Daniel Defoe hat weder die Gestalt seines
Robinson noch die
wesentlichen Züge seines Inseldaseins erfunden. [..]
Dieser "historische Robinson" heißt ALEXANDER SELKIRK. Er stammte aus dem
Städtchen Largo in der schottischen Grafschaft Fife und war 1676 als
jüngstes Kind eines Flickschusters geboren. Trotz ihren bescheidenen
materiellen Verhältnissen suchten die Eltern dem Sohn eine ordentliche
Erziehung zu geben. Ihre Bemühungen, aus dem wilden Knaben einen guten
Christen zu machen, schlugen jedoch fehl. Schon als Dreizehnjähriger war
Selkirk das Haupt einer Bande von Strolchen, die das friedliche
Hafenstädtchen terrorisierten. Die Versuche, ihn durch den Pfarrer auf den
rechten Weg zurückzuführen, misslingen, Selkirk brennt durch und lässt sich
auf einem Schiff anheuern. Nach sechs Jahren kehrt er zurück, erwachsen,
abgehärtet, ein vollbefahrener Seemann. Er hat die Weite der Welt
geschmeckt, lange hält er es deshalb in den engen heimischen Verhältnissen
nicht aus.
Gerade um diese Zeit hat der gewiegte Kapitän WILLIAM DAMPIER von der
Regierung einen neuen Kaperbrief erhalten und rüstet sich zu einer
Plünderfahrt im Stillen Ozean. Er gilt als einer der besten Kaperkapitäne.
Zwei Schiffe, die "St. Georg" und die "Cinque Ports" stehen ihm zur
Verfügung. Der jetzt siebenundzwanzigjährige Selkirk lässt sich als
Steuermann von Kapitän Stradling auf die "Cinque Ports" anwerben. Im
Frühjahr 1703 fahren die beiden Kaperschiffe aus, überqueren den Atlantik,
umsegeln Kap Horn, um im Pazifik ihre Kapertätigkeit aufzunehmen. Das
Einvernehmen zwischen Kapitän und Steuermann lässt von Anfang an zu wünschen
übrig. Das wird besonders deutlich, als in schweren Stürmen die "Cinque
Ports" die Verbindung mit der "St. Georges" verliert und in Seenot gerät.
Das Trinkwasser geht aus, Nahrungsmittel verderben, Krankheiten brechen
unter der Besatzung aus. Da kommt Land in Sicht; die Inselgruppe Juan
Fernandez. Gegen den Willen des Kapitäns lässt sich Selkirk mit einigen
Leuten zur Insel hinüberrudern. Damit setzt er zum ersten Mal den Fuß auf
"seine" Insel. Wie sich die Mannschaft, mit frischem Wasser und Früchten
versorgt, wieder im Boot einfindet, fehlen zwei Leute. Da auch auf eine
Salve hin niemand sich am Strand zeigt, lässt Kapitän Stradling die Anker
lichten. Er wird die Insel auf der Rückreise nochmals anlaufen. In den
folgenden sechs Monaten verwandeln sich die Spannungen zwischen ihm und
seinem Steuermann in offene Feindschaft. So ist es zu verstehen, wenn
Selkirk beim neuerlichen Anlaufen der Insel den Wunsch äußert, das Schiff zu
verlassen. Während die beiden Matrosen, die nun ein halbes Jahr auf der
Insel gehaust haben, wieder an Bord genommen werden, packt Selkirk seine
Habseligkeiten in ein Boot: Flinte, Pulver, Kugeln, Tabak, Beil, Messer,
Werkzeug, Messinstrumente, Nahrungsmittel, die Bibel. Nachdem er ausgesetzt
ist, bekommt er es doch mit der Angst zu tun als Deserteur behandelt zu
werden. So bittet er darum, wieder auf das Schiff zurückkehren zu können.
Doch die Bedingungen des Kapitäns sind unannehmbar: Wenn Selkirk aufs Schiff
zurückkehrt, wird er als Meuterer in Ketten gelegt. So entschließt er sich,
auf der Insel zu bleiben. Denn er kann damit rechnen, dass im Verlauf von
ein paar Monaten ein englisches Schiff vor der Insel Anker wirft.
Zuversichtlich richtet er sich für einen längeren Aufenthalt ein, wobei er
etwa das tut, was Defoe uns vom Inseldasein seines Robinson erzählt. [..]
Und doch verdankt er seinem Entschluss, sich auf der Insel aussetzen zu
lassen, dass er überhaupt am Leben ist. Denn die "Cinque Ports" ist
inzwischen mit ihrer ganzen Besatzung untergegangen. Kapitän Dampier ist mit
der "St. Georges" nach England zurückgekehrt und bereitet eine
Weltumsegelung als Steuermann der "Duke" unter Kapitän Wood Rogers vor.
Wiederum wird die Route über den Atlantik und um Kap Horn eingeschlagen. Auf
der Fahrt der südamerikanischen Pazifikküste entlang steuert Dampier den
Archipel von Juan Fernandez an, ohne allerdings von dem Inselbewohner eine
Ahnung zu haben. Schwer bewaffnet geht in diesem Februar 1709 ein Boot voll
Seeleute an Land. Ein kaum mehr menschenähnliches, behaartes und in
Fellfetzen gehülltes Wesen tritt ihnen entgegen, wirft sich vor ihnen auf
den Boden. Groß ist die Wiedersehensfreude zwischen Dampier und Selkirk.
Sobald dieser sich erholt hat. wird er von Dampier zum zweiten Steuermann
der "Duke" gemacht, die ihre Weltumsegelung fortsetzt. Erst zwanzig Monate
später, im Jahre 1711, trifft Selkirk in der Heimat ein.
(aus:
Rotzler 1966, S. 340 - Auszüge)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
05.11.2024