durch Bert Kistner und seine Bedeutung für die Inszenierung des Schlusses
durch den Regisseur Heyme äußert sich Ulrich Schreiber wie folgt:
"Mitten auf die sonst nackte Bühne ist mit weißem Strich ein Quadrat,
etwa acht mal acht Meter, gemalt – die Spielfläche. Auf dieser die wenigen
unbedingt nötigen Requisiten, darüber vom Schnürboden herabhängend, Bahnen
aus weißem Pergamentpapier: eine ebenso sinnfällige wie einfache
Gliederung der kleinen Spielfläche in ein vertikales und horizontales
Gassensystem. Die Bahnen aber gliedern auch die Zeit, den rasenden Galopp
der »Sonnenpferde der Zeit«.
Nach jeder Szene wird von den Bühnenarbeitern eine dieser Bahnen
heruntergerissen, manchmal sind es auch zwei oder drei, so dass am Ende
[…] in der immer kärglicher werdenden Landschaft, hinter der auf der
Brandmauer eine irrsinnig schnell laufende Digitaluhr den Countdown für
des »Schicksals leichten Wagen« anzeigt, nur eine übrig bleibt. In diesem
Papierwerk, durch das es an allen Ecken und Kanten zu ziehen scheint,
werden ganz textgetreu, ohne Brutalismen und Zutaten, die Unstimmigkeiten
des Stücks, seine objektiven Brüche gespielt. […]
Am Ende, wenn
Klärchen, das durch Gift
seinem Leben ein Ende bereitet hat, dem auf die Hinrichtung wartenden
Egmont visionär erscheint,
prägt Heyme eine prosaische Szene: Krachend wird die letzte Papierbahn auf
den Boden gerissen, Klärchen kommt ganz einfach auf die Bühne und formt –
während die aus Stimmengemurmel, hochfrequentem Rauschen und
Glasharmonikaharmonien bestehende Bühnenmusik Werner Haentjes ihre
schabende Klimax erfährt – aus dem Papier einen Kranz, legt ihn
Egmont um die Stirn –
Makulatur, Verdrängungsmechanismen vor der politischen Realität.
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