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Campe, Robinson der Jüngere im Projekt Gutenberg
Die wohl mit Abstand
erfolgreichste und auch folgenreichste Bearbeitung von »Daniel Defoes
(1660-1731) Roman »Robinson
Crusoe (The life and
strange surprizing adventures of Robinson Crusoe") (1719), im
deutschsprachigen Raum stammt von dem deutschen Schriftsteller,
Sprachforscher und Pädagoge »Joachim
Heinrich von Campe (1746-1818). Mit seiner Bearbeitung des
Robinsonmotivs mit dem Titel »"Robinson
der Jüngere, zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinder"
(1779-80) griff er den Fingerzeig »Jean
Jacques Rousseaus auf, der dem Robinson Defoes das •
Prädikat eines "idealen Kinderbuchs" verliehen hatte.
(Während der Fahrt nach London gerät das
Schiff auf dem Krusoe angeheuert hat, in Seenot)
Vater.
lndess hatte ein anderes Schiff die Notschüsse gehört und schickte ein Boot
ab um die Leute, wo möglich, zu retten. Aber das Boot konnte nicht
herankommen, weil die Wellen gar zu hoch gingen. Diese warfen es so
gewaltsam hin und her, dass es in augenscheinlicher Gefahr war, umgestülpt
zu werden. Dennoch wollten die menschenfreundlichen Leute lieber ihr eigenes
Leben daran wagen, als ihre Nebenmenschen ohne Hülfe lassen.
Nikolas.
Das waren wohl hamburgische Leute?
Vater.
Woraus vermutest du das?
Nikolas.
Ja, weil sie gegen das hamburgische Schiff so dienstfertig waren und sich
deswegen sogar in Lebensgefahr begaben.
Vater.
Muss man denn bloß gegen seine Landsleute dienstfertig sein? Das wolltest du
gewiss nicht zu verstehen geben, lieber Nikolas! Oder, wenn da jetzt gleich
ein Mensch aus Amerika hier in unsern Teich fiele, würden wir erst fragen,
woher er wäre? Würden wir nicht vielmehr alle den Augenblick aufspringen, um
ihn zu retten? Nun, eben so menschlich dachten die Leute in dem Bote auch,
ungeachtet sie keine Hamburger, keine Europäer, keine Christen sondern ‑
Türken waren, und zwar Türken aus der Stadt Smirna, die in Asien liegt.
Johannes.
Das hätte ich doch nicht gedacht, dass die Türken so gute Menschen wären!
Vater.
Lieber Johannes, du wirst immer mehr erfahren, dass es unter allen Völkern,
in allen Ländern gute Leute gibt; so wie es unter allen Völkern. in allen
Ländern und zu alten Zeiten auch hin und wieder Taugenichtse gegeben
hat.[...]
(Nach der Ankunft in London gesteht Robinson
Krusoe dem Schiffer, dass er ohne Erlaubnis seiner Eltern mitgekommen ist.
Daraufhin rät ihm dieser eindringlich, nach Hause zurückzukehren.)
Vater.
Bald fiel's ihm ein, er wolle noch nicht abreisen, bald dachte er wieder
daran, was der Schiffer ihm gesagt hatte, dass es ihm nicht wohlgehen könne,
wenn er nicht zu seinen Eltern zurückkehre. Er wusste lange nicht, was er
tun solle; endlich aber ging er doch hin nach dem Hafen.
Aber zu seinem Vergnügen musste er hören, dass
jetzt kein Schiff da war, welches die Fahrt nach Hamburg machen wollte. Der
Mann, der ihm diese Nachricht gab, war ein Guineafahrer.
Fritzchen.
Was ist ein Guineafahrer?
Vater.
Das lass dir von Dietrich erzählen. der's wohl schon wissen wird.
Dietrich.
Weißt du noch wohl, dass es ein Land gibt, das Afrika heißt? Nun, die eine
Küste davon ‑
Fritzchen.
Küste.
Dietrich.
Ja, oder das Land, das dicht am Meere liegt sieh, ich habe meinen kleinen
Atlas eben bei mir! ‑ dieser Strich Landes hier, der da so krumm
hinuntergeht, der wird die Küste von Guinea genannt.
Vater.
Und die Schiffer, die dahin fahren, um etwas daselbst einzuhandeln, heißt
man Guineafahrer. Der Mann also, mit dem unser Robinson redete, war ein
solcher Guineafahrer, oder der Führer eines Schiffes, welches nach Guinea
fahren wollte.
Dieser Schiffsführer oder Kapitän fand Vergnügen
daran, sich weiter mit ihm zu unterreden, und nötigte ihn daher, mit an Bord
zu gehen, um in seiner Kajüte eine Tasse Tee mit ihm zu trinken; und
Robinson willigte ein.
Johannes.
Konnte der Mann denn Deutsch sprechen?
Vater.
Ich habe vergessen, zu sagen, dass Robinson schon in Hamburg Gelegenheit
gehabt hatte, ein wenig Englisch zu lernen, welches ihm jetzt, da er im
Lande der Engländer war, sehr wohl zu Statten kam.
Da der Kapitän von ihm hörte, dass er so große
Lust zu reisen habe, und dass es ihm so Leid tue, schon jetzt wieder nach
Hamburg zurückkehren zu müssen, so tat er ihm den Vorschlag, mit nach Guinea
zu segeln. Robinson erschrak anfangs vor diesem Gedanken. Aber da ihm jener
versicherte, dass die Reise sehr angenehm sein werde, dass er ihn, um einen
Gesellschafter zu haben, umsonst mitnehmen und freihalten wolle, so stieg
ihm plötzlich das Blut zu Kopfe und die Begierde zu reisen, ward wieder so
lebendig in ihm, dass er auf einmal vergaß, was ihm der ehrliche
hamburgische Schiffer geraten hatte, und was er kurz vorher tun wollte.
[...]
Robinson konnte sich nun nicht länger mehr
halten. Er vergaß Eltern, Freunde und Vaterland, und rief freudig aus: Ich
fahre mit, Herr Kapitän! ‑ Topp! antwortete dieser; und so schlugen sie
einander in die Hände, und die Reise war beschlossen.
Johannes.
Na, nun will ich auch gar kein Mitleid mehr haben mit dem dummen Robinson,
und wenn's ihm auch noch so unglücklich geht!
Vater.
Kein Mitleid, Johannes?
Johannes.
Nein, Vater; warum ist er so dumm und vergisst schon wieder, was er seinen
Eltern schuldig ist? Dafür muss ja wohl der liebe Gott es ihm wieder schlimm
gehen lassen!
Vater.
Und scheint dir ein so unglücklicher Mensch, der seine Eltern vergessen kann
und dem der liebe Gott erst durch Strafen bessern muss, kein Mitleid zu
verdienen? Freilich ist er selbst schuld an allem, was ihm nun begegnen
wird; aber ist er nicht um desto unglücklicher? O, mein Sohn, Gott bewahre
dich und alle vor dem schrecklichsten unter allen Leiden, welches darin
besteht, dass man fühlt, man habe sich selbst elend gemacht! Aber wo wir von
einem solchen Unglücklichen hören, da wollen wir bedenken, dass er unser
Bruder, unser armer, verirrter Bruder ist, seine Schuld vergessen und ihm
auch helfen, auf den Weg des Rechttuns und der Glückseligkeit
zurückzukehren.
Alle schwiegen einige Augenblicke; dann fuhr der
Vater folgendermaßen fort.
Robinson eilte nun mit seinen neun Guineen in die
Stadt, kaufte dafür ein, was der Schiffer ihm geraten hatte und ließ es an
Bord bringen.
Nach einigen Tagen, da ein guter Wind sich erhob,
ließ der Schiffer die Anker lichten und so gingen sie unter Segel.
(aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere,
Braunschweig: Verlag der Schulbuchhandlung Friedrich Vieweg u. Sohn 1848)
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