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Campe, Robinson der Jüngere im Projekt Gutenberg
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Aspekte der Erzähltextanalyse
Die wohl mit Abstand
erfolgreichste und auch folgenreichste Bearbeitung von »Daniel Defoes
(1660-1731) Roman »Robinson
Crusoe (The life and
strange surprizing adventures of Robinson Crusoe") (1719), im
deutschsprachigen Raum stammt von dem deutschen Schriftsteller,
Sprachforscher und Pädagoge »Joachim
Heinrich von Campe (1746-1818). Mit seiner Bearbeitung des
Robinsonmotivs mit dem Titel »"Robinson
der Jüngere, zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinder"
(1779-80) griff er den Fingerzeig »Jean
Jacques Rousseaus auf, der dem Robinson Defoes das •
Prädikat eines "idealen Kinderbuchs" verliehen hatte.
Dreizehnter Abend.
Am folgenden Abend rief der Vater seine Kleinen
etwas früher zusammen, weil er, wie er sagte, erst eine Ratsversammlung mit
ihnen halten müsse, bevor er in seiner Erzählung weitergehen könne.
Worüber wollen wir uns denn beratschlagen? riefen
die Kleinen, indem sie rund um ihn herum zusammentraten.
Vater.
Über eine Sache, die unserem Robinson die ganze Nacht hindurch im Kopfe
herumgegangen ist und weswegen er kein Auge hat zutun können.
Alle.
Nun?
Vater.
Es war die Frage. ob er den alten Brotfruchtbaum, den er gestern gesehen
hatte, in der ungewissen Hoffnung, ob er daraus ein Schiff werde machen
können, umhauen oder ob er ihn stehen lassen solle.
Johannes.
Ich hätte ihn hübsch wollen stehen lassen.
Dietrich.
Und ich hätte ihn umgehauen.
Vater.
Da sind also zwei entgegengesetzte Meinungen; der eine will den Baum
umhauen, der andere will ihn stehen lassen. Lasst doch hören, ihr anderen,
was ihr dazu sagt?
Gottlieb.
Ich halte es mit Johannes.
Lotte.
Ich auch, lieber Vater; der Baum soll stehen bleiben.
Fritzchen.
Nein, er soll umgehauen werden, dass der arme
Robinson ein Schiff kriegt.
Nikolas.
Das sage ich auch.
Vater.
Nun, so stellt euch in zwei Parteien und dann wollen wir hören, was jeder
für Gründe zu seiner Meinung hat. ‑ So! Nun, Johannes, mache du den Anfang;
warum soll der Baum stehen bleiben?
Johannes.
I, weil er so schöne Früchte trägt, und weil er
vielleicht der Einzige seiner Art auf der ganzen Insel ist.
Dietrich.
O, es ist schon ein alter Baum; der wird doch
nicht lange mehr Früchte tragen!
Johannes.
Woher weißt du das? Er ist ja nur erst ein wenig hohl, und wie viele hohle
Bäume gibt es nicht, die noch manches Jahr Früchte tragen!
Nikolas.
Robinson darf ja nur recht viele junge Zweige von
diesem Baum auf andere Stämme pfropfen; so wird er Brotbäume genug kriegen.
Gottlieb.
Ja, aber sind sie denn sogleich groß?
Darüber können ja wohl vier Jahre hingehen; ehe die gepfropften Bäume
anfangen, Früchte zu tragen.
Fritzchen.
Ist es denn nicht besser, dass er ein Schiff
kriegt und wieder zu Menschen fährt, als dass er da immer und ewig auf
seiner Insel sitzt und Brotfrucht isst?
Johannes.
Ja, wenn das Schiff sogleich fertig wäre! Womit
will er denn den Baum umhauen, und womit will er ihn aushöhlen, da er nur
eine steinerne Axt hat?
Dietrich.
O, wenn er nur lange genug daran hauet und nicht
ungeduldig wird, so wird er schon damit zu Stande kommen!
Gottlieb.
Aber dann, so hatte er ja noch keine Segel! Was
will er denn mit dem bloßen Schiffe anfangen?
Nikolas.
O, er muss sich mit Rudern helfen!
Lotte.
Ja! Das wird schon gehen! Weißt du nicht mehr, da wir bei Travemünde auf der
Ostsee waren und dem einen Bootsmanne das Ruder brach, wie es uns da beinahe
gegangen wäre? Vater sagte ja, wenn das zerbrochene Ruder nicht noch zu
gebrauchen gewesen wäre, so hätte uns der andere Bootsmann allein nicht
wieder ans Land bringen können.
Dietrich.
O, das war auch ein großer Kahn und waren ja
achtzehn Menschen darin! Wenn sich Robinson einen kleinen Kahn und zwei
Ruder macht, so wird er ihn schon allein lenken können.
Vater.
Nun, Kinder, ihr sehet, die Sache ist gar nicht leicht zu entscheiden.
Alles, was ihr da gesagt habt, ging dem guten Robinson die Nacht hindurch
auch im Kopfe herum; und das nennt man eine Sache überlegen, wenn man
nachdenkt, ob es besser sei, sie zu tun oder nicht zu tun. Seitdem Robinson
die traurigen Folgen seiner übereilten Entschließung, in die weite Welt zu
reisen, empfunden hatte, befolgte er immer die Regel nie wieder etwas zu
tun, ohne erst vorher eine vernünftige Überlegung darüber angestellt zu
haben. Das tat er also auch jetzt. Nachdem er nun die Sache lange genug
hin und her überlegt hatte, so fand er, dass alles auf die Frage ankomme,
ob es klug gehandelt sei, einen kleinen, aber gewissen Vorteil hinzugeben,
um einen größeren, aber noch ungewissen Vorteil dadurch zu erlangen?
[...]
(aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere,
Braunschweig: Verlag der Schulbuchhandlung Friedrich Vieweg u. Sohn 1848)
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