Eines der Grundprobleme des
▪ erörternden Schreibens in der Schule war lange die Tatsache, dass
Schülerinnen und Schüler, die traditionelle
▪
freie
Problem- bzw. Sacherörterung häufig
ohne die dafür nötige
inhaltliche Kompetenz
zu bewältigen hatten. Mehr als
knowledge telling
war auch für die besten Schülerinnen und Schüler einfach nicht drin.
Nicht zuletzt darauf sind etliche Bedenken gegen die Schreibform
zurückzuführen, die auf Seiten von Schülerinnen und Schülern ebenso wie bei
den Lehrkräften vorhanden sind. Sie gehen sogar so weit, dass ganze Lehrer-
und Schülergenerationen in der Einschätzung übereinstimmen, wonach das
Scheiben einer freien Erörterung in Prüfungssituationen ein zu hohes Risiko
darstelle. Entsprechende Zeugnisse, die das dokumentieren, finden sich auch
noch heute in einschlägigen Foren im Internet, in denen arrivierte oder
angehende Lehrkräfte vor der Erörterung warnen oder Schüler anderen raten,
davon bloß die Finger zu lassen.
Nicht zuletzt
solche Probleme haben dazu geführt, dass
die
▪
klassische Form der
▪
freien Problem- und
Sacherörterung heute nicht mehr zu den
▪
Aufgabenarten
der schriftlichen Abiturprüfung zählen. Und auch in der
"Ausatzdidaktik" führt das klassische Textmuster heute wohl eher ein
Schattendasein und hat neueren und weiteren
▪
Formen des erörternden
Schreibens Platz gemacht.
Die
▪ freieren Formen des Erörterns wie z. B.
▪
Freier Kommentar, ▪
Glosse, ▪
Essay, ▪
Rede und ▪
Redebeitrag
sind
dabei meistens mit der ▪
materialgestützten Erörterung verbunden.
Diese Neuorientierung hat das erörternden Schreiben nicht nur stärker auf reale
Kommunikationssituationen ausgerichtet, sondern auch den
▪
Schreibprozess
wirksam entlastet.
Entlastung wird dadurch verschafft, dass das Schreiben
zumindest in zwei klar voneinander abzuhebenden Phasen verläuft, nämlich der
Planung und der Formulierung. So gehört zur Planungsphase eben auch die
Erfassung und Auswahl relevanter Informationen und Standpunkte zum
Erörterungsthema.
Damit sich die Schülerinnen und Schüler das für eine
fundierte Auseinandersetzung nötige Wissen verschaffen können, wird die
Schreibaufgabe in einen erweiterten
thematischen Kontext
eingebettet (vgl.
Fix 2008,
S.104f.). Dadurch soll die dem traditionellen
schulischen Schreibsetting
angelastete Förderung von "Oberflächlichkeit, Leichtfertigkeit und phrasenhafte(r)
Geschwätzigkeit" (Fritzsche 1994,
S.116, zit. n.
Fix 2008,
S.104) entgegengewirkt werden.
Im Unterricht gibt es etliche
Möglichkeiten, um mangelndes Vorwissen der Schüler auszugleichen.
Thematische Projekte, die sich an den Interessen und der Lebenswelt der
Jugendlichen orientieren, schaffen gerade auch für das erörternde Schreiben
eine Vielzahl motivierender Schreibanlässe.
Der Ansatz ist natürlich nicht
neu und schon mindestens seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
unter dem Stichwort "Themenzentrierter Deutschunterricht" bekannt. Solche
Konzepte eines integrativen Deutschunterrichts versuchen das Lernen und
Anwenden von Lese- und Schreibstrategien mit der Arbeit an Themen zusammenzubringen.
Dabei
kommt es im Rahmen des solcherart offenen und integrativen
Schreib-Leseunterrichts darauf an, "textwiedergebende, -besprechende und
-gestaltende Tätigkeiten aufeinander und auf ein Thema (das ein
literarisches sein kann, aber nicht muss)" zu beziehen. (Abraham/Kepser
2006, S. 117)
Dem themenzentrierten Deutschunterricht hat dabei auch die
▪ Kompetenzorientierung neuen Schwung verliehen. Die Schülerinnen und Schüler
können nämlich so in unterschiedlichen Themen- oder Projektzusammenhängen
grundlegende Lese- und
Schreibkompetenzen erwerben und anwenden und
verbunden mit ihrem Fach-
und Weltwissen in einem funktionalen
Schreibzusammenhang zeigen. Dies geschieht mit ganz unterschiedlichen
Schreibformen und
Schreibaufgaben.
▪
Das können Aufgaben zum erörternden
Schreiben ebenso sein wie Aufgaben zum ▪Zusammenfassen von Texten, das
Beschreiben und/oder Kommentieren von
diskontinuierlichen Texten wie
Infografiken, Tabellen, Bilder,
Karikaturen etc. Es können aber auch Texte
sein, die im Modus des
literarischen
Schreibens verfasst sind. Das literarische Schreiben, "das bewusst von
der sprachlichen Norm abweicht und dabei keine pragmatische oder direkt
kommunikative Absicht, sondern ästhetische Dimensionen verfolgt"
(ebd., S. 52, Anm. 8) hat in einem
integrativen Konzept ebenso seinen Platz wie von Schülerinnen und Schülern
verfasste literarische Texte, die im Modus des Erörterns verfasst worden
sind. Schriftlich erörtern kann man nämlich auch mit anderen
Formen der
Auseinandersetzung mit einem Thema, bei denen
ebenso "(neue) Einsichten schreibend gewonnen werden"
(Baurmann
2002/2008, S.15) können. Dies ist z. B. der Fall, wenn im Modus
des Erörterns eine Beispielgeschichte zu dem Thema geschrieben wird. Auch
damit wird die beim schriftlichen Erörtern übliche "Textmusterbezogenheit"
überwunden
Die Schreibaufgaben in thematischen Projekten öffnen dabei den Schreibprozess auch für
die Aneignung von Wissen und dessen Verarbeitung. Sie betten das schriftliche Argumentieren situativ
ein und erfordern damit eine adressatenorientierte Gestaltung, ohne dem "Formalismus" und der
"Schematisierung des erörternden Schreibens" (Matthießen
2003, S.134) weiter Vorschub zu leisten und die Schreibaufgabe auf "das
Abarbeiten eines bestimmten Gliederungsmusters" zu beschränken (Fix 2008,
S.105).
Hier also ist Raum für unterschiedliche Formen der
sprachlichen Auseinandersetzung mit einem Sachverhalt oder Problem. Das
schriftliche Erörtern kann dabei, geeignete Schreibanlässe vorausgesetzt, in
allen denkbaren oder erwünschten Formen erfolgen, sei es als herkömmliche
freie Problemerörterung, als Leserbrief,
Kommentar,
Streitgespräch, Stellungnahme
u. a. m.
All das bedeutet indessen nicht, dass die Anforderungen an das erörternde
Schreiben im Vergleich zu früher geringer ausfallen. Die Schreibaufgaben,
die mit dem Erörtern verbunden sind, sind aber für heutige Jugendliche
leichter zu bewältigen, weil der Schreibprozess in zumindest zwei Phasen
zerlegt ist und mit Materialien oder einer vorgeschalteten
Informationsrecherche eine Wissensgrundlage für eine fundierte argumentative
Auseinandersetzung gelegt wird.
Inhaltlich ganz voraussetzungslos ist aber
auch Erörtern in thematischen Projekten nicht. Ohne ein gewisses Weltwissen
lassen sich auch Informationen, die sich auf ein bestimmtes Thema beziehen,
kaum verarbeiten.
Ein Vorzug aber bleibt unbestritten: Beim Erörtern in thematischen Projekten
finden Vorstellungen wie "Man
kann es eben, oder kann es eben nicht" (▪
Genie-Konzept)
oder anderen populäre, aber nicht minder fragwürdige
▪ Alltagshypothesen über das Schreiben keinen Platz.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.01.2024