[…] Ueberhaupt gebrach es mir, so viel Gegenstände ich auch um mich
aufgehäuft hatte, doch an einer Menge sehr wesentlicher Dinge, so zum
Beispiel außer der Tinte an einer Hacke und einem Spaten, oder einer
Schaufel, um die Erde damit umzugraben; ferner an Nähnadeln, Stecknadeln und
Zwirn. Was die Wäsche angeht, so gewöhnte ich mich schnell daran, sie zu
entbehren.
Dieser Mangel an Gerätschaften erschwerte natürlich alle meine Arbeiten, und
so dauerte es zum Beispiel fast ein Jahr, bis ich die Einzäunung meiner
Wohnung beendigt hatte. Die Pfähle, die ich so schwer wählte, als ich sie
nur tragen konnte, nahmen viel Zeit zum Fällen, Vorbereiten und Heimschaffen
in Anspruch. Zuweilen brauchte ich zwei Tage, um eine von diesen Palissaden
fertig an Ort und Stelle zu bringen, und einen dritten Tag, um sie in die
Erde zu treiben. Hierzu bediente ich mich anfangs eines schweren
Holzstückes, später aber nahm ich dazu eine der eisernen Brechstangen.
Trotzdem war es ein mühsames und zeitraubendes Werk, diese Pfähle
festzumachen. Aber was lag daran, daß irgend Etwas, das ich verrichtete,
Zeit kostete, da ich ja deren in Ueberfluß hatte? Denn so viel ich vorläufig
übersah, blieb mir nach Vollendung jener Arbeit nur noch die übrig, die
Insel nach Lebensmitteln zu durchsuchen, was ich ohnehin schon jetzt fast an
jedem Tage that.
Ich faßte nun meine Lage ernsthaft ins Auge und setzte das Ergebniß
schriftlich auf, nicht sowohl um den Bericht Denen zu hinterlassen, die etwa
nach mir einmal auf die Insel kommen würden (denn ich hatte wenig Aussicht
auf Erben), als um mich dadurch von den Gedanken, die täglich auf mich
einstürmten und mir die Seele verdüsterten, zu befreien. Meine Vernunft
begann allmählich Herr zu werden über meine verzweifelte Stimmung; ich
tröstete mich dadurch, daß ich das Gute meiner Lage dem Schlimmen derselben
gegenüberstellte und unparteiisch, gleichwie der Kaufmann sein Soll und
Haben, die Freuden gegenüber den Leiden, die ich erfuhr, folgendermaßen
verzeichnete:
Das Böse |
Das Gute
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Ich bin auf ein wüstes, trostloses Eiland ohne
alle Hoffnung auf Befreiung verschlagen.
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Aber ich lebe und bin nicht, wie alle meine
Gefährten, ertrunken.
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Ich bin vereinsamt und von aller Welt
geschieden, dazu verurtheilt ein elendes Dasein zu führen.
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Jedoch bin ich auch erlesen aus der ganzen
Schiffsmannschaft, vom Tode verschont zu bleiben, und der, welcher
mir das Leben wunderbar erhalten hat, kann mich auch aus dieser
elenden Lage wieder erlösen.
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Ich bin von der Menschheit
getrennt, ein Einsiedler, verbannt vom Menschengeschlechte.
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Trotzdem bin ich auf
diesem öden Orte nicht Hungers gestorben |
Ich habe keine Kleider, um
meine Blöße zu bedecken.
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Aber ich befinde mich in
einem heißen Klima, wo ich Kleider, hätte ich sie, schwerlich tragen
könnte.
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Ich bin ohne
Vertheidigungsmittel gegen irgend einen gewaltsamen Angriff von
Menschen oder Thieren.
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Allein ich bin an eine Insel
verschlagen, wo ich keine wilden Thiere zu sehen bekomme, wie ich
sie an der afrikanischen Küste sah. Was wäre aus mir geworden, hätte
ich dort Schiffbruch gelitten?
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Ich habe keine Seele, um mit
ihr zu reden, oder mich von ihr trösten zu lassen.
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Aber Gott schickte durch
wunderbare Fügung das Schiff so nahe ans Land, daß ich so viele
Dinge daraus holen konnte, die zur Befriedigung meiner Nothdurft
selbst dienen oder mir die Mittel zur Befriedigung derselben an die
Hand geben werden, so lange ich lebe.
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Alles in Allem ergab diese
Uebersicht, daß es zwar kaum eine unglücklichere Lage als die meinige in der
Welt gab, daß aber doch negative und positive Umstände darin vorhanden
waren, um derentwillen ich dankbar sein mußte. Daraus mag man lernen, daß
kein Zustand existirt, der nicht etwas Tröstliches darbietet, und bei dem
wir nicht bei der Verzeichnung des Guten und Schlimmen immer dem Debet
gegenüber auch Etwas auf die Seite des Credit zu setzen haben.
Nachdem ich mich auf
solche Weise mit meinem Zustand einigermaßen ausgesöhnt, dagegen aber
die Hoffnung, auf der See ein Schiff zu erspähen, aufgegeben hatte,
begann ich, mir das Leben so angenehm einrichten, als es nur möglich
war.
Meine Wohnung habe ich
bereits beschrieben. Sie bestand, wie erwähnt, aus einem Zelt zu Füßen
eines Felsens, das mit eigner starken Einzäunung von Pfählen und Tauen
umgeben war. Ich durfte diese wohl eine Mauer nennen, besonders nachdem
ich eine Art Wall von Erdstücken, etwa zwei Fuß hoch, an der Außenseite
auf derselben aufgeführt und nach Ablauf von etwa anderthalb Jahren von
diesem Wall aus Holzstücke gegen den Felsen gestemmt und sie mit
Baumzweigen und Aehnlichem bedeckt hatte, um den Regen abzuhalten,
welcher während gewisser Jahreszeiten sehr heftig war.
Meine Güter hatte ich
sämmtlich in diese Einhegung und die im Hintergrund derselben
befindliche Höhlung gebracht. Anfangs hatten sie dort einen
unordentlichen Haufen gebildet und mir allen Platz weggenommen, so daß
ich kaum mich hatte rühren können. Daher hatte ich mich daran gemacht,
die Höhlung zu erweitern und tiefer in den Felsen einzudringen. Dieser
bestand aus lockerem Sandstein und gab leicht nach. Da ich mich gegen
wilde Thiere doch hinlänglich geschützt glaubte, arbeitete ich mich ganz
durch den Felsen durch und bekam so eine Thür nach Außen hin, durch die
ich meine Festung verlassen konnte. So hatte ich nicht nur einen Aus-
und Eingang, sondern auch einen größern Behälter für meine Besitztümer
bekommen.
Ich begann sodann mir
diejenigen Gegenstände anzufertigen, die mir die notwendigsten schienen,
nämlich vor Allem einen Tisch und einen Stuhl, da ich ohne diese nicht
einmal die geringe Behaglichkeit, die mir auf der Welt geboten war, zu
genießen vermocht haben würde. Denn ohne Tisch hätte ich weder
schreiben, noch essen, noch andere dergleichen Geschäfte mit einiger
Bequemlichkeit vornehmen können.
Hierbei kann ich nicht
umhin zu bemerken, daß, da die Vernunft die Wurzel und der Ursprung der
Mathematik ist, Jedermann durch vernünftige Berechnung und Ausmessung
der Dinge binnen kurzer Zeit ein Meister in allen mechanischen Künsten
zu werden vermag. Ich hatte in meinem früheren Leben niemals
Handwerkszeug zwischen den Fingern gehabt, und trotzdem erkannte ich
jetzt bald, daß es mir durch Arbeit, Ausdauer und Eifer möglich sein
würde, Alles, was ich brauchte, wenn ich nur das nöthige Geräthe gehabt
hätte, selbst anzufertigen. Indeß machte ich eine Menge Dinge auch ohne
Handwerkszeug. Einige lediglich mit Hobel und Hackbeil, und zwar waren
das Gegenstände, die wohl nie früher auf solche Art verfertigt waren.
Zum Beispiel, wenn ich ein Brett nöthig hatte, blieb mir Nichts übrig,
als einen Baum zu fällen und ihn mit der Axt von beiden Seiten so lange
zu behauen, bis er dünn wie ein Brett war, worauf ich ihn dann mit dem
Hobel glättete. Freilich konnte ich auf diese Weise aus einem ganzen
Baum nur ein einziges Brett erhalten; doch da half Nichts weiter als die
Geduld, und wenn auch die Anfertigung eines einzigen solchen
Gegenstandes mich eine enorme Menge Zeit und Arbeit kostete, so war ja
Arbeit und Zeit für mich von geringem Werth, und es kam Nichts darauf
an, ob ich sie so oder so verwendete.
Zunächst machte ich mir
aus den kurzen Latten, die ich auf meinem Floße aus dem Schiffe geholt
hatte, Tisch und Stuhl. Ferner brachte ich, nachdem einige Bretter in
der oben angegebenen Weise fertig geworden waren, große Fächer von
anderthalb Fuß Breite übereinander an der Seitenwand meiner Höhle an, um
alle meine Werkzeuge, Nägel und eiserne Geräthe darauf zu legen und
Alles zur größeren Bequemlichkeit an einer bestimmten Stelle zu haben.
Hierauf schlug ich Pflöcke in die Felswand, um mein Gewehr und Anderes
dergleichen daran zu hängen. Meine Höhle sah jetzt aus wie ein großes
Magazin von allen unentbehrlichen Dingen, und ich hatte Jegliches so zur
Hand, daß diese Ordnung mir ein großes Vergnügen gewährte.
Von nun an begann ich auch ein Tagebuch zu führen und darin meine
täglichen Beschäftigungen zu verzeichnen. Früher hatte es mir zu sehr an
Ruhe, besonders an Gemüthsruhe gefehlt, und mein Journal würde in dieser
Zeit mit vielen unbedeutenden Dingen angefüllt worden sein. Da hätte ich
zum Beispiel vom 30. September Nichts zu berichten gehabt, als etwa:
Nachdem ich gelandet und dem Tod des Ertrinkens entronnen war, bin ich,
nachdem ich zuvor eine ganze Menge Salzwasser, das ich verschluckt,
gebrochen hatte und wieder ein wenig zu mir gekommen war, statt Gott für
meine Errettung zu danken, mit dem Ausruf: »Ich bin verloren! ich bin
verloren!« händeringend am Strand auf- und abgelaufen, bis ich müde und
matt mich auf die Erde zur Ruhe legen mußte, wo ich aber nicht schlafen
konnte, aus Furcht gefressen zu werden.
Einige Tage nachdem ich
schon Alles vom Schiff geholt hatte, konnte ich es nicht unterlassen,
doch wieder einmal die Spitze des kleinen Berges zu ersteigen und auf
die See hinauszuschauen, in der Hoffnung, ein Schiff zu erblicken.
Wirklich bildete ich mir auch ein, in großer Entfernung ein Segel zu
erspähen. Ich täuschte mich lange mit dieser Hoffnung und blickte starr
auf das Meer, bis ich fast erblindete. Dann gab ich es auf, setzte mich
nieder, weinte wie ein Kind und vergrößerte so durch eigne Thorheit mein
Elend.
Erst nachdem ich diesen
Kummer einigermaßen überwunden, meine Niederlassung beendigt und mein
Hauswesen eingerichtet hatte, und Alles um mich so hübsch wie möglich
geordnet war, begann ich mein Tagebuch. Ich will den kärglichen Inhalt
desselben (ich konnte es nämlich nur so lange fortsetzen, bis mir die
Tinte ausging) hier mittheilen, obwohl dasselbe viele Dinge wiederholt,
die schon berichtet sind.
(aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe,
übersetzt von Karl Altmüller, Leipzig 1869, Kap. 4)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
05.11.2024