docx-Download - pdf-Download
▪
Parabel als literarische Textsorte
▪
Überblick ▪
Typen: Traditionelle und moderne Parabeln ▪
Abgrenzung von anderen Textsorten
▪
Traditionelle Parabel
▪
Überblick
▪
Allgemeine Merkmale
▪
Die idealistische Überhöhung der Parabel
▪
Themen
▪
Erzähler und Leser
▪
Bild- und Sachbereich
▪
Textauswahl
▪
Bausteine
Traditioneller vs. moderner Parabeltyp
In ihrer langen Gattungsgeschichte sind sehr unterschiedliche
Erzählungen verfasst worden, denen entweder schon die Autoren selbst
den Titel Parabel gegeben haben oder die von anderen zur Gruppe der
Parabeln hinzugezählt worden sind.
Dementsprechend gibt es auch eine Vielzahl von unterschiedlichen
Ansätzen, wie man die über die Jahrhunderte hinweg entstandenen
Texte ordnen und ihre Vertreter zu einzelnen Gruppen zusammenfassen
kann.
Ein vergleichsweise grobes Raster, aber dennoch für viele Zwecke
brauchbar, ist es, zwei große Hauptgruppen zu bilden, von denen die
eine die Gruppe sogenannter traditioneller Parabeln und die andere
die Gruppe ▪
moderner Parabeln bildet. Für den schulischen
Literaturunterricht sind differenziertere Modelle eher nicht angebracht.
Allgemeine Unterschiede zwischen beiden Typen
Die beiden Typen der Parabel unterscheiden sich auf vielfältige
Art und Weise. Die vier wichtigsten Unterschiede sind
-
Traditionelle und moderne Parabeln haben ganz
unterschiedliche Themen.
-
Die Intentionen, die mit den Texten verfolgt werden, sind
grundlegend andere.
-
Ihre Strukturen sind bei aller Ähnlichkeit sehr verschieden.
-
Die Kommunikation zwischen Erzähler und Leser gestaltet sich
anders.
Die didaktische Parabel in der Literaturgeschichte
Die Parabel war von
Äsop
(ca. 600 v. Chr.) bis ▪
Lessing (1729-1781)
und »Gellert
(1715-1769) von ihrer didaktischen Funktion geprägt: "Immer ging es ihr primär um Lehre,
während ästhetische Kategorien zurücktraten" (Brettschneider
1971,
S.71). Spielten sie eine Rolle, dann nur um die Lehre unterhaltsam
und volkstümlich einzukleiden bzw. zu rahmen. Es handelte sich um
Erbauungsparabeln, die vor allem die Funktion besaßen, "religiöse
Überzeugungen zu verdeutlichen oder diese einzuüben." (Zymner 2006a,
S. 307) Der eigentliche "Sinn" einer
Parabel liegt in der traditionellen Parabel also "nicht in der Geschichte selbst, sondern in
dem, was ihr Inhalt bedeutet" (van
Rinsum 1986b, S.14) und "das Erzählte ist mehr als es
selbst" und nur "das in Anschauung gebrachte Gemeinte" (Brettschneider
1971, S.74). Die traditionelle Parabel gibt dieses
Sinnversprechen und löst es
unter
bestimmten Voraussetzungen ein.
Die engere Geschichte der traditionellen Parabel steht in der
geistesgeschichtlichen Tradition der ▪ Aufklärung
und der gleichlautenden ▪
Literaturepoche (1720-1785).
Vom Ende des 17. Jahrhunderts bis 1778 (sog. "Latenzphase"
der Gattung, (Zymner 2006a,
S. 307) werden solche Texte
eigentlich nicht als
besondere Gattung aufgefasst, sondern wie z. B. die biblischen
Parabeln unter dem Begriff des
Gleichnisses zusammengefasst. Oft
wird die Parabel aber auch den
Fabeln zugeordnet, von deren Begriffsentwicklung sie "wenigstens
parasitär (profitiert)". (Reallexikon
der deutschen Literatur (2007), Bd. III, S.13)
Um 1778 wird mit Lessings Text "Eine
Parabel" die Gattung in der deutschen ▪
Literaturgeschichte etabliert. Diese schon zweite
Etablierungsphase der Parabel in Deutschland (eine erste gab es
schon ab 1646 in der sog. "Lehrgedichtsphase") dauert etwa bis 1823.
In diesem Zeitraum schufen Autoren wie »Johann
Gottfried Herder (1744-1803), »Matthias
Claudius (1740-1815), »Johann
Wolfgang von Goethe (1749-1832) u. a.) Parabeln, die häufig wohl
als Zugeständnis an den modischen Zeitgeschmack mit seiner
"Orientliebe" (Reallexikon
der deutschen Literatur (2007), Bd. III, S.13) eine
"»morgenländische« Einkleidung" aufwiesen. Dies führte
nicht zuletzt dazu, dass der Begriff mehr und mehr "mit religiöser
und profaner Weisheitsdichtung" (ebd.)
konnotiert
wurde.
Das bekannteste Beispiel dieser "Morgenlandphase"
genannten Phase ist wohl
Gotthold
Ephraim Lessings (1729-1781) ▪
Ringparabel
in seinem Drama ▪
Nathan der Weise
(1779) (vgl.
Zymner 2006a, S. 307)
An die "Morgenlandphase" schließt sich bis zum Beginn des 20.
Jahrhunderts die sogenannte "Konservierungsphase"
an, die u. a. von Autoren wie »Franz
Grillparzer (1791-1872), »Gottfried
Keller (1819-1890) oder »Agnes
Franz (1794-1843) geprägt wurde. Ihre Arbeiten bewahren das
morgendländisch-aufklärerische Gattungserbe, indem sie sich immer
wieder auf die Klassiker der Morgenlandphase beziehen und biblische
Parabeln zeitgemäß adaptieren. (vgl.
Zymner 2006a, S. 307)
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden traditionelle Parabeln, die religiöse
Erbauungsparabel und die in der
Tradition der Aufklärung verankerte vernunftorientierte Parabel von der
▪
modernen
Parabel und ihren Autoren, insbesondere von ▪
Franz Kafka
(1883-1924), "in quantitativer und qualitativer Hinsicht"
(ebd.) umgekrempelt.
Erzähler und Leser in der traditionellen Parabel
Damit das didaktische Konzept der traditionellen Parabel aufgehen
kann, muss der Autor bzw. der Erzähler des Textes "eine Lehre
besitzen oder sich zum mindesten im Besitz einer Lehre glauben". (Brettschneider
1971, S.74)
Und, was eigentlich noch viel wichtiger ist: Diese Lehre muss in
Übereinstimmung zu allgemein anerkannten moralischen Grundsätzen und
Verhaltensweisen stehen, damit sie beim Leser die beabsichtigte
Wirkung entfalten kann. Dementsprechend ist die Parabel auch
kulturgebunden. Eine Parabel aus dem europäischen Kulturraum
"funktioniert" also nicht im asiatischen.
Die traditionelle Parabel strukturiert das Verhältnis auf der
Grundlage einer komplementären Lehrer-Schüler-Beziehung. In ihr
begegnen sich nicht zwei gleichrangige Partner in einer
symmetrischen Kommunikation, sondern in einer hierarchischen. Salopp
gesagt: Einer - der Erzähler - weiß, wo es langgeht, und der andere -
der Leser - nimmt ihm dies einfach ab.
Was mit Hilfe einer traditionellen Parabel gelehrt wird, steht
also prinzipiell nicht in Frage, ist wie in Stein gemeißelter Sinn, und braucht nicht diskutiert zu
werden, sondern nur in einer Erzählung zur Anschauung gebracht
werden. (vgl.
ebd.) Damit geht die traditionelle Parabel letztlich in ihrer
rhetorischen Funktion auf, indem sie für die (weitere) Gültigkeit
der von ihr vermittelten Lehre argumentativ eintritt.
Die Lehren, um die es ihr geht, sind auch keine Rezepte oder
Antworten auf alltägliche Probleme der Lebenswelt, sondern beziehen
sich auf "religiöse Überzeugungen" (Zymner 2006a,
S. 307), auf Transzendentes, "das Hohe, das Außerordentliche, das
Unerreichbare" ( Goethe in: Wilhelm
Meisters Wanderjahre (1812, II. Buch, 1. Kapitel).
Die idealistische Überhöhung der Parabel
Die Vorstellung von der Parabel als Gattung, wie sie "im Anfang des
19. Jahrhunderts etwa von Goethe und Hegel geprägt wurde". (Yun
Mi Kim 2012, S.19) hat die ▪
Bild-Sachbereichs-Struktur und die
Übertragung vom einen in den anderen Bereich ▪
in idealistischer Weise überhöht.
So formuliert Goethe, dass das
Kennzeichen der Parabel "der Sinn, die Einsicht, der Begriff das
Hohe, das Außerordentliche, das Unerreichbare“ sei ( Goethe
in: Wilhelm
Meisters Wanderjahre (1812, II. Buch, 1. Kapitel). Und auch
Brettschneider (ebd.) betont,
dass eine erzählte Geschichte erst dann zur Parabel wird, "wenn sie die
erzählte Geschichte zum Fundort einer Lehre oder Einsicht oder Frage
überhöht, die über den Fall ins Allgemeine hinausgreift."
Das idealistische Konzept, das die Parabel an das Höhere, Allgemeinere, Universelle
oder Absolute koppelt, legt dabei auch die Art und Ziele ihrer
Rezeption fest, wonach der Bildbereich der Parabel für einen kompetenten Rezipienten nie
mehr als eine Fundgrube für eine höhere Lehre,
höherwertigere Einsicht oder allumfassende Frage sein
konnte.
Wem diese Art der Rezeption nicht gelingt, wer sich mit dem
Handlungssinn der Bildebene zufrieden gibt, ist jedenfalls nicht der
Typ von (idealem) Leser, der den Autoren der traditionellen
Parabel vorschwebt, dem die Parabel "nichts ohne ihre
Auflösung, ohne ihren eigentlichen Sinn" sein kann. (van
Rinsum 1986b, S.15)
Bild- und Sachbereich in der traditionellen Parabel
Für die traditionelle Parabel, prototypisch dafür:
Lessings (1729-1781) ▪
Ringparabel
in seinem Drama ▪
Nathan der Weise
(1779), bei der ▪
Nathan
als Erzähler und Aufklärer des "unwissenden" Sultans
▪
Saladin
agiert, ist die Doppelstruktur von Bild- und Sachbereich ein
grundlegendes Merkmal. Mit ihr kann die Parabel ihre
didaktische Funktion erfüllen, eine
allgemeine, universell gültige Lehre über "Gott und die Welt" zu
vermitteln.
Erst der konstruktive, aber vom Text möglichst genau gelenkte
mentale Akt der Übertragung löst damit die kommunikative Funktion
der Parabel bei der Rezeption des Textes ein. Das ist auch bei
Gleichnissen
nicht anders, die in ihrer biblischen Form manchmal als "Urtyp" der
Parabel angesehen werden. (vgl.
Gleichnis vom verlorenen Sohn)
Weitgehend Übereinstimmung besteht darin, das traditionelle
Parabeln eine Doppelstruktur besitzen:
Bildbereich und Sachbereich.
-
Der
Bildbereich, auch Bildhälfte genannt, ist das, was in dem
Text erzählt wird. Sie ist einer alltäglichen Sinngebung zugänglich,
weil ihre Elemente und deren Beziehung zueinander der
außertextlichen Welt entstammen, auf die sie verweisen. Dabei
ordnet sich der Bildbereich dem Sachbereich unter, weil er
funktional festgelegt darauf festgelegt ist, das im Sachbereich
liegende Allgemeine (Totalitätsbezug) in eine knappe Erzählung
"zu verpacken".
-
Als
Sachbereich, auch Sachhälfte oder
Gedankenbereich genannt, wird das außerhalb des Textes
selbst liegende Ganze (Totalität), man könnte es auch die außertextliche Welt
nennen, bezeichnet.
Auf diesen Sachbereich bzw. Elemente daraus,
lässt sich das im Bildbereich Erzählte übertragen und dieser
Brückenschlag vom Bildbereich in den Sachbereich
gilt als der Schlüssel zu einem vertiefteren Verständnis einer
Parabel. Auf diesen Sachbereich bzw. Elemente daraus, lässt sich
das im Bildbereich Erzählte übertragen und dieser Brückenschlag
vom Bildbereich in den Sachbereich gilt als der Schlüssel zu
einem vertiefteren Verständnis einer Parabel. Strenggenommen
besitzt jedes Element des Bildbereichs eine analoge Entsprechung
im Sachbereich, in dem Bereich also, auf den das Erzählte
insgesamt verweist.
Die Bild- und Sachbereichs-Struktur legt dabei nahe, dass erst
die Übertragung den Sinn der Parabel enthüllt und sie unterstellt in
diesem geschlossenen Konzept, dass es einen solchen Sinn in einem
kohärenten Weltbild gibt.
Kein oder nur
wenig Spielraum für eigene Sichtweisen des Leser und wenig
Chancen für den Leser, der die konzeptuelle Basis der
vermittelten Lehre nicht teilt. Ein Musterbeispiel dafür ist ▪
Lessings (1729-1781) ▪
Ringparabel
in seinem Drama ▪
Nathan der Weise
(1779), bei der ▪
Nathan
als Erzähler und Aufklärer des "unwissenden" Sultans
▪
Saladin
agiert und letzterer (als Schüler) reagiert, dem gar nichts
anderes übrig bleibt, als die vermittelte Lehre zu akzeptieren.
▪
Parabel als literarische Textsorte
▪
Überblick ▪
Typen: Traditionelle und moderne Parabeln ▪
Abgrenzung von anderen Textsorten
▪
Traditionelle Parabel
▪
Überblick
▪
Allgemeine Merkmale
▪
Die idealistische Überhöhung der Parabel
▪
Themen
▪
Erzähler und Leser
▪
Bild- und Sachbereich
▪
Textauswahl
▪
Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.12.2023
|