Allgemeine Merkmale der Schreibform
Als ▪
literarische Erörterung wird eine als
linearer oder
dialektischer
Typ auftretende Form
der schriftlichen Auseinandersetzung bezeichnet, deren Themenstellungen sich auf Fragen oder
Problemfelder
aus dem Bereich der Literatur und Kunst beschränken.
Erörterungstyp zwischen freier Problem- und
Sacherörterung und Texterörterung
Die literarische Erörterung stellt, systematisch gesehen,
keinen besonderen Erörterungstyp dar, sondern nimmt eine gewisse
Zwischenstellung zwischen ▪
freier Problem- und Sacherörterung und
▪
Texterörterung ein. (vgl.
▪ Arbeitsaufgabe)
Die Eingrenzung ihrer Themen auf
Literatur
und Kunst macht sie allerdings zu einer besonderen Aufsatzform, die im Grunde genommen
auf den gleichen Voraussetzungen beruht, wie sie zur Erörterung von
thematisch nicht genauer festgelegten, textungebundenen oder textgebundenen
Erörterungsformen vonnöten sind.
Deren wichtigste sind in dem Begriff
des erörterndes Erschließens zu erkennen,
der bis zu den ▪
KMK-Bildungsstandards
( ▪
BISTA-AHR-D 2012) den Rahmen für ▪
erörterndes Schreiben
setzte.
( ▪ Erörterndes Erschließen eines literarischen
Textes (EPA 2002):
-
Ein Thema oder Problem ist auf seine
verschiedenen Facetten oder Aspekte hin zu erschließen, d. h. es müssen die
nötigen sachrelevanten Aspekte eines solchen Themas erkannt und erfasst
werden und ihre Bedeutung in einem größeren Zusammenhang beurteilt werden.
-
In der
Sprache der KMK-Bildungsstandards
geht es dabei um Anforderungen in den drei Kompetenzbereichen:
Schreiben,
Lesen
und
sich mit Texten und Medien auseinandersetzen.
-
In jedem
Falle sind ▪ rhetorische Grundkenntnisse in der
▪
Argumentation und die Fähigkeit, begründete Schlüsse zu ziehen, für
die Bewältigung der Aufgabe unverzichtbar.
Themen
bei der literarischen Erörterung
Zur Erörterung kommen im
Allgemeinen Themen, die bei der Betrachtung eines oder mehrerer
literarischer Werken darauf gerichtet sind,
-
wie die innere
und äußere Welt gesehen und wahrgenommen werden
-
welche
Vorstellungen über das Wesen des Menschen, welche Menschenbilder darin
gestaltet sind
-
welche
Vorstellungen über das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft,
seine Triebkräfte und Ziele, erkennbar sind
-
welche
Auffassungen über die Wirklichkeit darin zum Ausdruck kommen
-
welche Bedeutung
eine bestimmte Gestaltung eines Themas bzw. Stoffs hat
-
wodurch sich ein
bestimmtes Werk im Vergleich mit anderen seiner Zeit oder der aktuellen
Gegenwart unterscheidet
-
welche Bedeutung
es im literarischen und kulturellen Leben seiner Zeit gehabt hat
Gattungspoetische Fragen
Grundsätzlich kann sich die literarische Erörterung auch mit
gattungspoetischen Fragen befassen. Ihre Fragestellungen beziehen sich in der Regel
auf die literaturhistorische Entwicklung bestimmter Merkmale einer
Literaturgattung
oder fordern zu einem allgemeinen Vergleich solcher Merkmale auf. Und darüber hinaus können auch Fragen gestellt werden, die
verlangen, dass Texte
-
literaturgeschichtlich, z. B. in eine
Literaturepoche, eingeordnet
werden
-
auf ihre
Rezeption in unterschiedlichen Zeiten hin untersucht werden
-
in den einen
allgemeinen (historischen oder aktuellen) Zusammenhang gestellt werden,
der sich aus bestimmten Aspekten oder Problemen des literarischen Lebens
ergibt
Die Schreibaufgabe zur literarischen Erörterung kann
sehr unterschiedlich ausfallen. Sie muss daher im Einzelfall genau
analysiert werden, um daraus das geforderte Schreibziel ableiten zu
können. Dies gilt insbesondere bei ▪
Abituraufgaben, die auf der Basis der
Bildungsstandards gestellt werden.
Sehr unterschiedlich ist dabei vor allem, ob zur
eigentlichen Fragestellung noch weitere Vorgaben hinzukommen, die im
Rahmen der Erörterung analysiert und bei der Erörterung berücksichtigt
werden müssen. Das kann z. B. eine Rezension oder ein anderer Text sein,
der in Zusammenhang mit der literarischen Textgrundlage gebracht werden
muss.
Die Standardaufgabe
In der Regel besteht die Aufgabenstellung der literarischen
Erörterung aus mehreren Elementen, wie das nachfolgende Beispiel
zeigt.

Üblich ist es, entweder eine einzelne These voran-
oder zwei konträre Thesen einander gegenüberzustellen. Diese
müssen dann so erschlossen und bearbeitet werden, wie es die
anschließend Arbeitsanweisung eingefordert, z. B. :
Ebenso verbreitet ist die Voranstellung eines mehr oder
weniger langen Zitates eines Dichters, Künstlers oder einer anderen
Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die sich in der Regel über
Literatur, Kunst, Kultur oder Kulturbetrieb äußert.
-
Insofern handelt es sich
um ein ▪
Zitat-Thema,
wie es auch bei der allgemeinen Problem- und Sacherörterung vorkommt.
-
Im Anschluss
daran formuliert die ein- oder mehr-, meist zweiteilige Arbeitsanweisung den
Arbeitsauftrag, der meistens direkt oder indirekt auch auf behandelte
Pflichtlektüren verweist und deren Einbeziehung in die Darstellung fordert.
Beispiel
"Literatur ist in meinem
Verständnis eine Simulationstechnik. Der Begriff ist in letzter Zeit
populär geworden durch die Raumfahrt, deren vollkommen neuartige
Situationen, der praktischen Erfahrung vorauslaufend, zunächst künstlich
erzeugt und durchgespielt werden. [...] Das ist, wie mir scheint, eine
einleuchtende Analogie zur Literatur. Auch sie ist ein der Lebenspraxis
beigeordneter Simulationsraum, Spielfeld für ein fiktives Handeln, in
dem man als Autor und Leser die Grenzen seiner praktischen Erfahrungen
und Routinen überschreitet, ohne ein wirkliches Risiko einzugehen. [...]
Die Simulationstechnik der Literatur erlaubt es ihm [dem Leser], fremde
Verhaltens- und Denkweisen in seinen Erfahrungsspielraum mit
einzubeziehen, also weniger borniert zu sein, und in bezug auf den
gesellschaftlichen Zusammenhang weniger normenkonform." Aus: Dieter Wellershoff, Literatur und Veränderung. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag 1971, S. 18f. Erörtern Sie anhand Ihrer Leseerfahrung, inwieweit Sie Wellerhoffs
Verständnis von Literatur teilen. (Schriftl. Abitur Deutsch, Baden-Württemberg, Berufliches und
Allgemeinbildendes Gymnasium 2007)
Die
Arbeitsanweisung
Die Arbeitsanweisung zur Schreibaufgabe einer
literarischen Erörterung ist kann einteilig oder mehrteilig sein. (vgl.
▪
Liste von Themen)
-
"Lieben ist eine
produktive Tätigkeit, es impliziert, für jemanden (oder etwas) zu
sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an
ihm erfreuen - sei es ein Mensch, ein Baum, ein Bild, eine Idee. Es
bedeutet, ihn (sie, es) zum Leben zu erwecken, seine (ihre) Lebendigkeit
zu steigern." Aus: Erich Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen
Gesellschaft. Übersetzt von Brigitte Stein. Stuttgart: Deutsche
Verlagsanstalt 1979 (Erstausgabe 1976), S. 52
Setzen Sie sich anhand von
Schillers
Kabale und Liebe und
Fontanes
Effi Briest mit dieser Auffassung von Liebe
auseinander. (Schriftl. Abitur Deutsch, Baden-Württemberg, Berufliches Gymnasium
2006)
-
Abgerundete Geschichten kann man heute nicht mehr
schreiben. (Friedrich Dürrenmatt)
Erläutern Sie anhand von Beispielen aus der Literatur, wie dieser Satz
zu verstehen ist, und prüfen Sie seine Geltung. (Schriftl. Abitur Deutsch, Baden-Württemberg, Allgemeinbildendes
Gymnasium, Leistungskurs Deutsch 1989)
-
Erörtern Sie, auch
vor dem Hintergrund Ihres literaturhistorischen Wissens, den
Interpretationsansatz des Regisseurs Michael Thalheimer zu Schillers
"Kabale und Liebe", indem Sie die beiden folgenden Teilaufgaben in
einem strukturierten zusammenhängenden Text bearbeiten.
-
Stellen Sie die
Interpretationsthesen Thalheimers
dar, die er in
einem Interview (Textvorlage) anlässlich seiner Inszenierung am
Thalia-Theater ausführt.
-
Überprüfen Sie
mithilfe einer Analyse der Szene III, 4 aus "Kabale und Liebe"
(vgl. Anhang), inwieweit die Thesen Thalheimers zutreffen.
(Illustrierende Lernaufgabe zu den ▪
KMK-Bildungsstandards (BISTA-AHR-D,
S.56)
Im ersten Fall handelt es sich um eine
einteilige Arbeitsanweisung, die zur (kritischen)
Auseinandersetzung auffordert und damit zum Erörtern der Aussage Erich Fromms
im Zusammenhang und im Vergleich mit zwei Pflichtlektüren, in einem
vom Begriff Liebe vorgegebenen thematischen Horizont.
Im zweiten Fall ist es eine
zweiteilige Arbeitsanweisung, die im ersten Schritt eine
klärende Erläuterung des vorstehenden Zitats von Friedrich
Dürrenmatt und im zweiten Schritt die Überprüfung, und damit
Erörterung, der Aussage des Dichters unter dem Blickwinkel seiner
Anwendbarkeit auf Beispiele aus der Literatur verlangt.
Im dritten Fall handelt es sich um eine Schreibaufgabe
mit zwei Teilaufgaben.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.03.2023
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